Düsseldorf. Pater Wolfgang Sieffert, Leiter der Altstadt-Armenküche, und Streetworker Oliver Ongaro (Fiftyfifty) über sozial gerechtere Zukunftsvisionen.
„Unsere Veranstaltungen zum 30-jährigen Bestehen der Altstadt-Armenküche haben wir unter das Motto gestellt: ‘Schafft die Armenküchen ab!’“ sagt Pater Wolfgang Sieffert, Leiter der Einrichtung. „Das Gegenteil von Armut ist nicht Reichtum, sondern Gerechtigkeit.“ Soziale Gerechtigkeit spielt für den Dominikaner eine wichtige Rolle: „In der gerechten Welt, von der ich träume, brauchen Menschen keine Armenküchen mehr – alle können gut für sich selbst sorgen.“
Motivation schöpft er besonders aus seinem Glauben: „Für mich gibt es keinen christlichen Glauben, der nicht über eine bessere Welt nachdenkt.“ Schließlich habe Jesus selbst verkündet, dass der Himmel schon auf Erden anfange. Ein Christentum, dass sich nicht dafür einsetze, dass auch für möglichst viele Menschen der Himmel auf der Erde anfängt, hielte er für unglaubwürdig, so Sieffert. Solidarität und Gerechtigkeit sind für ihn ein klarer Ausdruck der christlichen Nächstenliebe.
Neben der Armenküche setzt der Pater sich gesellschaftspolitisch ein – etwa beim Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Dafür, dass bezahlbarer Wohnraum für alle entsteht, müsse der Staat im Rahmen der Daseinsvorsorge sorgen. „Es braucht ein konzertiertes Zusammenspiel von Maßnahmen von Land und Kommunen. Im Moment ist die Lage dramatisch!“ Es bräuchte politisch mehr Instrumente, um hier vorzugehen, sagt er – so, dass etwa die Stadt selbst zum Bauherren wird und Sozialwohnungen ohne zeitliche Begrenzung schafft.
Anfang der Woche beteiligte sich Sieffert am Protest gegen die Verhaftung von Gisa M., die das Straßenmagazin Fiftyfifty verkauft und für den dazugehörigen Verein auch Stadtführungen leitet. Sie war, nachdem sie wegen Fahrens ohne Fahrschein bereits vor dem Amtsgericht stand, festgenommen worden, soll ein halbes Jahr Haft verbüßen (wie berichteten).
Die ehemalige Wohnungslose war suchtkrank, ist in einem Methadonprogramm, kann sich allerdings die Bahntickets dorthin nicht leisten. „Bei Freiheitsstrafen von einigen Monaten, die ein großer Teil der Menschen im Knast verbüßt, kann der staatliche Auftrag zur Resozialisierung gar nicht erfüllt werden. Dabei werden im sozialen Kontext mehr Dinge zerstört, als besser gemacht“, sagt Sieffert, der 30 Jahre lang als Gefängnisseelsorger gearbeitet hat.
Nicht Strafe sollte im Vordergrund stehen, sagt er – sondern Wiedergutmachung und Resozialisierung. Dazu gehört auch Hilfe für die Insassen – etwa durch Ausbildung oder Therapie.
Protest gegen Verhaftung
Auch Fiftyfifty-Streetworker Oliver Ongaro protestierte gegen Gisas Verhaftung. Er betont, wie viel größer die Kosten sind, die dem Land durch eine inhaftierte Person entstehen, als der finanzielle Schaden durch das Schwarzfahren. Wegen solchen Delikten würde in seiner Utopie sicher niemand mehr ins Gefängnis müssen: „Weil der ÖPNV für alle kostenlos wäre“, betont Ongaro.
„Ich habe den Eindruck, dass uns als Gesellschaft die Utopien verloren gegangen sind“, sagt der 49-Jährige. Seit zwanzig Jahren ist er Streetworker in der Landeshauptstadt. Vorher hatte er einiges ausprobiert, etwa eine Fahrradwerkstatt betrieben, bevor er mehr oder weniger zufällig bei Fiftyfifty gelandet ist. Diesen Zufall habe er nicht bereut, jeden Tag motiviere ihn die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft und das Gefühl, jeden Tag wenigstens etwas ein bisschen besser machen zu können. „Ich halte es mit ‘Ton Steine Scherben’: ‘Ich habe geträumt, der Winter wäre vorbei’“. Und doch: „Jedes mal, wenn ich etwa an der Hochschule in ein Seminar eingeladen bin, sage ich: Ich arbeite in einem Beruf, den ich am liebsten abschaffen würde!“
In einer Welt, wie er sie sich wünscht, gäbe es nämlich keine Obdachlosigkeit, keine Armut mehr – und so würde ein Verein wie Fiftyfifty nicht mehr gebraucht. Was er dann beruflich machen würde, wisse er nicht – es gebe gesellschaftlich sicher einiges zu tun. Privat würde er sich mehr dem Wing Tsun widmen – einer Kampfkunst, in der er selbst einen Meistertitel trägt.
„Ich stelle mir auch eine Stadtgesellschaft vor, der klar ist, dass man nicht alle Bereiche der Wirtschaft dem Markt überlassen kann“, sagt er. Dazu gehöre das Thema Wohnen. „Jeder weiß, dass wir hier dringend Wohnraum brauchen. Die größte Belastung für Düsseldorfer, das hat auch eine Umfrage ergeben, sind die hohen Mieten.“
Dass trotzdem durch Grundstücksspekulation riesige Brachflächen bestehen, ohne, dass das politisch gestoppt wird, könne er nicht verstehen. „Ich glaube, man braucht für Politik auch den Mut, über den Tellerrand zu schauen!“ Mehr kooperative Formen des Wohnens, etwa Genossenschaften, könne er sich für die Zukunft vorstellen. Gegenüber Grundstücksspekulanten, die Brachflächen halten, aber auch Enteignungen. Er schätze die Demokratie sehr, sagt Ongaro, „sie ist schwer zu kombinieren mit einem Wirtschaftssystem in dem einige wenige großen Reichtum anhäufen, und andere verarmen“.
Ein Welt ohne Feindbilder
Auch über Düsseldorf hinaus denke er über eine andere Welt nach: „Eine, die nicht mehr in Nationalstaaten geteilt ist, in der keine Kriege mehr geführt werden, keine Grenzen gezogen werden.“ Er wünsche sich eine Gesellschaft, in der es weniger Feindbilder gebe. Das gelte in Düsseldorf zum Beispiel, wenn es um Jugendliche in der Altstadt geht oder Obdachlose am Worringer Platz. Es könnten Lösungen gefunden werde, abseits davon, Menschen zu vertreiben. „Es fehlt der politische Wille.“