Duisburg. Zwei neue Förderschulen sind in Duisburg in der Planung, um den Bedarf zu decken. Der Förderschwerpunkt GG am Beispiel der Buchholzer Waldschule.
Dass diese Schule besonders ist, merkt man schon am Tor. Die Kindersicherung erschließt sich nicht auf Anhieb, und so kommt nicht jeder rein, vor allem aber kommt keiner ungewollt raus.
Die Buchholzer Waldschule ist eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung (GG). Der Bedarf wächst deutschlandweit und keiner weiß so recht, warum. In Duisburg sollen zwei neue Förderschulen gegründet werden. Die Waldschule kümmert sich seit über 50 Jahren um Kinder, die vielfältige physische oder psychische Behinderungen haben, die sich kaum oder gar nicht mit Worten verständigen können.
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Kleine Klassen, vielfältige Diagnosen: Förderschulen mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung
An GG-Schulen landen Kinder mit Trisomie21 neben 15-Jährigen, die nie zuvor eine Schule besucht haben, neben Kindern, die zutiefst traumatisiert aus einem Krieg flüchteten und hier langsam lernen, Vertrauen zu fassen. „Wenn sie anfangen, sich zu entspannen, dann ist das eine Freude“, betont Schulleiterin Barbara Wedekind, für die Vielfalt das tägliche Geschäft ist.
Schon die Klassen an dieser Schule sind besonders: Sie sind mit 12 bis 13 Kindern deutlich kleiner als Regelklassen, und sie sind überwiegend altersgemischt, sodass die Kinder in ihrer Schullaufbahn immer mal die Großen sind, die schon mehr drauf haben und etwas zeigen können, oder die sich vom Können der Kleineren inspirieren lassen. Selbstbewusstsein stärken passiert so ganz nebenbei und gehört zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der GG-Förderschulen, sagt Wedekind.
Schulabschlüsse werden hier nicht vergeben
Gezählt wird nach Schulbesuchsjahren, nicht nach Klassen. Schulabschlüsse werden ohnehin nicht vergeben, die Schüler bleiben bis zum Ende ihrer Schulpflicht am Ende des 18. Lebensjahres da. Trotzdem machen sie wie in den Regelschulen Potenzialanalysen und Berufspraktika, nur eben in abgewandelter Form, mitunter bei Trägern wie der Werkkiste, die einen geschützten Rahmen bieten, sagt Schul-Vize Rebecca Petermann.
Nicht allen sei das möglich, aber viele Kinder, die mit vielen Problemen an die Schule kamen, „haben bis zur Sekundarstufe II eine tolle Entwicklung gemacht“. Danach führt der Weg etliche von ihnen in die Werkstatt für Menschen mit Behinderung, den fitteren gelinge dort der Sprung auf einen Außenarbeitsplatz. Im Ziegenpeter beispielsweise treffen die Lehrerinnen regelmäßig auf ehemalige Schüler.
Herausfordernd für viele Kinder: „Schule ist eine Rudelveranstaltung“
„Unsere Kinder benötigen mehr Aufsicht als Durchschnittskinder“, sagt Wedekind. Manche haben extreme Hinlauftendenzen (früher nannte man das Weglauftendenz) und brauchen eine lückenlose 1:1-Begleitung, andere sind sehr orientierungslos und brauchen viel Hilfe. Dazu das ganze Thema Körperhygiene: Viele Kinder tragen Windeln, müssen gewickelt werden oder brauchen zumindest Begleitung beim Toilettengang.
Tiefgreifende Störungen aus dem Autismus-Spektrum bringen es mit sich, dass die Schüler Kopfhörer nutzen, um sich Ruhe verschaffen zu können. Darüber hinaus brauchen sie eine intensive Betreuung, damit sie soziale Situationen aushalten können, „und Schule ist nun mal eine Rudelveranstaltung“, sagt Wedekind.
Für kleine Rudel jedenfalls: Gemeinsam sitzen an diesem Vormittag elf Kinder an einem langen Tisch, gemeinsam haben sie Mathematik, aber das bedeutet für jeden etwas anderes: Während ein Teenager eifrig die Zahlen von 1 bis 10 nachmalt, ist eine Elfjährige schon motorisch herausgefordert, Gardinenringe nach Farben auf einen Spieß zu stecken. Viele Lernmaterialien sind selbst gemacht, auf einzelne Bedürfnisse ausgerichtet. Und für manche Kinder dauern die Matheeinheiten nur zehn Minuten, weil sie wegen ihres starken Bewegungsdrangs häufige „Flitzpause“ brauchen.
An der Förderschule bleibt niemand sitzen
Viele kommen in den ersten Jahren noch nicht an ihre Lernpotenziale heran, sagt Petermann. Sie kooperieren nicht, können Aufgaben nicht verstehen, das wachse aber im Laufe der Zeit. Ein Sitzenbleiben gibt es hier nicht, wäre auch gar nicht denkbar, „sonst würde mancher 16-Jährige immer noch in der ersten Klasse sitzen“, verdeutlicht sie.
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Die Tendenz zu immer mehr Diagnosen aus dem Autismus-Spektrum ist für die Sonderpädagoginnen überraschend. Ebenso auffällig: Der Anstieg von Kindern aus bildungsfernen Milieus, aus rumänischen und bulgarischen Familien. Die Kinder seien „lebenspraktisch total fit, kommen selbstständig in ihrem Stadtteil klar, können kochen oder einkaufen, aber schulische Schlüsselkompetenzen haben sie oft nicht“, beobachtet Wedekind.
In den Herkunftsländern ihrer Familien würden sie damit womöglich gar nicht auffallen, weil sie gut klarkommen, in einer industrialisierten Gesellschaft sei Bildung aber ein hohes Gut, erklärt die Pädagogin. Dankbar sind sie für die Unterstützung durch Interkulturelle Fachkräfte, die bei den Eltern vermitteln, sprachlich natürlich, aber auch die kulturellen Hürden berücksichtigend.
Kommunikation über Gebärden oder Piktogramme
Gebärden und Piktogramme sind an der Waldschule ebenfalls ein wichtiges Kommunikationsmittel. Die Lehrerinnen und Lehrer machen die Zeichen mit den Händen immer wieder vor, damit die Kinder sie sich abgucken können. Auch komplexe Sprachausgabegeräte können helfen. Und jahrelanges Training. Aufs Klo müssen, Hunger haben, sich unwohl fühlen, wenigstens das sollen die Schüler äußern können.
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Die Gesten sind den Schulleiterinnen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sie im Gespräch miteinander nutzen. Für sie ist klar: „Jedes Kind soll einen Kanal finden, um sich mitteilen zu können.“
Berufspraxiszentrum für Förderschüler
- Am Standort Hitzestraße ist eine weitere GG-Förderschule geplant. Zusätzlich soll hier für alle GG-Förderschulen ein Berufspraxiszentrum entstehen. Die Leiterinnen der Waldschule halten das für extrem sinnvoll.
- Für ihre Schüler würde es einen enormen Sprung in der Selbstständigkeit bedeuten, wenn sie nach all den Jahren mal „durch ein anderes Schultor gehen dürfen“, wenn sie in einem anderen Setting ankommen, sagt Barbara Wedekind.
- An der Waldschule würden sie sich dann auf die Kinder bis Sekundarstufe 1 konzentrieren.