Voerde. Stephan Bertram erlebte als 13-Jähriger durch einen Pfarrer sexualisierte Gewalt. In Voerde hat er seine Geschichte erzählt. Warum ihm das hilft.

Stephan Bertram steht nach der Sonntagsmesse vor der St. Paulus Kirche in Voerde und erzählt den Besuchern des Gottesdienstes von seiner Geschichte – er ist Opfer sexualisierter Gewalt, die er als 13-Jähriger durch einen Kaplan in Bottrop erfahren musste. „Obwohl ich jedes Mal, wenn ich darüber spreche, in die Erinnerung komme, befreit es mich auch. Es tut gut, mit Ihnen darüber reden zu können.“ sagt der heute 61-Jährige in Richtung der Gemeindemitglieder, die sich mit ihm an der Südseite der Kirche vor der dortigen Rasenfläche versammelt haben. Durch seine Kinder ist Stephan Bertram vor zwei Jahren mit seiner Frau von Bottrop nach Voerde-Friedrichsfeld gezogen, und so enstand auch der Kontakt zur Voerder Kirche.

„Zur Erinnerung an den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche im Bistum Münster“ lautet die Überschrift einer Mahntafel aus Metall, die am Sonntag auf der Rasenfläche verankert wurde. Und daneben steht jetzt, von der Kirchengemeinde gepflanzt, eine Trauer-Blutbuche.

Pastoralreferent Markus Gehling, Pfarrer im Ruhestand Wilhelm Schoelen und die Pfarrer Wilhelm Kolks und Christop Hendrix liessen es sich nicht nehmen, dem frisch gepflanzten Bäumchen auch noch Dünger beizugeben. „Die Trauer-Blutbuche braucht Pflege, so wie der Schutz vor Missbrauch dauerhaft unsere Aufmerksamkeit erfordert.“ spannte Pastoralreferent Markus Gehling in seiner Ansprache den Bogen zwischen Pflanze und Mahnmal.

Bertram ist immer ncoh auf psychologische Hilfe angewiesen

Bei einer Tasse Kaffee hatten die teilnehmenden Gemeindemitglieder dann die Gelegenheit, mit Stephan Bertram ins Gespräch zu kommen. Unumwunden erzählt er seine Geschichte: „ Alles begann damit, dass ich nach einem mehrtägigen Ausflug mit der Kirche meine Eltern zuhause nicht angetroffen habe. Da hat mir der damalige Kaplan angeboten, bei ihm zu übernachten, und es ist geschehen. Gegen seinen Zugriff konnte ich mich nicht wehren. Er hat mich massiv unter Druck gesetzt und davor gewarnt, irgendetwas zu erzählen. Aus Angst habe ich geschwiegen und war seinen Zugriffen eineinhalb Jahre ausgesetzt.“

Bis heute ist Stephan Bertram auf psychologische Hilfe angewiesen und ist froh, alle 14 Tage kann er einen Therapeuten in Moers besuchen zu können. Sein Umzug mit seiner Frau von Bottrop zu den Kindern nach Friedrichsfeld habe auch dazu beigetragen, sich seinem geraubten Selbstwertgefühl wieder anzunähern. „Hier sind alle Nachbarn freundlich, grüssen, und man kommt mit ihnen ins Gespräch. Unser Umzug war ein echter Glücksgriff.“ sagt Stephan Bertram erfreut über seine neue Umgebung.

Obwohl er noch immer um seine Rehabilitation kämpfen müsse, gibt ihm als Betroffenem die Trauer-Blutbuchen-Pflanzung der Voerder Kirche die Hoffnung, dass der Katholischen Kirche daran gelegen ist, das langjährige „Tabu-Thema“ aufzuarbeiten.