Duisburg. Den Sieg der Türkei bei der EM feiern viele Fußballfans in Marxlohs Cafés und Teestuben. Neben Autokorso und Jubelgesang gibts auch Unschönes.
Viele Fans haben am Dienstagabend im Duisburger Norden frenetisch den 3:1-Sieg der türkischen Nationalmannschaft in deren EM-Auftaktspiel gegen Georgien gefeiert. Das sorgte teilweise für Verkehrschaos.
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Dass es bei einem Sieg mindestens zu einem Autokorso kommen würde, war lange vor Anpfiff ein offenes Geheimnis. Dabei sah Marxloh zunächst kaum nach einem fußballverrückten Stadtteil aus. So schmückten nur wenige rote Türkeifahnen mit dem Sichelmond die Hausfassaden, Fenster und Balkone.
Gegen 17.45 Uhr, nur wenige Minuten vor Spielbeginn, war etwa das beliebte Schnellrestaurant Pera am Pollmannkreuz ziemlich voll. Viele Paare und Familien aßen dort auf zwei Etagen gemütlich ihr Abendessen. Doch einen Fernseher oder eine Leinwand suchte man vergebens. Durch einen Umbau zeigte auch das Incir Café das Fußballspiel nicht, und im gut besuchten Café Femm lief ebenfalls keine Live-Übetragung.
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Überraschende Läden fürs Public Viewing in Duisburg-Marxloh
Dafür gab es entlang der Brautmodenmeile, ergänzend zu den Wettbüros, überraschende Läden fürs Public Viewing. Dass die Fußballspiele um 15 und 18 Uhr in seinem neuen Geschäft gezeigt werden, sah Sinan Karakaş, der Inhaber von „Nan‘s Backshop“, als eine gute Möglichkeit, im Stadtteil bekannt zu werden. Erst seit rund drei Monaten hat er geöffnet.
„Wir fiebern immer mit. Mit der deutschen und der türkischen Mannschaft“, sagte er. Zum Publikum gehörte der 16-jährige Özbey Özüpek aus Röttgersbach, der mit ein paar Kumpeln und anderen Stammkunden den Türken die Daumen drückte. „Die Stimmung ist super“, fand der Schüler; Freunde, warme Baguettes und was zu trinken, genauso stellte sich Özbey Özüpek einen Fußballabend vor. Den konnten auch ein paar Internetprobleme, die ab und an das Bild einfroren, nicht zunichte machen.
„Wenn wir gewinnen, wird unsere Party noch größer als zur Meisterschaft von Galatasaray“, sagt der Jugendliche schon anfangs der ersten Halbzeit voraus. Diese Meinung teilen im Laufe des Abends auch viele Duisburger, die Fans des Galatasaray-Rivalen Fenerbahçe Istanbul sind. Sie sollten Recht behalten.
In der Konditorei Sabah Börekçisi lief gegen 18.30 Uhr auch das Türkei-Spiel. Doch die meisten Familien, Jugendlichen und sogar die meisten Männer waren hauptsächlich zum Essen und zum Reden ins Lokal gekommen. Viele saßen mit dem Rücken zum Fernseher oder lünkerten nur ab und zu auf den Bildschirm. Dennoch freuten sich die Gäste, dass die Konditorei die Partie zeigte.
Emotionale Achterbahn für Anhänger der türkischen Nationalmannschaft
Lauter Jubel kam auch aus dem Elektrofachgeschäft Dadaş Sat, wo nach Ladenschluss sechs Freunde privat den türkischen EM-Auftakt im türkischen Fernsehen verfolgten. „Hier sind alle, die zu Hause keine Frauen haben“, flachste Ercan Ergezer und lachte mit seinen Freunden. Der Gegner Georgien (oder Gürcistan, wie es auf dem Bildschirm stand) ließ nach dem 0:1 aber nicht locker und schoss schnell in der 32. Minute den Ausgleich. „Das gibt‘s doch nicht!“, klagten die Fußballfans.
Sie litten mit jedem Spielfehler und lobten jede gute Aktion. Plötzlich ist der Ball im Netz. Die Männer reißen jubeld die Arme hoch und springen aus den Sitzen. Doch es war Abseits. Kein Tor. Diese Achterbahn der Gefühle gehört für die Freunde aber zum Fußball dazu und so waren sie schon lange vor der nächsten Führung sicher, dass sie zum nächsten Türkei-Spiel wieder zusammenkommen.
Beliebter Treffpunkt bei der Jugend: Gut 80 Fußballfans schauen das Spiel im Cay‘la Café
Das wohl größte Public Viewing an Europas größter Brautmodenmeile gab es am Dienstagabend im Cay‘la Café. Im Saal und im Innenhof flimmerte das Spiel jeweils von einer Leinwand, drinnen die Übertragung im ZDF, draußen vom türkischen Fernsehen. Gut 80 Fußballfans waren gekommen, meistens junge Leute und auffällig viele sportbegeisterte Frauen. Zahlreiche türkischstämmige Marxloher seien nach Dortmund gefahren oder schauen in der eigenen Wohnung, sagte Süleyman Özbek aus der Betreiberfamilie. Er freute sich über die vielen gutgelaunten Gäste.
„Als wir hier alle die Nationalhymne gesungen haben, war das ganz anders als zu Hause“, beschrieb Eslem Karahan, was für sie die besondere Stimmung beim Rudelgucken im Cay‘la Café ausmachte. Sie und andere feierten jedoch vor allem, dass ihre gemeinsame Freundin Ece Iscan jetzt gelernte Verwaltungsfachwirtin ist. Dass das Lokal keinen Alkohol verkauft und dass dadurch die Gäste „ganz ohne Stress“ die Partie verfolgen konnten, war für die drei jungen Frauen auch ein Bonus. Später würden sie ihre Fahnen auspacken und im Auto hupend durch den Duisburger Norden fahren.
Mit Freundinnen ist auch İlayda Kubatoğlu nach Marxloh gekommen. Die Atmosphäre sei „viel cooler“ als in Dinslaken und der Torjubel gewaltiger. Emotionaler wäre es aber auf der heimischen Couch geworden, denn „meine Eltern rasten zu Hause bestimmt mehr aus“.
Adrenalin im Blut hatten auch die Fußballfans ein paar Straßen weiter im türkischen Café Marienhof. Wild gestikulierend wurde jedes Foul gegen die Nationalmannschaft kommentiert, und beim 2:1 hielt es die Männer nicht auf ihren Stühlen. Vor allem nicht Ahmet Aygüneş, der als Bayern- und MSV-Anhänger eine schlimme Saison hinter sich hat. Umso mehr bejubelte er den ersten Erfolg der Türkei bei der EM. Die spätere Siegesfeier musste er aussetzen, für den Stahlarbeiter stand die Nachtschicht an.
Verkehrschaos und große Fußballparty mit rotem Fahnenmeer
Tatsächlich ließ die Fußballparty vorm Hamborner Rathaus und dem Amtsgericht etwas auf sich warten. Was mit einem überschaubaren Autokorso im Regen auf der Weseler Straße begann, wuchs in den Minuten nach 20.30 Uhr immer weiter an. Die Weseler Straße, der Willy-Brandt-Ring und auch der Hamborner Altmarkt waren schnell dicht.
Gegen 20.50 Uhr musste die Polizei an zahlreichen großen Kreuzungen den Verkehr regeln, während die türkischen Anhänger laut hupten und ihre Fahnen schwenkten. Doch schließlich fanden zighunderte Menschen im gemeinsamen Siegestaumel zusammen und verwandelten den Vorplatz des Hamborner Amtsgerichts gegen 21.30 Uhr in eine rotbeflaggte Partymeile.
Aus ganz Duisburg, aus Essen oder Mülheim kamen sie, viele junge Leute, hüpfend, tanzend, singend. „Türkiye! Türkiye!“ riefen sie, lagen sich in den Armen und ließen sich die Begeisterung auch von der zahlreich anwesenden Polizei nicht verderben. Dass es friedlich blieb, bestätigte Polizeisprecherin Bettina Balter gegenüber der Redaktion.
„Wir sind alle sehr stolz auf unseren ersten EM-Sieg, der war so wichtig“, freute sich Duygu Erdoğan aus Rheinhausen. Ihr konnte Mehmet Aslan nur zustimmen: „Bei der letzten EM haben wir grottenschlecht gespielt, aber diesmal sind wir richtig gut.“
Politisches Statement im Siegestaumel: Wolfsgruß der türkischen Rechtsextremisten
So fröhlich und friedlich die vielen Menschen auch im Duisburger Norden feierten, dennoch zeigten sich unschöne Szenen, als die Fans einige Foto- und Videokameras erblickten. Vereinzelt zeigten junge Leute daraufhin den Wolfsgruß der türkischen Rechtsextremisten, der Grauen Wölfe. Die Handgeste symbolisiert, dass die Welt den türkisch-islamischen Stempel aufgedrückt bekommen soll.
Der Wolfsgruß sei bei der Feier „nicht durchgehend“ benutzt worden, die Polizei habe ihn „nur vereinzelt“ wahrgenommen, resümierte Balter am Mittwochnachmittag. Zudem betonte sie, dass diese Geste der türkischen Rechtsextremen in Deutschland nicht strafbar sei. Darf der Wolfsgruß in Duisburg somit als jugendliche Provokation verstanden werden? Abseits der Kameras wurde er am Dienstagabend nicht offensichtlich benutzt. Ohnehin bejubelte der Großteil der Feiernden den Auftaktsieg bei der Europameisterschaft, ganz ohne politische Statements oder rechtsextreme Provokationen.
Die nächste große Siegesparty mit Autokorso könnte schon am nächsten Samstagabend folgen, sollte die Türkei auch gegen Portugal gewinnen.