Düsseldorf. Putin erblickt in der Wagenbauhalle von Tilly in einer Nacht- und Nebelaktion die Welt. Der Mottowagen zeigt, wie Putin an seiner Gier erstickt.
David Salomo steht im Hof des Rheinbahn-Depots, zieht an seiner selbst gedrehten Zigarette und blinzelt in die Sonne. Seine schwarzen Klamotten sind dreckig, mit Staub und bunter Farbe bedeckt. Er sieht blass und müde aus. Kein Wunder, denn zusammen mit Jacques Tilly und fünf weiteren Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus dem „Team Grossplastiken“ hat Salomo die Nacht fast durchgearbeitet. „Ja, das war schon sportlich“, sagt er. „Wir haben das auch zum ersten Mal so kurzfristig gemacht.“
Der Putin-Mottowagen ist gerade fertig geworden. Er zeigt den russischen Staatschef, der sich maximal gierig ein ganzes Land einverleiben will. Auf der blau-gelben Pappmaché mit den Umrissen der Ukraine steht: Erstick dran!!! Rosenmontag ist in Düsseldorf ausgefallen, aber im Osten Europas herrscht Krieg. Und da können Tilly und Co. nicht anders als ein Statement setzen.
Jacques Tilly: „Satire kann keine Pause machen“
Nicht weit weg von Salomo steht Wagenbauer Jacques Tilly und spricht in eine Fernsehkamera. Er habe in der Nacht zu Sonntag nicht schlafen können, erzählt er. Und immer, wenn das so sei, wisse er, er müsse jetzt was tun. „Satire kann keine Pause machen“, sagt der Künstler. Also rief er sein Team zusammen, und das war natürlich sofort dabei. Putin ginge einmal mehr über Leichen, um seine Ziele durchzusetzen. „Die Hoffnung aller ist, dass ihm das nun zum Verhängnis wird“, so Tilly zum Mottowagen, der diesmal nicht in Abstimmung mit dem CC, sondern komplett in Eigenregie die Welt erblickte.
Am Sonntag um 14 Uhr war es losgegangen mit den ersten Drahtgeflechten. Es gab viel Kaffee in der Wagenbauhalle am Steinberg, damit alle durchhalten. Es wurde geschraubt, gehämmert, gepinselt, zwischendurch gekocht. Die Tilly-Truppe arbeitete in einer Art Schichtdienst, damit der eine oder die andere wenigstens ein bisschen schlafen konnte. Und dann am Montag, um eine Minute vor 11 Uhr, zog das Team den Ukraine mampfenden Putin auf den Hof hinter die Halle. Da war die Farbe noch nicht einmal ganz trocken.
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Der Wagen rollte dann – vom Traktor gezogen – eine halbe Stunde später vom Hof und bis in den Abend hinein kreuz und quer durch Düsseldorfs Straßen. Durch Bilk, durch die Carlstadt und Altstadt, über die Brücken. Es ist mittlerweile der neunte Putin-Wagen des Düsseldorfer Künstlers.
Seit 13 Jahren hat Tilly Putin im Visier
Der russische Kriegstreiber ist seit 22 Jahren an der Macht, seit 13 Jahren hat ihn Tilly im Visier. Sein erster Putin-Beitrag im Jahre 2009 war die Reaktion auf die Morde an regierungskritischen Journalisten in Russland. Der Wagen zeigte damals den Kopf des Regierungschef als Pistole mit der Aufschrift „Putins Pressefreiheit“. Das sei immer noch sein, wenn man so will, Lieblings-Putin-Wagen, verrät Tilly. „Denn es hat sich seitdem leider nichts verändert.“ Vergangenes Jahr dann, als Corona schon einmal den Narren an Rosenmontag einen Strich durch die Rechnung machte, schickte Tilly mehrere Mottowagen durch Düsseldorf. Auch da wieder Putin mit dabei. Diesmal aber bekommt er von Regimekritiker Nawalny ein Tritt in die Weichteile.
Tilly selbst fuhr gestern nicht mit dem Mottowagen durch die Stadt, er ließ seinem Sohn Camillo den Vortritt. „Ich muss beruflich nach Köln“, so Tilly, der damit aber nicht den riesigen Rosenmontags-Demozug meinte. Dort fuhr der Düsseldorfer bereits als Pappfigur mit – Kölner Kritik daran, dass die Nachbarstadt ihren „Zoch“ eigenmächtig auf den 29. Mai verlegte.
Der Putin-Ukraine-Wagen wird aber sicher noch in den nächsten Wochen und Monaten seine Verwendung finden, betonte Tilly gestern. Ob er dann in genau dieser Form auch beim Düsseldorfer „Zoch“ Ende Mai eingesetzt wird, ließ der Satiriker offen: „Es passiert ja derzeit so viel. Wir wissen ja auch nicht, wie die Situation in der Ukraine in drei Monaten aussieht. Erst einmal hoffe ich, dass der Zug dann nicht schon wieder ausfällt“, sagte Tilly mit ernstem Gesicht.