Duisburg. Hobby-Historiker Harald Küst lebt an Duisburgs ältester Straße und weiß viel über ihre Geschichte. Wo sie liegt und welcher Kaiser dort wohnte.

Wenn man als Jungfrau oder Witwe nicht ganz so züchtig lebt, wie es die Gesellschaft erwartet, dann spürt man Konsequenzen – zumindest erging es den Beginen im 16. Jahrhundert in Duisburg so. Denn genau mit dem Argument wurden sie aus ihrem Haus am Wieberplatz/Ecke Niederstraße vertrieben.

Das lernten fast 20 Interessierte, die am Samstag dem Geschichtsvermittler Harald Küst, Mitglied der Initiative Mercators Nachbarn, bei einem historischen Spaziergang durch die Altstadt folgten. Im Mittelpunkt stand Duisburgs älteste Straße: die Niederstraße.

Älteste Straße liegt in der Altstadt: Erste urkundliche Erwähnung in 1316

Launig und mit alten Bildern als Anschauungsamaterial brachte der Gästeführer im Stadtmuseum die spannende Stadtgeschichte nahe. Dass die Niederstraße in direkter Nähe zum Innenhaften bereits 1327 ein frommer Ort war, wird mit der urkundlichen Erwähnung des Beginenhauses „op gen Ryn“ deutlich. Die Straße selbst ist sogar noch elf Jahre älter.

Geschichtsvermittler Harald Küst erklärt Details zur ältesten Straße Duisburgs bei einer Führung am Samstag. An der Straße lag zum Beispiel das Beginenhaus „op gen Ryn“.
Geschichtsvermittler Harald Küst erklärt Details zur ältesten Straße Duisburgs bei einer Führung am Samstag. An der Straße lag zum Beispiel das Beginenhaus „op gen Ryn“. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Genau an diesem frommen Ort wohnt übrigens Harald Küst, der „Gelehrte in Sachen Duisburger Geschichte“. Beginen waren Jungfrauen und Witwen, die nach christlichen Regeln wirken sollten, ohne sich klösterlich eng binden zu müssen, lernen die Spaziergängerinnen und Spaziergänger an diesem Samstag.

Harald Küst bringt es etwas konkreter auf den Punkt: „Wenn eine Frau einen Mann kennenlernte und dann doch das weltliche Leben vorzog, war das mit weniger Schwierigkeiten möglich.“ Die Niederlassung der Beginen gehörte zur Tack- und Tibi-Stiftung.

Wohlhabende Straße: Händler siedelten schon im 9. Jahrhundert

Die Nachfahren der mächtigen Familiendynastie, die über Generationen auch wichtige Ämter in der Stadtspitze innehatte, wandelte 1585 das alte Beginenhaus auf der Niederstraße in ein rein protestantisches Waisenhaus um. Und das im katholischen Viertel.

„Laut einer Sage haben sich die Jungfrauen nicht gut verhalten“, erzählt Küst. Er unterscheidet immer zwischen historisch belegten Fakten, Erzählungen und Sagen, die natürlich ihren Charme haben.

1655 entstand auf dem Beginenstrudstück ein neues Waisenhaus, das allerdings im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Der historisch wertvolle Torbogen verschwand in der Nachkriegszeit, von ihm existieren heute nur noch Fotos. Begehrt war die Niederstraße, denn dort siedelten schon im 9. Jahrhundert friesische Händler im Schatten des Königshofes.

Dreigiebelhaus weist auf Ursprung der Niederstraße hin

An sieben verschiedene Punkte führt Küst die Gruppe, zu jeder Station gibt es spannende Informationen. Man lernt, dass sich die Welt, in der es schon vor Jahrhunderten um Macht, Geld, Steuern und Beziehungen ging, so sehr nicht verändert hat.

Eine bedeutende Rolle spielte zu früheren Zeit natürlich die Kirche. Das Dreigiebelhaus befindet sich in der Altstadt von Duisburg, in der Nonnengasse 8. Seinen Namen verdankt es den drei nebeneinander stehenden Treppengiebeln, 1536 wurde es erstmals urkundlich erwähnt.

1608 übernahmen die Nonnen des Klosters Duissern das Gebäude. Durch den Zuzug der Nonnen entwickelte sich später ein katholisch dominierter Straßenzug, der bis zum Minoritenkloster am heutigen Karmelplatz reichte. Auch am Dreigiebelhaus kann Harald Küst Spannendes erzählen. Denn Äbtissin Margarete von Münch vergrößterte ab 1608 das Besitztum des Zisterzienserklosters durch geschickte Ankaufpolitik um dieses Gebäude.

Äbtissin Margarete von Münch verhinderte wohl Plünderung der Stadt

„Wenn man an Kloster denkt, hat man ja immer das Klischee von braven Nonnen und Gebeten vor Augen. Aber heute würde man sagen, Margarete von Münch war eine geschicke Managerin. Denn das Kloster bot damals für Frauen die einzige Möglichkeit, Führungspositionen einzunehmen“, erklärt der Geschichtsvermittler.

Harald Küst stoppte an mehreren wichtigen Stationen in der Stadt, zum Beispiel an der alten Stadtmauer.
Harald Küst stoppte an mehreren wichtigen Stationen in der Stadt, zum Beispiel an der alten Stadtmauer. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Die „Politik“ der Äbtissin lief natürlich nicht ohne Konflikte ab. „Denn das Kloster hatte Steuerprivilegien, und die waren der Stadt ein Dorn im Auge. Aber man arrangierte sich im Laufe der Zeit, denn persönliche Kontakte erleichterten die Netzwerkarbeit.“ Das komme einem alles sehr bekannt vor, stellt ein Teilnehmer fest.

Wie Harald Küst erzählt, verhinderte die Äbtissin sogar durch ihren diplomatischen Einsatz die Plünderung der Stadt Duisburg durch die Truppen des Grafen von Pappenheim. Denn der hatte die Stadt Magdeburg dem Erdboden gleichgemacht.

Kaiser Maximilian wohnte einst an der Niederstraße

Zum Abschluss der Runde traf die Gruppe an der Niederstraße 6 ein, der ehemaligen Herberge von Kaiser Maximilian. Denn er fand 1508 auf der Straße, die für wohlhabende Bürger und die katholische Geistlichkeit ein gefagtes Wohnviertel war, eine angemessene Unterkunft im Stadthaus der Abtei Hamborn.

„Man kann das Heute nur verstehen, wenn man in die Geschichte zurückguckt“, sagt Horst Bimczok, der geschichtsinteressierte Teilnehmer, der selbst im Heimatverein und der Mercator Gesellschaft ist.

Heute wohnt an genau dieser Adresse, Niederstraße 6, Harald Küst, der die bedeutende Geschichte der Straße und des Stadtteils für die Nachwelt lebendig erhält.

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>> Duisburgs älteste Straße: Viele markante Punkte liegen im Umfeld

  • Viel Wissenswertes brachte Geschichtsvermittler Harald Küst den ungefähr 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Samstag bei. Es ging um Duisburgs älteste Straße, die Niederstraße, in unmittelbarer Nähe des Innenhafens. An markanten Punkten wurde Station gemacht. Es ging um mehrere wichtige Standorte.
  • Unter anderem war die Stadtmauer Thema, denn erst zu Beginn des Hafenausbaus im 19. Jahrhundert veränderte sich das Umfeld dort. Wie die anderen Tore der Stadtbefestigung wurde auch das Stapeltor in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgerissen.
  • Erinnert wurde an das legendäre Jugendzentrum Eschhaus, das Auftritte von Alexis Corner, BAB, Ton, Steine, Scherben und Rockbands wie Bröselmaschine und Pelikan erlebt hatte. Es fiel 1987 dem Bagger zum Opfer.