Duisburg. Seit der Netflix-Serie „The Witcher“ gilt Mittelalter-Musik plötzlich als cool. Davon profitiert Axel Hain: Der Duisburger ist Geigenbauer.

Holz und Schafsdarm – mehr brauchte Antonio Giacomo Stradivari nicht, um aus seinem Namen eine Marke zu schaffen. Den Vorlagen des berühmten Maestros eifern Geigenbauer bis heute nach. Das Handwerk ist selten: In ganz Deutschland üben wenige hundert Menschen diesen Beruf aus. Axel Hain aus Duisburg ist einer von ihnen.

Plötzlich ist Geige wieder cool – dank Musik aus „The Witcher“

Geigenbau ist ein Nischenberuf, bei Hain buchstäblich: Eine Ecke seiner Küche hat er abgeteilt zur Werkstatt. Geige und Cello entstehen dort unter seinen Händen und Hobeln, auch Gamben; gerade liegt eine in Rohform auf der Werkbank. „Da gibt es eine spezielle Szene für“, sagt der Großenbaumer, Mittelalter- und Renaissancemusik ist nicht zuletzt dank entsprechender Märkte und Netflix-Serien wie „The Witcher“ angesagt. Beim Kontrabass ist Hain allerdings raus: „Bässe bauen ist wie Schrankbau.“ Zu groß für seine Küche.

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Die Werkstatt in der eigenen Wohnung „ist in der Tradition der Geigenbauer“, sagt Hain. Weitere Inspiration wie Erinnerung an „die goldene Zeit bis Mitte des 18. Jahrhunderts“ hängt in Form von Postern unter einer Reihe Geigen an der Wand: Instrumente von Stradivari, von Giuseppe Guarneri. Beide stammen aus Cremona, einer Stadt im Norden Italiens, „das ist das Zentrum des Geigenbaus“. Natürlich reiste auch Hain dorthin, zur Triennale 2015, „das ist die inoffizielle Weltmeisterschaft der Geigenbauer“. Und erreichte mit einem Cello nach dem Vorbild eines Streichers von 1693 den siebten Platz.

Instrumente von Stradivari und Co. sind Vorbild heutiger Geigenbauer

Bis heute geben die historischen Instrumente aus den Werkstätten von Stradivari und Co. den Ton auf dem Musikmarkt an. „Wir versuchen, diese Instrumente mit unserem eigenen Stil nachzubauen“, sagt Hain. Sein Stil: Das ist zum Beispiel die Schnecke, die bei seinen Celli und Geigen aussieht wie gewachsen.

Die Schnecke von Axel Hains Geigen sieht aus wie gewachsen. Sie ist ein Markenzeichen des Duisburger Geigenbauers.
Die Schnecke von Axel Hains Geigen sieht aus wie gewachsen. Sie ist ein Markenzeichen des Duisburger Geigenbauers. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

180 Arbeitsstunden dauert es, bis eine Geige gebaut ist, 250 sind es bei einem Cello – „weiß“, wie der Handwerker sagt: ohne Lack, der – nach zeitgenössischer Rezeptur – dem Streicher seinen Glanz verleiht. Ahorn für den Boden und die Zargen, die Seiten des Instruments; Fichte für die Decke: Sein Grundmaterial kauft Hain in Blöcken beim Tonholzhändler: Die Fichte stammt „aus Höhenlagen der Alpen“, denn dort wachsen die Bäume wegen der Kälte langsamer; das Holz wird dadurch fester, der Klang besser. Für Griffbrett, Saitenhalter und Wirbel nutzt der Geigenbauer Ebenholz, „natürlich aus zertifizierten Beständen“.

Der Boden jedes Instruments hobelt der Geigenbauer von Hand in Form.
Der Boden jedes Instruments hobelt der Geigenbauer von Hand in Form. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Die Zargen formt er mit Hitze und Dampf, den Boden hobelt er in seine charakteristische Form, mit dem Stecheisen bringt er das Griffbrett in Form. C-Bügel – die seitlichen Kurven, die dem Streichinstrument seine Taille verleihen – oder Hohlkehle, die Wölbung des Korpus: Ihre Form prägt den Klang der Geige, bestimmt, wie die Saiten auf Bogen und Finger reagieren, wie der Ton nachklingt. Wie der muss auch jede Bewegung des Instrumentenbauers sitzen.

Duisburger Geigenbauer hat nie eine Ausbildung in seinem Beruf gemacht

Dabei ist der Duisburger Autodidakt, hat nie eine Ausbildung zum Geigenbauer gemacht. „Da lernen Sie nur grundsätzliche Sachen: Werkzeug schärfen, Sägen, Hobeln. Am Ende haben Sie eine Geige gebaut.“ Bei ihm sind es inzwischen 25, schätzt er, seit 1998 arbeitet er in diesem Beruf. „Ich bin übers Spielen dazu gekommen.“ Das Cello ist sein Instrument, irgendwann sollte es statt des Leih-Cellos ein eigenes sein. Das Problem: Celli sind teuer. Und Hain, der ohnehin viel mit Holz arbeitete, denkt sich: „Eigentlich müsste man sowas selber bauen können.“

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Er kann; als er einem Profi sein erstes Instrument nach zwei Jahren Bauzeit vorstellt, ist der angetan. Und Hain hat mit dem Geigenbau Beruf und Berufung gefunden.

Duisburger Geigenbauer verkauft Geige und Cello europaweit

Den übt der 56-Jährige bis heute aus. Seine Instrumente verkauft er europaweit an Berufsmusiker wie ambitionierte Hobbygeiger. Das Handwerk hat seinen Preis: 6000 Euro und mehr kostet bei Finestrings, wie Hain seine Manufaktur nennt, eine Geige, ein Cello gibt es ab 8000 Euro. Teuer – und doch wenige Banknoten im Vergleich zum unerreichten wie unerreichbaren Original: „Wer sich die vier Millionen Euro für eine echte Stradivari nicht leisten kann, geht zum Geigenbauer.“

„Wer sich die vier Millionen Euro für eine echte Stradivari nicht leisten kann, geht zum Geigenbauer“, sagt Axel Hain von der Duisburger Werkstatt „Finestrings“.
„Wer sich die vier Millionen Euro für eine echte Stradivari nicht leisten kann, geht zum Geigenbauer“, sagt Axel Hain von der Duisburger Werkstatt „Finestrings“. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Oder kauft Massenware. „Auf dem normalen Geigen- und Cellomarkt sind 90 Prozent der Instrumente aus asiatischer Fabrikherstellung“, sagt Axel Hain. Doch das Spiel mit Wölbung und Dicke bekomme eine CNC-Fräse nicht so hin wie die menschliche Hand. „Die Instrumente sehen aus wie ein alter Italiener – und dann spielen Sie die und denken, Sie haben einen Schuhkarton in der Hand.“

Vergeigt.