Düsseldorf. Die Düsseldorfer FDP-Chefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann spricht über Motorräder, Christian Lindner, Harmoniesucht und flotte Dreier.
Treffen mit Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann in ihrem Wahlkreisbüro an der Wallstraße. Dort oben in der dritten Etage ist es freundlicher, geräumiger und lichtdurchfluteter, als es von draußen den Anschein hat. Es ist zehn Uhr am Morgen, und im Herzen der Altstadt ist gerade das Leben erwacht. Eine schöne Stimmung. Findet übrigens auch die FDP-Frontfrau in weißer Bluse und dunkelblauer Hose. „Die Atmosphäre ist aber auch nur deshalb so schön, weil die Awista bereits die Straßen vom Urin und den Fäkalien der Nacht befreit hat“, sagt Strack-Zimmermann. So ist sie, die 63-Jährige – immer einen Spruch auf den Lippen, der so manchen auch mal schlucken lässt. „Strazi“ ist berüchtigt für ihre Schlagfertigkeit. Kann man diese Frau – Politikprofi sowie dreifache Mutter und dreifache Großmutter – sprachlos machen? Ein Versuch ist es wert.
Frau Strack-Zimmermann: Ich habe meiner Tochter ein Bild von Ihnen aus dem Internet gezeigt, und sie sagte „Oh, die sieht aber streng aus“. Ich soll Sie von ihr fragen, ob Sie Ihren Kindern früher vieles verboten haben.
Ich befürchte ich war eine strenge Mutter, aber nur in bestimmten Dingen, das können Ihnen meine Tochter und meine beiden Söhne bestätigen. Ich war dann streng, wenn es etwa darum ging, wann die Kinder abends zu Hause zu sein hatten. Auch was Manieren betrifft – dass man höflich ist, sich anderen vorstellt und bitte nicht isst wie ein Ferkel. Relativ entspannt war ich allerdings, was die Schulleistungen betraf. Ich war selbst wahrlich keine gute Schülerin und habe erst an der Universität die Freude am Lernen entdeckt. Deswegen habe ich mit meinen Kindern manches mal mitgelitten, habe ihnen aber von Anfang an klar gemacht, dass ich ihnen beistehe, aber nicht bereit bin, dreimal weitere 13 Jahre mit auf die Schule zu gehen. Alle drei haben ihr Abi gemacht, also alles sehr erfreulich, aber ich habe fachlich nicht wirklich dazu beigetragen.
Sie gelten auch als streitlustig, immer schön auf Konfrontation aus. Ihr Ehemann Horst, muss er uns leid tun?
Ich bin rauflustig, wenn es um Politik geht. Im privaten Bereich hängt es von der Tagesform ab. Für mich ist mein Zuhause die letzte Bastion, der Ort, an dem ich sprichwörtlich die Füße hoch legen kann. Mein Mann und ich sind seit 42 Jahren ein Paar, von daher...
...sind Sie am Ende im wirklichen Leben noch harmoniesüchtig?
Sie werden es nicht glauben, bin ich – besonders in der Familie und im Freundeskreis, letztlich auch in der Partei. Man kann nach außen hin nicht kampflustig sein, wenn die eigenen Leute nicht zusammen stehen. Was da gerade in der CDU abgeht, wie der Kanzlerkandidat von den eigenen Leuten dutzendweise Messer in den Rücken gesteckt bekommt, das finde ich schon ziemlich mies.
In Ihren Redebeiträgen in den Ratssitzungen sind Sie oft ironisch, manchmal zynisch unterwegs. Das kommt nicht immer gut an. Ist diese – nennen wir sie mal spöttische Art – auch eine Art Selbstschutz, um es im Gremium überhaupt auszuhalten?
Na ja, manchen Beitrag in der Ratssitzung kann man wirklich nicht ganz ernst nehmen, und dass ich das dann verbal etwas kompensiere, indem ich den Betreffenden auch mal hoch nehme, das stimmt schon. Ob die betreffende Person den Fingerzeig versteht, sei mal dahin gestellt...
Thema Rat: Mit welchem Ratsmenschen – FDP-Mitglieder ausgeschlossen – würden Sie zwei Wochen Urlaub machen, wenn Sie sich jemanden aussuchen müssten?
Strack-Zimmermann denkt zum ersten Mal länger über eine Antwort nach. Sie sagt, schreiben Sie jetzt bitte nicht, ich hätte länger über eine Antwort nachgedacht.
Ich schätze Alexander Fils sehr mit dem ich lange Zeit im Planungsausschuss zusammen gearbeitet habe. Er wirkt manchmal ein wenig zerstreut, ist aber ein kompetenter Gesprächspartner, und ich habe ihn gerne unterstützt, auch als seine eigene Partei verhindern wollte, dass er erneut Vorsitzender des Planungsausschuss wird.
Mit wem aus dem Rat würden Sie denn auf keinen Fall in den Urlaub fahren?
Das ist jetzt wirklich zu viel der Gefühle, aufzuzählen, wer mir da auf den Sender geht. Klar da gibt es den einen oder die andere. Aber Namen nenne ich hier nicht, das ist doch etwas stillos. Ich habe übrigens gelernt, dass man Menschen, die man mal richtig blöd fand, durchaus positiv hat kennen lernen dürfen. Diese Erfahrung machte ich im Bundestag mit Claudia Roth. Sie war für mich ein echtes Feindbild. Wenn Sie ihr aber im Berliner Betrieb in einer kleineren Runde begegnen, dann hat Fr. Roth einen ausgesprochen hohen Unterhaltungswert. Und das meine ich wirklich positiv.
Sie haben mal getwittert: Kabinettslisten, bei denen bei mir die Bindestriche fehlen, die kann ich nicht ernst nehmen. So viel Konformismus hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.
Also bitte: das war ironisch gemeint. Sehen Sie, dieser Ausflug in die Welt der Ironie hat jetzt offensichtlich bei Ihnen auch nicht funktioniert. Jetzt muss ich mir tatsächlich Gedanken machen, wie ich ihnen diesen Tweet erkläre…
Jetzt fühlt sich der Interview dumm und klein. Themenwechsel:
Was halten Sie eigentlich von Gendersprache?
Oh Gott. Sprache lebt und verändert sich immer wieder dem Zeitgeist entsprechend. Mein Mann hat Jahrzehntelang für den Duden gearbeitet. Diskussionen über Begriffe sind normal. Manche Worte sterben aus, neue kommen hinzu. Worte wie „Amtsschimmel“, „Augenweide“, „abkupfern“ kommen im Duden gar nicht mehr vor. Was ich aber an der Gendersprache so nervig finde, wenn die selbst ernannte Sprachenpolizei um die Ecke kommt und mir erklären will, was ich sagen darf und was nicht. Interessanterweise legen besonders jüngere Frauen großen Wert darauf, das Begriffe gegendert werden. Wir sprechen beispielsweise von Studentinnen und Studenten, so viel Zeit sollte auch sein. Aus dem Rednerpult wurde das Redenpult. Da schlag ich ein Ei drauf. Aber diese Sternchen-Sprache - ist schon bizarr. Frauen sind mehr als ein Kehlkopf-Verschluss-Laut. Und dass derzeit in Deutschland mehr darüber gestritten wird, wer hat was und wie gesagt, anstatt über Inhalte zu diskutieren, macht selbst mich sprachlos.
Zurück zum twittern: Sie haben rund 28.000 Follower. Hätten Sie gerne mehr?
Strack-Zimmermann guckt überrascht.
Ich finde 28.000 Follower sehr viel. Das bedeutet zudem ja nicht, dass alle Follower einen toll finden. Ich bin auch schon – kühner Vergleich – Donald Trump zur Zeit seiner Präsidentschaft gefolgt. Meine tägliche Dosis Gruselfaktor.
Der Gruselfaktor ist bei Ihnen ja selbst nicht so hoch, oder?
Wenn einem viele Menschen folgen, dann gibt es diejenigen, die an einem interessiert sind, was man so von sich gibt. Aber man muss sich klar darüber sein, dass jeder Tweet auch nach hinten los gehen kann, je nachdem, was man halt von sich gibt.
Ist bei Ihnen schon wie oft passiert?
Nicht wirklich. Die größte Aufmerksamkeit auf einen Tweet gab es nach der Wahl Thomas Kemmerichs zum Thüringischen MP. Ich habe mich davon spontan distanziert. Dieser Tweet hatte knapp eine Millionen Impressionen – also wie oft Personen diesen Tweet auf Twitter gesehen haben. Da war echt Stimmung im Netz.
Thema Digitalisierung, da ist ja ein Lieblingsthema Ihrer FDP, die da ja vieles forcieren möchte. Ist ja alles schön und gut. Aber: Ab wann wird für Sie künstliche Intelligenz gefährlich? Da, wo der Mensch sich selbst abschafft?
KI wird in Industrie und Forschung eine große Rolle spielen. Ein Beispiel: Autonomes Fahren, übrigens mega-spannend. Aber was ist, wenn das Auto in einer Gefahrensituation entscheiden muss, wem es ausweicht, dem Rollstuhlfahrer oder dem Kind? Künstliche Intelligenz hat keinen eigenen Ethisch-Moralischen Kompass. Ich beschäftige mich im Deutschen Bundestag mit Sicherheits und Verteidigungspolitik. KI-Prozesse können auch im Bereich von Waffensystemen eine Rolle spielen. Auch in größten Krisen dürfen meiner Meinung nach am Ende keine Algorithmen über Leben und Tod entscheiden.
Ich will nicht so viel über die FDP reden, weil das so kurz vor der Wahl journalistisch unprofessionell wäre. Trotzdem die eine Frage, weil es mich wirklich interessiert: Können Sie mir in wenigen Sätzen erklären, was die FDP eigentlich für die Menschen in Deutschland will, ich verstehe es nämlich nicht.
Es braucht eine Partei, die den Rechtsstaat verteidigt. Wir müssen hoch sensibel sein, ob politische Entscheidungen die Grundrechte der Bürger tangieren. In Zeiten von Corona, hat innerhalb eines Jahres die Bundesregierung einige Grundrechte außer Kraft gesetzt. Wir wollen, dass Menschen ihr individuelles Lebensglück finden können. Der Staat muss den rechtlichen Rahmen setzen. Aber er hat sich sonst aus dem Leben der Bürger raus zu halten Wir haben den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Wir misstrauen den Menschen nicht. Daher sind diese Verbotsorgien, wie von anderen Parteien vorgeschlagen, für uns ein Graus. Positiv sein, den Menschen Verantwortung zuzumuten, das trägt auch meine Arbeit. Für diejenigen, die keine Verantwortung übernehmen können, sei es aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen, für die haben wir solidarisch da zu sein.
Wurde diese Selbst-Verantwortung den Menschen genommen während Corona?
Wir haben den ersten Lockdown noch mitgetragen, weil es völlig unklar war, wie der Virus sich verbreitet, und wir keine vergleichbare Situation kannten. Die Bundesregierung hat dann aber zugelassen, nicht nur, dass die Schulen über lange Zeit geschlossen waren, sondern während der Sommerferien die Zeit nicht genutzt haben dem entgegen zu wirken. Welch ein Staatsversagen. Wir hatten die Kinder und Jugendlichen nicht mehr im Blick. Schauen Sie heute auf die Düsseldorfer Heinrich Heine Universität. Es finden immer noch keine Präsenzvorlesungen statt. Ist doch verrückt.
Setzen Sie beim Thema Klimaschutz auch auf die Eigenverantwortung der Menschen?
Nicht die Klimaziele sind strittig, sondern der Weg, wie wir sie schnellstmöglich erreichen. Es ist falsch, dies nur mit Verboten zu tun. Sie müssen die Menschen mitnehmen, ihnen etwas zutrauen und begeistern. Die Freude am Erfinden muss stärker sein als die am Verbieten.
Wie finden Sie eigentlich Ihren Chef Christian Lindner? Viele behaupten, er sein ein Blender.
Christian Lindner polarisiert. Er mischt die Republik auf. Und das ist auch gut so. Denn Everybody’s Darling ist everybody’s Depp. Weder Lindner noch Strack-Zimmermann wollen in der Kategorie „lieb“ einsortiert werden. Schreiben Sie bloß niemals, ich sei lieb! Die spannendsten Politiker und PolitikerInnen – jetzt gender ich – sind die unbequemen, die mit Ecken und Kanten. Wenn das manche als „Blender“ gedeutet sehen, dann empfehle ich eine Sonnenbrille aufzusetzen.
Ich muss noch eine FDP-Frage stellen, dann ist gut. Aber die muss ich stellen.
Sie hatten 2017 bei der letzten Bundestagswahl einen Auftrag der Bürger, sich an der Regierung zu beteiligen. Dem hat sich die FDP verweigert. Jamaika ist geplatzt. Finden Sie das im Nachhinein immer noch okay?
Wir sind zurück gekommen aus der Außerparlamentarischen Opposition. Wir sind offen und konstruktiv in die Koalitionsverhandlungen gegangen, ich war auf Bundesebene das ersten Mal dabei. Das Interesse seitens der CDU und den Grünen an unseren liberalen Ideen war ausgesprochen überschaubar. Beide wollten gewissermaßen endlich miteinander in die Kiste springen, und wir sollten das Bett beziehen. So funktioniert das aber nicht. Jede Partei muss seinen Weihrauch bekommen. Koalitionen schmieden ist ein Geben und Nehmen. Wenn das nicht geschieht, dann hat man, wenn auch mit Bedauern, Gespräche zu beenden. Die zentralen Themen wie Bildung und Digitalisierung, fanden nicht statt. Heute fordert die CDU nach vier Jahren genau das.
Aber Sie hätten doch, – um mal im Bild zu bleiben – das Bett beziehen können, und sich dann zwischen CDU und Grüne zu legen, wie das kleine Kind, das bei den Eltern in der Bettritze Platz hat.
Den Vergleich fand der Interviewer jetzt gut. Strack-Zimmermann scheinbar nicht.
Das ist jetzt aber nicht besonders sexy, was Sie da sagen. Also wenn Sie jetzt vom flotten Dreier gesprochen hätten, okay. Aber als Kind in der Bettritze zu liegen – also wirklich nicht.
Wenn Sie jetzt als FDP an die Macht kommen, dann werden Sie Verteidigungsministerin.
Wir stehen angesichts der großen Herausforderung vor einer mega wichtigen und spannenden Wahl. Die Freien Demokraten wollen in diesem Land Veränderungen erreichen. Alles andere ist völlig irrelevant. Ich empfehle übrigens allen, den Job engagiert zu machen, den die Wähler just von einem und zurecht erwarten. Wir Abgeordnete sind gewählt worden, um Probleme zu lösen, nicht das eigene Ego zu streicheln. Es gibt einen weisen Ratschlag unter Bikern: guckst Du scheiße, fährst Du scheiße!
Ah, gute Vorlage zum Themenwechsel: Sie sind passionierte Motorradfahrerin. Was reizt Sie so daran?
Strack-Zimmermann lacht.
Ich hab schon als Kind auf meinem Fahrrad gesessen und ein Motorengeräusch gemacht. Ich fahre einfach gerne auf zwei Rädern. Und die Motorradtouren durch Europa und die USA, die ich – meistens in Begleitung meines Bruders aber auch mit meinen Söhnen gemacht habe, haben mich immer sehr glücklich gemacht. Ich hoffe, dass ich bald wieder dazu komme. Solange ich das gesundheitlich kann und die Maschine noch handle kann, werde ich das auch tun.
Genau, Sie sind jetzt 63 und werden – wie wir alle – nicht jünger. Schon einmal darüber nachgedacht, das Motorrad gegen ein Mofa oder E-Bike einzutauschen?
Ich habe noch einen Motorroller für die Stadt. Ich bin glücklicherweise fit und gesund. Und solange ich das bin, mache ich das, was mir Spaß macht.
Apropos Fitness und Gesundheit: Woher haben Sie Ihre Drahtigkeit?
Gute Gene. Bisher Glück gehabt. Vor allem meine Mutter und meine beiden Großmütter sind sehr alt geworden und in guter Verfassung, wenn ich das mal so sagen darf, dem lieben Gott begegnet. Und jetzt mischen diese drei großartigen Frauen mit Sicherheit den Himmel auf.
Sie sind oft – mit dem Motorrad – in Griechenland. Warum?
Es ist ein wunderbares Land mit ungeheuer gastfreundlichen Menschen. Dieses Land mit dem Motorrad zu bereisen ist gelebter Traum. In der Regel fahren wir dann durch Italien und setzen dann mit der Fähre über.
Jetzt muss der Interviewer die Frau aus ihren Urlaubserinnerungen reißen...
Wovor haben Sie Angst?
Davor, die Menschen, die mir alles bedeuten, zu verlieren.
Was denken Sie, wenn Sie morgens in den Spiegel schauen?
Strack-Zimmermann grinst.
Ich sah schon einmal besser aus.
Was denken Sie, wenn Sie abends in den Spiegel schauen?
Das Grinsen wird breiter.
Könnte schlimmer sein.
Welche Eigenschaften verabscheuen Sie bei Ihren Mitmenschen?
Illoyalität und Unaufrichtigkeit.
Was wären Sie, wenn Sie nicht Politikerin wären?
Radiomoderatorin. Dass ich gerne rede, ist ja keine Überraschung. Ich habe in München studiert und immer Bayern 3 gehört. Da war Thomas Gottschalk noch am Mikro. Der ist jetzt nicht als Person mein Vorbild, aber als Radiomoderator war er es. Ich finde es auch spannend, im Radion interviewt zu werden, die Zuhörer konzentrieren sich aufs Wort und werden nicht durch das Bild abgelenkt. Da kann man auch mal müde aussehen. Ich schätze auch gut gemachte Podcasts sehr.
Lust auf ein paar Entweder-Oder Fragen am Schluss?
Gerne. Jetzt kommt es...
Ouzo oder Killepitsch?
Ouzo.
Turnschuhe oder Pumps?
Turnschuhe.
Geisel oder Keller?
Keller.
Düsseldorf oder Berlin?
Düsseldorf.
Marie oder Agnes?
Das eine bedingt das andere
Am Ende gibt mir die Frau in weißer Bluse und dunkelblauen Hose noch einen Prospekt mit. Darauf zu sehen: Strack-Zimmermann mit herzlichem Lachen. „Geben Sie das bitte Ihrer Tochter, damit sie weiß, dass ich auch anders schauen kann!“