Düsseldorf. Düsseldorfs abgewählter OB arbeitet an einem Buch, hat die Fitness verbessert und den Keller entrümpelt. Er zeigt sich selbstkritisch.
Es war der 13. September 2020, und es war gegen 18.30 Uhr, als Thomas Geisel aus seinem Büro im Rathaus runter in die erste Etage lief und sich vor die Mitglieder der SPD Düsseldorf postierte. Es war der Anfang vom Ende.
Die Stimmen zur Kommunalwahl wurden aktuell noch gezählt, aber es zeichnete sich ab, dass es in die Stichwahl geht. Und auch, dass Herausforderer Keller dort der klare Favorit sein wird. Geisel wählte kämpferische Worte, Durchhalteparolen, er schwor die Parteifreunde noch einmal für die nächsten zwei Wochen ein. Aber sein Gesicht sprach eine andere Sprache: Der Teint blass-grau, die Augen flackerten, der Mund leicht verzerrt. Als ihm später ein TV-Mikrofon zu dicht vor die Nase gehalten wurde, stieß er es wütend weg.
Die Resozialisierung hat eine Weile gebraucht
Knapp vier Monate später ist die Härte aus dem Gesicht längst wieder verschwunden. Er sitzt in der Küche der Geisel-Wohnung an der Münsterstraße in Düsseldorf-Pempelfort und rührt mit einem Löffel in einer Tasse Cappuccino, die ihm Tochter Maria gerade vor die Nase gestellt hat. Geisel lächelt und lacht viel, er wirkt komplett aufgeräumt, die Küche nicht so. „Die Entzugserscheinungen halten sich in Grenzen“, sagt der Ex-OB. „Ich bin anfangs noch immer um 4.30 Uhr aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Also: Ich habe für meine Resozialisierung eine Weile gebraucht, aber das ist jetzt vorbei.“ Geisel denkt nach. „Ich glaube, Luft zu holen, das tut mir gut“, sagt er und rührt wieder durch seinen Cappuccino-Milchschaum.
Zehn Kilometer deutlich unter 50 Minuten
Zeit, durchzuschnaufen. Und Zeit zum Laufen. Geisel ist passionierter Long Distance Runner. Während seiner Zeit im Amt schaffte er seine „Brückenläufe“ zwischen Heuss- und Kniebrücke nur an den Wochenenden. Jetzt geht er wieder deutlich häufiger auf die Strecke. „Mittlerweile schaffe ich die zehn Kilometer wieder unter 50 Minuten, das war vorher nicht so“, sagt Sportler Geisel.
Musikalisch setzt er seinen Weg ebenfalls fort. Vor Weihnachten hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt nach drei Monaten, als er mit Ruth Legelli von den Düsseldorfer Symphonikern Flötenkonzerte in zwei Altenheimen in Wersten und Eller spielte. Zuhause übt Geisel aktuell ein Flötenkonzert in G-Dur von Mozart. Nebenbei und „ehrenamtlich“, wie er betont, berät der gelernte Jurist derzeit dann noch einige Start-ups. Finanziellen Druck gibt es nicht. Geisel steht nach dem Ausscheiden aus dem Amt eine Pension von rund 4000 Euro im Monat zu.
Geisel will Rechenschaft ablegen
Schon wenige Wochen nach der verlorenen Stichwahl hatte sich Geisel hingesetzt und seine Gedanken nieder geschrieben. Die Gedanken sind geflogen. Wie es aussieht, wird vielleicht schon bald ein neues Buch von ihm über seine Zeit als Düsseldorfer Oberbürgermeister erscheinen. Der Autor sagt, er habe sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen wollen.
Das Buch wird, davon kann man ausgehen, auch die Erfolge Geisels enthalten. Der gebürtige Schwabe hat mehr als eine Milliarde für die Sanierung der Düsseldorfer Schulen ausgegeben, die Erneuerung der städtischen Bäder voran getrieben. Sein Versprechen, jedes Jahr 3000 Wohnungen auf dem Weg zu bringen, habe er gehalten, sagte er. Er hat die Mobilitätswende auf den Weg gebracht und sich dabei Schrammen eingefangen. Er hat die Tour de France nach Düsseldorf geholt, was ihm ebenfalls viel Kritik einbrachte. Er war ein nahbarer und, wie er selbst sagt, „volkstümlicher Oberbürgermeister, ohne dabei ins Provinzielle abzugleiten“.
Die Corona-Pandemie, zu der er seit jeher eine differenzierte Meinung hat, hat ihm da zuletzt einen Strich durch die Rechnung gemacht: Er kam nicht mehr an die Leute heran, im Wortsinn.
Metropole oder Dorf an der Düssel?
Geisel sieht sich als Gestalter, der alles für die Stadt in die Waagschale geworfen hat. Und er möchte nicht ausschließen, dass es seine Umtriebigkeit war, die ihm die Wahl gekostet hat. „Düsseldorf ist gespalten“, sagt er. „Da gibt es zum einen die Metropolenbewohner und zum anderen diejenigen, die das beschauliche Dorf an der Düssel bevorzugen. Wir haben sehr viel gemacht, viele Impulse gesetzt. Und ich glaube, viele Menschen wollten nach sechs Jahren Geisel, in denen viel passiert ist, einfach ihre Ruhe haben.“
Nach fast vier Monaten kann Geisel aber auch kritischer mit den eigenen Versäumnissen umgehen. „Ich habe es zugelassen, dass der eine oder andere Keil zwischen Ampel und OB getrieben wurde, auch aus der Ampel selbst“, sagt er. Aus heutiger Sicht hält er auch die Einführung der Umweltspur für einen politischen Fehler: „Wäre ich ausgebuffter gewesen, hätte ich der Umwelthilfe nicht die Hand gereicht, sondern mich von ihr verklagen lassen. Aber da bin ich nicht der Typ für.“
Der 57-Jährige will irgendwann wieder in die Politik
Das ist für ihn jetzt Vergangenheit. Thomas Geisel blickt nach vorn. Der 57-Jährige hat sein Buch fast fertig geschrieben. Den Keller an der Münsterstraße hat er auch endlich mal entrümpelt. Die Akten sind geordnet, die 10-Kilometer-Laufzeit verbessert. Was jetzt? „Ich kann mir schon vorstellen, irgendwann mal wieder politisch was zu machen“, sagt Geisel. Wo und wie, lässt er dabei offen. Die SPD ist seine politische Heimat, aber er meint auch: „Wir werden sehen, wie sich die Partei in der nächsten Zeit und das Parteiensystem überhaupt entwickelt.“ Für ihn ist entscheidend: „Politik muss wieder für Solidarität und sozialen Zusammenhalt stehen.“