Duisburg. Frontalunterricht? Gibt es quasi nicht. Technische Innovationen dafür umso mehr. Eine Duisburger Schule setzt konsequent auf KI – mit Erfolg.
Seit zehn Jahren gibt es die Sekundarschule Am Biegerpark inzwischen. Fünf davon steht Schulleiter Pavle Madzirov an der Spitze. Es sind die prägenden Jahre: Unter seiner Führung hat sich die SAB zu einer Schule entwickelt, an der Mensch und Technik gleichermaßen im Fokus stehen. Madzirovs aktuelles Projekt: KI. Seine Bücher zum Thema stehen auf den Amazon-Bestseller-Listen, dennoch winkt er ab: Ein Experte sei er nicht. Spannendes zur Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts hat er trotzdem zu erzählen.
An Ihrer Schule gibt es Playstation im Unterricht, Drohnen, KI und Virtual Reality. Haben Ihre Lehrer überhaupt noch Zeit für den verschrienen Frontalunterricht?
Frontaler Unterricht ist phasenweise durchaus sinnvoll. Wenn ich eine Input-Phase habe, dann gibt es auch bei uns frontalen Unterricht. Wenn es bei uns 45 Minuten oder 90 Minuten am Stück frontalen Unterricht gäbe, würde mich das sehr wundern. Wer heutzutage meint, man erreicht Kinder, indem man 45 Minuten auf sie einredet oder länger, der mag das für sich so entschieden haben. Ich glaube nicht, dass das zeitgemäß ist, und ich glaube auch nicht, dass Kinder bei 45 Minuten Frontalunterricht mehr lernen, als wenn man es auflockert mit kooperativen Lernphasen, mit Medieneinsatz. Weder Frontalunterricht in Reinform noch freie Lernform in Reinform sind das, was zum Erfolg führen. Es ist eine gute Mischung.
Was macht die SAB aus Ihrer Sicht aus?
Unser Konzept ist unabhängig von jeder Schulform. Unser Grundgedanke ist, dass wir die Kinder dort abholen, wo sie stehen, und das mit Unterstützung der modernsten Lernmethoden und digitalen Unterstützungstools, die es gibt. Jeder kann mit seinen innovativen Ideen kommen, jeder wird gehört.
- Die WAZ-Lokalredaktion Duisburg hält Sie auch hier auf dem Laufenden: zum WhatsApp-Kanal +++ Duisburg-Newsletter gratis ins E-Mail-Postfach schicken lassen +++ WAZ Duisburg bei Instagram +++ WAZ Duisburg bei Facebook
Erst Dienstag haben wir in der Schulkonferenz die KI-Nutzungsbedingungen für unsere Schule erarbeitet. Die Schüler haben es geschafft, die Eltern und vor allen Dingen die Lehrkräfte davon zu überzeugen, dass wir eine Passage ändern. Eigentlich war der Vorschlag, KI-Tools dürfen nur genutzt werden, wenn es explizit ausgezeichnet ist in der Aufgabe. Eine Schülerin hat argumentiert: Ich habe meine Recherche über Google gemacht, habe das von der KI verarbeiten lassen, habe damit die Präsentation erstellt, und das wäre nicht möglich, wenn es nicht explizit da stehen würde.
Dann haben wir diskutiert und sind auf die Lösung gekommen: In Zukunft wird es möglich sein, bei jeder Aufgabe, die gestellt wird, KI-Tools in Absprache mit der Lehrkraft zu nutzen – wenn die Lehrkraft die Argumentation der Schüler versteht.
Sie nutzen KI nicht nur im Unterricht, sondern auch in Ihrer Arbeit als Schulleiter. Können Sie mir ein, zwei Beispiele nennen?
„Ich kann Ihnen 135 Beispiele für KI in meiner Arbeit geben.“
Ich kann ihnen 135 Beispiele geben. Ich habe nach und nach für jeden Arbeitsprozess, der nicht am Menschen und mit Menschen ist, eigene Bots gebaut, und die nutze ich täglich. Ich habe soeben mit KI-Unterstützung ein Schutzkonzept für unsere Schule geschrieben von 35 Seiten. Dafür habe ich 15 Minuten gebraucht. Diese Arbeit hätte eigentlich Monate gedauert. Jetzt kann ich das direkt in die Gremien bringen als inhaltliche Diskussionsgrundlage. Oder die Verteilung auf Klassen: Welches Kind kommt in welche Klasse? Das hat früher Wochen gedauert. Jetzt macht das die KI.
Warum sollte ich als Lehrer an Ihre Schule gehen?
Alle zwei, drei Jahre evaluieren wir jeden Themenblock. Jeder wird hier evaluiert, anonym, online, auch die Schulleitung. Wir werden im nächsten Jahr die große Evaluationsrunde nochmal starten zum gesamten Konzept, das gab es schon mal. Die Zufriedenheitsquote an dieser Schule lag damals bei über 90 Prozent. Das merken wir auch am Zustrom von Lehrkräften. Wir steuern die 100-Prozent-Personalquote an. In fünf Jahren haben wir hier über 45 Personen eingestellt, das ist ein Wert in Duisburg, der, glaube ich, einzigartig ist.
Was wir hier versuchen, ist eine andere Form von Schule, eine andere Form von Atmosphäre und eine andere Form von Beteiligung. Ich entscheide nichts alleine. Gar nichts, null. Der erste Filter ist das Schulleitungsteam. Dann gibt es die ganzen Gremien, von den Jahrgangsstufen-Teams bis zu den Eltern. Hier wird geführt wie in jedem modernen Unternehmen, und das im Beamtentum. Wenn Sie heute als Arbeitgeber nicht interessant sind, dann haben sie auch im Bereich Schule ein Problem. Sie haben eben ein paar Projekte genannt. Niemand kommt wegen einer Playstation zu einer Schule, aber das unterscheidet uns.
„Ich entscheide nichts alleine. Gar nichts, null.“
Trotzdem sind Sie weiterhin auf Zuweisungen angewiesen, um Ihre Klassen zu füllen. Warum überzeugen Sie die Eltern nicht?
Die Anmeldezahlen spiegeln das wider, was wir als Gesellschaft vorgeben, und das ist: Ohne Abitur bis Du heutzutage wenig wert. Die Schulformen, die das Abitur anbieten, sind die Schulformen, die nachgefragt werden. Schauen Sie sich die Neubaugebiete in Huckingen an. Es werden wenig Menschen dahin ziehen, die eine andere Schulform als das Gymnasium für ihr eigenes Kind wollen.
Am Anfang gab es hier so viele Zuweisungen, dass teilweise zwei, drei Klassen von der Gesamtschule kamen. Im letzten Jahr waren es keine 20 mehr. Der Vorteil, weshalb immer mehr Eltern sich doch für uns bewusst entscheiden und nicht zugewiesen werden müssen, sind die kleinen Klassen. Im Durchschnitt sind wir jetzt bei 25 Schülern, Tendenz leider steigend. Diese kleinen Klassen gibt‘s nur an der Sekundarschule, an der Gesamtschule und am Gymnasium gibt‘s diese Klassengröße nicht.
Wir kooperieren mit der Gesamtschule Süd: Jedes Kind, das hier die Qualifikation für die Oberstufe hat, hat dort einen Platz sicher. Wenn man Erfolg messen wollte, müsste man sehen, wie viele Kinder mit Oberstufen-Qualifikation generieren wir aus den Schülern, die wir bekommen? Da sind die Zahlen wie an jeder Gesamtschule auch: Die Drittelparität erreichen wir auch am Ende. Wir fangen aber nicht mit einem Drittel Gymnasiasten an. Wenn ich mir anschaue, mit welchen Empfehlungen die Kinder hier hinkommen und welchen Abschluss sie am Ende von Klasse zehn haben, dann ist die Sekundarschule hier vor Ort eine absolute Erfolgsgeschichte.
Allmählich wird es für die Sekundarschule Am Biegerpark eng, trotz inzwischen zweier Standorte. Wie blicken Sie auf die Pläne für den Neubau? Bis 2028 soll er stehen.
Haben sie einen Ausführungs- und Finanzierungsbeschluss gesehen? Ich noch nicht. Bisher habe ich nur eine sehr gute Planung vorliegen. Da würden wir räumliche Rahmenbedingungen vorfinden, die dem gerecht werden, was unser Konzept so wertvoll macht: offene Lernlandschaften; Formen, die nicht durch ein Gebäude vorgegeben sind, was ein Konzept von vor gefühlten 100 Jahren zur Grundlage hat.
Aber eine nette Planung hatten wir jetzt schon zweimal. Deshalb konzentrieren wir uns auf das, was wir haben. Damit arbeiten wir täglich. Jetzt muss der Schulträger handeln. Wir haben seit über einem Jahr unsere Sachen erledigt, alles liegt vor unsererseits, die Planung liegt vor. Jetzt muss politisch der letzte Schritt gegangen werden, und dann müssen die Bagger rollen. Bei den ganzen Neubaugebieten, die ich sehe, ist das zwingend notwendig. Ich habe keinen einzigen freien Raum am Knevelshof mehr. Der Neubau muss her, und er muss schnell her.
In Wanheimerort ist eine neue Gesamtschule geplant. Wie wird sich diese Konkurrenz auf die SAB auswirken?
Wir sehen diese Schule nicht als Bedrohung oder Konkurrenz, sondern als weiteren Baustein hier in Mitte/Süd. Wie schnell der Bau vorangeht, ob der Elternwille da dann so ist, dass die ausreichend Anmeldungen haben, das wissen wir alles nicht. Jede Schule hat es am Anfang schwer.
Aus der Politik gibt es einen Beschluss, Ihre Schule in eine Gesamtschule umzuwandeln. Was würde sich dadurch ändern?
Welches Schild vorne an der Tür steht, ist uns völlig egal. Wir haben hier Sek1-Lehrer, wir haben Sek2-Lehrer. Vom Kollegium her, vom Konzept her würde sich bei uns nichts ändern. Wir haben dieselben Lehrpläne. Uns ist viel wichtiger: Wir sind jetzt etabliert, man kennt uns, man schätzt uns. Das neue Gebäude, das wäre ein Quantensprung. Ob an dem Gebäude Sekundarschule steht? Das würden wir uns wünschen, aber das ist nicht das Entscheidende.
Sie leiten die SAB seit 2019. Was sind Ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre?
Wir haben uns als Schule etabliert im Bereich der Digitalisierung und sind auch führend, das heißt, hier sehen wir keinen zusätzlichen Handlungsbedarf. Was wir uns vorgenommen haben: Durch den Fachkräftemangel im Bereich Pflege, Handwerk etc. möchten wir uns noch stärker im Bereich Berufsvorbereitung aufstellen, um die Anzahl derer, die in eine Ausbildung gehen wollen, zu erhöhen.
Der andere Schwerpunkt ist die Rolle der künstlichen Intelligenz. In zwei Fächern haben wir das schon in Unterrichtsreihen gegossen. Wir haben freiwillige Workshops, und wir werden jetzt die Lehrpläne in jedem Fach sinnvoll ergänzen.
Ein Beispiel: Sie haben das Thema Gedichtanalyse in Klasse zehn. Erst hat ein Schüler das Gedicht selber analysiert, hat dann mit der KI seine Gedichtanalyse beurteilen lassen, mit Verbesserungsvorschlägen, und hat sich dann hingesetzt und die verbessert. So ist der Lerneffekt viel höher, als wenn wir sagen: Analysieren wir das Gedicht.
Wir wollen die KI als Lernbegleiter installieren, dann wollen wir die für jeden, der hier arbeitet, als Assistenten installieren, damit wir wieder alle mehr Zeit haben, um gerade an den sozialen Kompetenzen auch wieder arbeiten zu können.
Arbeiten mit KI ist die Zukunft in jedem Beruf, und dafür versuchen wir, die Schüler fit zu machen.
>> SAB IM DUISBURGER SÜDEN: GRÖSSER ALS GEPLANT
- Die Sekundarschule Am Biegerpark war ursprünglich als vierzügige Schule konzipiert: Laut Schulleiter Pavle Madzirov sollten sie 450 bis 600 Kinder besuchen.
- In seinem ersten Jahr als Schulleiter wurde die SAB auf eine sechszügige Schule erweitert. Heute besuchen sie mehr als 850 Schüler.