Düsseldorf/Berlin. Kritische Aussagen in einem Blog von Thomas Geisel rufen den ukrainische Botschafter Andrij Melnyk auf den Plan. Die SPD distanziert sich.
Düsseldorfs ehemaliger Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hat am Wochenende mit einem Blog-Beitrag zum Ukraine-Krieg für Kritik und bundesweite Schlagzeilen gesorgt. Er hatte zu den Kriegsverbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha geschrieben: „410 Zivilisten sind – nach ukrainischen Angaben – den Gräueltaten von Butscha zum Opfer gefallen. Selbstverständlich ist jedes zivile Opfer eines Krieges eine Tragödie und eines zu viel. Aber werden durch die ukrainische Genozid-Rhetorik nicht letztlich die Kriegsverbrechen von Srebrenica, My Lai und Babiyar (Babyn Jar), um nur einige zu nennen, und vielleicht auch die Bombennacht von Dresden, der angeblich 30 000 Menschen zum Opfer fielen, bagatellisiert?“
„Es reicht, Herr Melnyk“ ist Titel des Beitrags
Der Blog-Beitrag mit dem Titel „Es reicht, Herr Melnyk“, der bereits vor mehreren Tagen veröffentlichtet worden war, sorgte am Wochenende für Kritik – nachdem unter anderem der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk bei Twitter reagierte. Der hatte geschrieben: „Das Weltbild dieser selbstgefälligen Genossenschaft ist echt verstörend. Viel Glück noch bei der NRW-Landtagswahl am 15. Mai.“
„Erst Schröder, dann Schwesig, jetzt Geisel“
Zuvor hatte der CDU-Politiker Ruprecht Polenz getwittert: „Erst Schröder, dann Schwesig, jetzt Geisel. Ich hätte es für ausgeschlossen gehalten, dass sich ein führender SPD-Politiker wie der ehemalige Oberbürgermeister von Düsseldorf in dieser Weise zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine äußert.“
In dem Blog-Beitrag schrieb Geisel unter anderem auch: „Es ist in der Tat erstaunlich, wie es Herr Melnyk und mehr noch natürlich sein Präsident Selenskyj, dieser omnipräsente Social Media-Alleskönner, geschafft haben, die Diskussion über den Krieg in der Ukraine zu beherrschen.“ Und: „,Diplomatisch’ ist gemeinhin ein Synonym für gesittete Leisetreterei, bisweilen auch für inhaltsleeres Geschwurbel. Auf den Chefdiplomaten der Ukraine in Deutschland trifft dies nicht zu. Andrij Melnyk bevorzugt Klartext und verbreitet seine Botschaft auch keineswegs nur im vertraulichen diplomatischen Gespräch, sondern auf jeder Bühne, die sich ihm bietet. Als Dauergast in einschlägigen Talkshows und mit Interviews in allen namhaften Gazetten ist es ihm gelungen, der Diskussion über den Krieg in der Ukraine und über die daraus zu ziehenden Konsequenzen seinen – fast möchte man sagen: hegemonialen – Stempel aufzudrücken.“
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Geisel war von 2014 bis 2020 Oberbürgermeister, wurde 2020 von Stephan Keller (CDU) abgelöst. Gegenüber der „Rheinischen Post“ (Montag) verteidigte sich Geisel: „Ich habe ganz sicher nicht meinen moralischen Kompass verloren.“ Auf Nachfrage der Zeitung betonte er, er halte den russischen Angriff für einen völkerrechtswidrigen Überfall und habe Verständnis für die Forderung nach Waffenlieferungen. „Ich mache mir aber Sorgen über die Konsequenzen, wenn Deutschland den ukrainischen Forderungen nach Waffenlieferungen nachkommt“, sagte er der Zeitung. Militärisch könne die Ukraine den Krieg kaum gewinnen.
Der SPD-Spitzenkandidat zur NRW-Landtagswahl am 15. Mai, Thomas Kutschaty, forderte Geisel am Sonntag nach eigenen Angaben in einem Telefonat auf, den Beitrag „noch heute“ zurückzuziehen. „Thomas Geisels Blogbeitrag kann so nicht stehen bleiben. Gerade die Kriegsverbrechen von Butscha erlauben keine Relativierungen“, sagte Kutschaty der „Rheinischen Post“ (Montag).
„Er spricht nicht für die SPD“
Am späten Sonntag Nachmittag distanzierte sich die Düsseldorfer SPD von ihrem Mitglied und seinen Aussagen. „Die SPD Düsseldorf distanziert sich entschieden von den jüngst veröffentlichten Positionen des ehemaligen Oberbürgermeisters Thomas Geisel zur Ukraine-Krise. Insbesondere eine Relativierung von Kriegsverbrechen der russischen Armee durch ungebührliche Vergleiche verurteilen wir scharf“, hieß es in einer Pressemitteilung. Geisel sprechte nicht im Namen der SPD. Die SPD Düsseldorf stehe „fest und solidarisch an der Seite der Ukrainischen Bevölkerung“. (mit dpa)
Geisel schreibt seinen Blog unter https://www.thomasgeisel-wasmichumtreibt.de/