Duisburg. Selbst in sozialen Brennpunkten sollen Lehrer abgegeben werden, über ein Dutzend Schulen sind betroffen. Eltern machen dagegen mobil.
Die Kinder der Grundschule Pestalozzistraße in Duisburg-Rheinhausen wollen ihren Lehrer nicht kampflos hergeben. Ihre Eltern organisierten eine kleine Demo auf dem Schulhof und sammelten über 200 Unterschriften als Zeichen des Protests, mit Wolfsmasken auf den Gesichtern und auf Kommando Wolfsgeheul.
Schon länger schickt die Schulaufsicht Lehrpersonal aus anderen Städten und Kreisen temporär nach Duisburg, um den Unterricht sicherstellen zu können. Die Not ist inzwischen aber so groß, dass auch leidlich besser versorgte Duisburger Schulen Lehrer an andere Duisburger Schulen abgeben sollen: Kai Alefs, Klassenlehrer eines ersten Schuljahres, sowie eine Pädagogin wurden von der Bezirksregierung Düsseldorf abgeordnet, sie sollen für ein Jahr andernorts Lücken stopfen.
Lehrermangel an Grundschulen: Keine Bewerbungen angekommen
Insgesamt sind es laut Bezirksregierung sogar 15 Lehrkräfte, die innerhalb Duisburgs an Grundschulen abgeordnet werden sollen. Das werde „im engen Austausch“ mit Schulleitungen und Personalräten organisiert. Zum Schuljahresbeginn werde es aus Mangel an Bewerbenden keine Einstellungen geben. Erst Ende Oktober, wenn Lehramtsstudierende ihr Referendariat beenden, kommt wieder Bewegung hinein: Diese Lehrkräfte bekommen Stellenangebote mit Abordnungen nach Duisburg, so die Sprecherin.
Grundschulen in Duisburg: Viele Lehrerstellen sind nicht besetzt
Wie berichtet, fehlen an den Grundschulen besonders viele Kräfte. Zum zweiten Schulhalbjahr im Januar konnten in Duisburg lediglich fünf der 94 ausgeschriebenen Stellen besetzt werden.
Die Personalausstattungsquote lag zu dem Zeitpunkt bei 91,73 Prozent. De facto liegt sie noch darunter, weil sie Langzeiterkrankungen und Mutterschutz beziehungsweise Beschäftigungsverbote während einer Schwangerschaft nicht berücksichtigt. Auf der anderen Seite wächst aktuell jeder Einschulungsjahrgang, müssen zum neuen Schuljahr etliche zusätzliche Klassen aufgemacht werden.
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Surenaz (6): „Ich möchte nicht, dass er geht“
Sophias Welt ist in Rheinhausen, deshalb hat sie Plakate mit Herzchen bemalt. Mitschülerin Surenaz sagt, „ich mag Herrn Alefs sehr, ich möchte nicht, dass er geht“. Rezan protestiert mit, „ich finde seinen Ruf cool“. Mit Aooohh-artigem Wolfsgeheul trommelt der Lehrer regelmäßig sein Rudel auf dem Schulhof zusammen, zur großen Begeisterung aller.
Die Abordnungspläne haben für viele Tränen gesorgt, berichtet Gamze Ugurluoglu von der Schulpflegschaft. Auch ihr Sohn Efe sei traurig gewesen. Besonders absurd sei, dass die Vertretung des Klassenlehrers von einer Lehrkraft übernommen werden soll, die wiederum nach Rheinhausen abgeordnet wurde.
Hierzu erklärt die Sprecherin der Bezirksregierung, dass Lehrkräfte, die schon nach Duisburg abgeordnet sind, nicht innerhalb der Stadt erneut abgeordnet werden können, wenn sie sich nicht freiwillig melden.
„Schon durch Corona ist eine Bildungslücke entstanden, eine zweite müssen wir verhindern.““
Kurz vor der Demo kursierten Gerüchte, dass Herr Alefs womöglich doch bleiben kann. Eine Sprecherin der Bezirksregierung betonte jedoch am Montagabend, dass die Personalplanung noch nicht abgeschlossen sei.
Anderen Schulen empfiehlt deshalb Gamze Ugurluoglu, aktiv zu werden. Sie habe viele Mails geschrieben, weil es wichtig sei, sich einzusetzen: „Lehrermangel ist kein Luxusproblem“, betont die Mutter. Schon durch Corona sei eine Bildungslücke entstanden, „eine zweite müssen wir verhindern“.
Schulleiterin gerührt vom Engagement der Eltern
Mit Protestaktionen hat die Schule gute Erfahrungen gemacht. Erst vor einem Jahr gelang es ihnen, die beliebte Sozialarbeiterin zu halten. Jetzt geht es um eine der vier Vollzeitkräfte an der Schule, alle anderen sind teilzeitbeschäftigt, teilen sich Klassenleitungen, sagt Schulleiterin Daniela Franke.
Ihr geht die Protestaktion sehr nah: „Der Zusammenhalt zwischen Eltern und Lehrern ist eng, unsere Arbeit wird wertgeschätzt und so zeigen sie das.“ Wenn an einer Grundschule eine Vollzeitkraft gehe, fehle am Ende jeder Klasse etwas. Der Lehrer sei außerdem wichtig, weil überwiegend Frauen beschäftigt seien und er das einzige männliche Vorbild sei.
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Hoher Schulsozialindex: Eigentlich müsste die Schule mehr Personal bekommen
Die Grundschule in Rheinhausen hat einen Schulsozialindex von 8, über 20 Nationen sind hier vertreten. Sie gehört also zu jenen hochbelasteten Schulen, deren Schülerschaft aus überwiegend armen Familien stammt, deren Familiensprache nicht Deutsch ist, die selbst aus dem Ausland zugezogen sind oder die einen hohen Förderbedarf haben.
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Das Schulministerium will mit dem Index die sozialen Herausforderungen identifizieren und „bestimmte Ressourcen zielgenauer auf die Schulen verteilen“, höher belastete Schulen besser unterstützen bei ihrer herausfordernden Arbeit.
Dass also ausgerechnet eine solche Schule Personal abgeben soll, klingt absurd, findet Gamze Ugurluoglu von der Schulpflegschaft. Damit das System funktioniert, seien alle Lehrer zu Überstunden bereit, setzen sich ein. „Und wenn Kinder einem Lehrer hinterherweinen, dann hat er ja wohl was richtig gemacht.“
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Dieser Artikel wurde erstmals am 24. Juni 2024 veröffentlicht.