Dinslaken. In Lohberg wurde ein Stolperstein für Ludwig Rech verlegt. Direkt neben dem seines Sohnes. Was ihr Schicksal mit der Gegenwart zu tun hat.
Seit 40 Jahren wohne er an der Stollenstraße in Lohberg - aber dass dort ein Stolperstein liege, das habe er noch nicht bemerkt, staunt der Nachbar aus dem gegenüberliegenden Haus. Seit sieben Jahren schon erinnert der mittlerweile durch das Laub etwas angelaufene Gedenkstein an Leo Rech. An diesem Tag kommt ein weiterer, goldglänzender Stolperstein hinzu: für Leo Rechs Vater Ludwig.
- Die NRZ Dinslaken auf Whatsapp: Hier kostenlos den Kanal abonnieren
- Die NRZ Dinslaken auf Facebook: Hier kostenlos die Seite abonnieren
- Die NRZ Dinslaken auf Instagram: Hier kostenlos die Seite abonnieren
Die Schicksale von Leo und Ludwig Rech sind eng miteinander verknüpft. Sohn Leo hatte wohl eine leichte Körperbehinderung, fand keinen Arbeitsplatz in Dinslaken, wurde schließlich als „asozial“ stigmatisiert und als „Volksschädling“ und „politischer Häftling“ am 14. August 1942 nach Auschwitz gebracht. „Nur zehn Tage nach seiner Ankunft in Auschwitz starb Leo Rech“, sagt Anne Prior. Die Vorsitzende des Dinslakener Vereins Stolpersteine hat das Schicksal der Familie - und vieler anderer - recherchiert. Danach wurde Leo „sehr wahrscheinlich durch einen SS-Lagerarzt als arbeitsunfähig eingestuft und anschließend mit einer Phenolspritze getötet.“ Leo Rech wurde keine 23 Jahre alt.
Ludwig Rech war Kommunist
Dass sein Vater Ludwig nicht nur Bergmann auf Lohberg, sondern auch Kommunist war, spielte wohl bei Leos Schicksal eine Rolle, das sei seiner Mutter klar gewesen, meint Anne Prior. Leo sei „drangsaliert“ worden, „weil er diesen Vater hatte“. Ludwig Rech war Vorsitzender der Dinslakener Gruppe des kommunistischen „Kampfbunds gegen den Faschismus“ - von seiner Gründung 1930 bis zur Zerschlagung 1933 - dessen Mitglieder sich immer wieder auch mit der SA geschlagen haben. Nach dem Reichstagsbrand wurde Ludwig Rech als politischer Gefangener verhaftet - als einer von zahlreichen kommunistischen Funktionären aus Dinslaken gemäß der am 28. Februar 1933 von der Reichsregierung erlassenen „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, der sogenannten Reichstagsbrandverordnung. Er kam zuerst nach Hamborn ins Gefängnis, dann in das Konzentrationslager Börgermoor.
Vater und Sohn wurden an der Stollenstraße 28 verhaftet
Künstler Gunter Demnig und Johannes Niggemeier vom Verein Stolpersteine lösen neben dem Stolperstein, der für Leo Rech in das Pflaster vor Haus an der Stollenstraße 28 eingelassen ist, mühsam das Pflaster. Hier, in diesem Haus hat die Familie gewohnt. „Hier sind beide verhaftet worden“, erinnert Anne Prior, Vater und Sohn. An dem kühlen Novembertag in der denkmalgeschützten Gartenstadt werden die Bilder leicht lebendig. Erst recht, als Simon Panke (SPD), der für das Dinslakener Bündnis spricht, die Melodie dazu in die Ohren der etwa ein Dutzend Menschen setzt, die der Stolpersteinverlegung beiwohnen: „Die Moorsoldaten“, das Lied, das Häftlinge des KZ Börgermoor geschrieben hatten und das zur Hymne des Widerstands gegen den Nationalsozialismus wurde.
„Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann’s nicht Winter sein. Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein“
Das Lied wurde im August 1933 bei einer Veranstaltung namens „Zirkus Konzentrazani“ von 16 Häftlingen uraufgeführt. Schnell sangen die fast 1000 Gefangenen den Refrain mit: „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!“ Darunter war wahrscheinlich auch Ludwig Rech, so Simon Panke. Im Oktober 1933 wurde er dann nach Brandenburg, ins spätere Konzentrationslager Oranienburg gebracht. Er wurde „dort derart misshandelt, dass er an den Folgen bis an sein Lebensende litt“, trägt Panke die von Anne Prior recherchierten Fakten vor. Und ergänzt eine weitere Strophe der „Moorsoldaten“: „Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann’s nicht Winter sein. Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein.“
Tatsächlich kam Ludwig Rech wieder nach Hause, nach Dinslaken, bekam Ende 1936 wieder eine Arbeitsstelle beim Schacht Lohberg, die er laut Anne Prior bis Ende März 1945 innehatte. „Freudvoll“ sei sein Leben aber wohl nicht gewesen, meint Simon Panke: „Er war nicht nur körperlich schwer gekennzeichnet, er war magen- und herzkrank“. Ludwig Rech war so geschwächt, dass er Sonderrationen bekam, weiß Anne Prior. Ihm sei auch klar gewesen, „dass er an diesen Krankheiten sterben würde.“ Und: „Man kann seine Geschichte auch nicht erzählen, ohne die Geschichte seines Sohnes zu erzählen“, so Simon Panke: Die „Gram, die das Schicksal der Familie Rech ausgelöst haben muss, macht betroffen“, so Simon Panke.
Darum bittet Anne Prior
„Als ich die Geschichte gelesen habe, wusste ich gar nicht, welche Geschichte ich schlimmer fand: Die von Leo, der ohne Grundlage inhaftiert und ermordet wurde oder die Geschichte seines Vaters, der damit leben musste“, so Simon Panke. Ludwig Rech hat noch bis 1955 gelebt, für die britische Militärregierung als Kraftfahrer gearbeitet. Und er wurde „vermutlich jeden Tag nicht nur durch seine körperlichen Schmerzen daran erinnert, was er durchgemacht hat“ sondern auch durch das Wissen, „er wird seinen Sohn nicht mehr wiedersehen“. Nun sind Vater und Sohn wieder vereint, zumindest ihre Stolpersteine liegen nebeneinander. „Ich bin sehr froh, dass auch Ludwig Rech hier seinen Platz gefunden hat“, sagt Anne Prior. Und sie hofft, „dass viele auf die Familie Rech schauen und aufmerksam werden und ein bisschen auf die Steine aufpassen in der heutigen Zeit“.
Lesen Sie auch diese Nachrichten aus Dinslaken, Voerde, Hünxe
Dinslaken: Eismärchen 2024 in Dinslaken: Hier gibt es Karten zu gewinnen
Dinslaken: Hofladen Scholtenhof wird geschlossen: Das sind die Gründe
Dinslaken: Neuer Automaten-Kiosk in Lohberg: Das ist das Angebot
Dinslaken: Dinslaken Ehrensache: Das sind die Euthymia-Preisträger 2024
Dinslaken: „Die Glühwerkstatt“: So kommt sie bei den Gästen an
Voerde: Rönskenhof in Voerde: Fußweg gesperrt – das ist der Grund
Voerde: SPD-Chef zur K-Frage: Nicht mit Scholz weitermachen
Hünxe: Hünxe: Feuerwehr bekommt neue Uniformen für den Einsatz
Lesen Sie hier weitere Nachrichten aus Dinslaken, Voerde und Hünxe.
Simon Panke schlägt die Brücke zur Gegenwart: Die Art der politischen Auseinandersetzung habe sich verändert. Politische Konkurrenten würden als „Feinde, Staatsfeinde oder sogar Volksfeinde gekennzeichnet“. Es gebe Angriffe, Attentate auf Politiker, „es werden Leute verächtlich gemacht, es wird ihnen der Tod gewünscht“. Die Auseinandersetzungen, die auch in Lohberg stattgefunden haben, waren Teil des Unterrichts zu Simon Pankes Schulzeit. Für ihn sei es damals „unvorstellbar“ gewesen, dass sich „politische Gruppen bewaffnet aufeinanderstürzen.“
„Das kann gar nicht noch einmal passieren“, davon sei er überzeugt gewesen: „Und wir sind jetzt wieder am Vorabend eines solchen Punktes.“ Die Geschichte der Familie Rech sei „nicht nur eine Mahnung aus der Vergangenheit“, sondern, so Simon Panke: „Sie zeigt uns, wie die Zukunft aussehen könnte, wenn wir heute nichts machen“.