Duisburg. Familien, die sich monatlich über 10.000 Euro erschleichen: Sozialleistungsbetrug läuft organisiert. Einblicke aus Duisburg in den Kampf dagegen.
Durch Betrug beim Bezug von Bürgergeld, Kindergeld und anderen Sozialleistungen kommen schnell Millionensummen zusammen. Zur Aufdeckung und Bekämpfung hat die Stadt Duisburg vor drei Jahren eine eigene Stabsstelle eingerichtet. Obwohl die Fortschritte mühsam sind, zeigen sich erste Erfolge.
Duisburger Stabsstelle soll personell verstärkt werden
Über Methoden des Leistungsbetrugs können wohl nur wenige so gut referieren wie Jörg Lange: Etwa die einer zwölfköpfigen Familie, die es mit Kindergeld, Kinderzuschlag und einem geringen Einkommen auf über 10.000 Euro im Monat brachte. So weit, so legal – wenn die in Duisburg gemeldete Familie tatsächlich in der Stadt gelebt hätte.
Der Verwaltungsfachwirt hat im November 2021 die Leitung der „Stabsstelle gegen Sozialleistungsbetrug“ im Ordnungsdezernat der Stadt übernommen. „Dem ging eine Diskussion um organisierten Leistungsbetrug im Zuge der starken Zuwanderung aus Südosteuropa voraus“, erinnert Dezernent Michael Rüscher. „Wir wollen verhindern, dass es dazu kommt.“ Mit zwei Stellen ist die Stabsstelle gestartet, eine dritte soll bald besetzt werden.
Die großen Missbrauchsfälle seien oft „organisiert oder gut beigebracht“, sagt Lange, der zuvor 31 Jahre in der Ausländerbehörde und von 1999 bis 2001 im Sozialamt tätig war. Dabei, betont er, dürfe man nicht die Südosteuropäer unter Generalverdacht stellen: „Betrogen wird auch bei Jan und Pit. Mit unserer Arbeit wollen wir die schützen, die sich hier ein besseres Leben erarbeiten wollen. Wir brauchen Arbeitskräfte.“ Auch Michael Rüscher verweist auf Programme wie „Arrival City“ und das Kommunale Integrationszentrum (KI): „Wer hier herkommt, um sein Leben durch seiner Hände Arbeit zu gestalten, dem helfen wir.“
Risiko Kindergeld: Anspruch wird nur einmal vor Volljährigkeit geprüft
Dass es organisierten Missbrauch gibt, deckt seit 2017 die „Task Force“ der Stadt immer wieder auf. Eine immer wieder praktizierte Methode: Der Erwerber einer Schrott-Immobilie vermietet formal an Leistungsbezieher, tatsächlich wird aber häufig ein Zimmer oder, wenn auch seltener, die gesamte Wohnung untervermietet – all das zumeist auf Kosten des Jobcenters. Eine Ahnung geben Zahlen wie diese: Nach einer Kontrollaktion von 140 Wohnungen am Erlinghagenplatz in Friemersheim im August 2023 wurden 98 Personen von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet, weitere 160 Menschen wohnten tatsächlich woanders.
Am häufigsten werde beim Kindergeld betrogen, sagt Lange. „Es ist der einfachste Weg, die höchste Summe zu bekommen, ohne etwas zu tun.“ Außerdem war die Entdeckungsgefahr lange gering, denn: „Kindergeld zahlt die Familienkasse. Der Anspruch wird nur einmal geprüft, dann bis zur Volljährigkeit nicht mehr.“
Familienkasse ist bei Task Force-Einsätzen mit dabei
Dieses Dilemma ist auch der Familienkasse längst bekannt. Seit 2017 ist sie nicht nur bei Einsätzen der Duisburger „Task Force“, sondern auch bundesweit bei Aktionen gegen „bandenmäßigen Leistungsmissbrauch“ dabei, berichtet ein Sprecher der Agentur für Arbeit NRW, der die Familienkassen zugeordnet sind. Das zeigt offenbar Wirkung: Seit 2019, da wurden 793 Fälle mit einem Gesamtschaden von 23,9 Millionen Euro aufgedeckt, sank die Zahl der dabei ermittelten Betrügereien bis 2023 auf 264 Fälle (Schaden: 4,4 Millionen Euro).
„Entscheidend für den Erfolg ist der Daten-Austausch zwischen den Behörden“, betont Jörg Lange. „Ich empfehle denen, die hilfreiche Informationen besitzen, sie an die weiterzugeben, die sie für ihre Arbeit brauchen. Dann kann man genauer hinsehen.“ Es gelte, so der Stabsstellenleiter, „an vielen Baustellen Schräubchen zu drehen und die Frage zu stellen: Kann man es besser machen?“
Sozialgeheimnis und Datenschutz erschweren Informationsaustausch
Die Grenzen für die Ermittlungen setzt der Datenschutz. „Das Sozialgeheimnis ist ähnlich hoch angesiedelt wie das Steuergeheimnis“, sagt Lange. Konkret heißt das: Leistungsträger wie Jobcenter und Familienkasse dürfen Daten zwar untereinander austauschen, nicht aber mit anderen Behörden. „Ich darf nicht wissen, wer Sozialleistungen bezieht“, erläutert Lange. Es gelte deshalb, „rechtliche Möglichkeiten zum Datenaustausch dort aufzuzeigen und zu etablieren, wo es möglich ist. Dabei sitzt der jeweilige Datenschutz-Beauftragte der nichtstädtischen Institutionen stets mit am Tisch.“
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Auch in die Gegenrichtung flossen die Informationen lange gar nicht oder mit langer Verzögerung: Wenn Kinder nicht an der Schule angemeldet wurden oder nicht zur Schuleingangsuntersuchung kamen, erfolgten zwar Meldungen von Schulamt und Gesundheitsamt ans Jugendamt oder das Meldeamt, nicht aber an die Familienkasse. Wurden Personen von Amtswegen abgemeldet, erfolgte die Meldung automatisch ans Bundeszentralamt für Steuern, nicht aber an die Familienkasse.
Fälschungssicherere Schulbescheinigungen sollen bald kommen
Dieses Verfahren hat sich bereits vor Einrichtung der Stabsstelle geändert: Meldungen erfolgen in Duisburg direkt an die Familienkasse, die dann nicht nur den Kindergeldbezug prüfen kann, sondern auch das Jobcenter informieren darf, wenn Personen bei einer Meldekontrolle nicht anzutreffen sind. Erschwert werden soll Kindergeld-Betrug auch durch fälschungssichere Schulbescheinigungen. Nach einem Modellversuch in drei NRW-Städten will auch Duisburg damit bald den Leistungsbetrug erheblich erschweren.
Es gelte, durch bessere Kooperation in den Behörden Erfolge zu erzielen, sagt Jörg Lange. „Wir können nicht auf eine Vereinfachung des Datenschutzes warten, auch Evaluierungen in den Bundesministerien dauern Jahre.“ Mit seinen Vorschlägen zielt er deshalb vor allem auf die Verbesserung der verwaltungsinternen Abläufe, weniger auf Einzelfälle.
Was hat die Einrichtung der Stabsstelle in zweieinhalb Jahre in Euro und Cent eingebracht? „Ich kann es nicht verifizieren, weil ich die Informationen nicht erhalte“, sagt der Stabstellen-Leiter.
PROJEKT MISSIMO: DAS BRINGT ZUSAMMENARBEIT DER BEHÖRDEN
- Auf die Behörden-übergreifende Zusammenarbeit setzt auch das Projekt „Missimo“ des Landeskriminalamtes NRW bei der Bekämpfung von organisiertem Kindergeld-Missbrauch.
- Zuletzt gab es im April eine gemeinsame Aktion von Polizei, Familienkasse West und der städtischen Stabsstelle im Duisburger Norden.
- Die Bilanz: Bei 78 von 300 kontrollierten Anschriften ergaben sich Zweifel daran, dass die dort gemeldeten Personen jemals dort wohnhaft waren. Weitere Unstimmigkeiten im Melderegister, Hinweise auf Scheinwohnsitze und Erkenntnisse zur Schulabwesenheit gingen an die zuständigen Ämter.
- „Durch die Beendigung des Missbrauchs stellen wir uns schützend vor die arbeitenden Menschen und jene, die Hilfen berechtigterweise in Anspruch nehmen“, betont Polizeipräsident Alexander Dierselhuis, der gemeinsam mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die Aktion begleitete.