Dinslaken. Das Land will 83 Millionen Euro im sozialen Bereich einsparen. Diakonie warnt: Diese Projekte sind im Kirchenkreis Dinslaken gefährdet.

Vor einem Jahr trafen sich die Wohlfahrtsverbände vor dem Düsseldorfer Landtag zu einer der größten Demos der vergangenen Jahrzehnte. Mehr als 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verbände sowie Eltern protestierten gegen im Landeshaushalt geplante Kürzungen im sozialen Bereich, vor allem bei Kitas und offenem Ganztag. Ein Jahr später rufen die Wohlfahrtsverbände erneut zur Demo vor dem Landtag auf. Denn erneut will das Land im sozialen Bereich kürzen. Es geht um 83 Millionen, die in verschiedenen Bereichen (s. Box) fehlen - für Kinder, Arme, Obdachlose, Geflüchtete, auch in Dinslaken. Das, so sagt Alexandra Schwedtmann, Geschäftsführerin der Diakonie in Dinslaken, sei „ein Abbau des Sozialstaats“ - mit unmittelbaren Auswirkungen vor Ort.

Schon jetzt gebe es „große Herausforderungen im Bereich des gesellschaftlichen Zusammenhalts und im Bereich Integration“, so Superintendent David Bongartz: „Gerade da zu sparen, halten wir für den falschen Schritt.“ Für die Sozialträger gehe es „ans Eingemachte“ und die „Menschen, die Unterstützung brauchen, werden es als erstes spüren“.

Diese Bereiche wären betroffen

Der Prozess werde schleichend sein. Beispiel: Armutsbekämpfung. Die Förderung für ein entsprechendes Projekt der Diakonie laufe 2026 aus. „Bekommen wir das weiter finanziert? Oder lassen wir die Menschen hängen?“, fragt Alexandra Schwedtmann. Und zur Armutsbekämpfung - auch hier wird gespart - gehöre etwa das Projekt „Alle Kinder essen mit“, das Kinder unterstützt, die sich im Offenen Ganztag kein Mittagessen leisten können, aber dennoch keine Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten.

Weiteres Beispiel: die Schuldnerberatung am Bahnhof. Der Kreis finanziere Gutscheine für ALGII-Empfänger, die Diakonie habe sich aber immer dafür eingesetzt, dass das Angebot für alle offen bleibt und jeder die Schuldnerberatung aufsuchen kann. „Ich kann mir vorstellen, dass das irgendwann wegfällt“, so Alexandra Schwedtmann. Wer kein Arbeitslosengeld II bekomme, aber überschuldet sei, müsse dann einen entsprechenden Berater bezahlen. Und in die Schuldenfalle könne jeder geraten: „Das muss nicht immer Kauf- und Spielsucht sein, es kann auch eine Lebenskrise die Ursache sein.“

Hier will NRW sparen

In diesen Bereichen plant das Land Einsparungen: „Soziale Unterstützungsstruktur“ (minus ca. 27 Millionen Euro); Migration, Flucht und Integration (minus ca. 23 Millionen Euro); Alter und Pflege (minus ca. 13 Millionen Euro); Familienbildung und Familienhilfen (minus ca. 9 Millionen Euro); Hilfen für Menschen mit Behinderung (minus ca. 7 Millionen Euro); Armutsbekämpfung (minus 2,5 Millionen Euro) und Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW (minus 2 MilIionen Euro).

Zur sozialen Unterstützungsstruktur, bei der gekürzt wird, gehört auch die Suchthilfe. Wie geht es mit der Sucht- und Drogenberatung der Diakonie weiter? In dem Bereich müsse immer mehr Prävention geleistet werden, so seien etwa Medien als neues Suchtmittel hinzugekommen, so Diakonie-Geschäftsführerin Nicole Elsen-Mehring.

Das Psychosoziale Zentrum für geflüchtete Menschen der Diakonie sei ohnehin schon „schlecht refinanziert“, so Alexandra Schwedtmann. Die Förderung laufe am 31. Dezember aus, eine weitere Ausschreibung gebe es noch nicht. Die Verfahrensberatung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete werde „komplett eingestellt“. Die Anzahl der Menschen, die Beratung suchen, steige aber.

Im Bereich Obdachlosigkeit/Wohnungslosigkeit ist ein Projekt bereits betroffen: Die Aufsuchende Wohnungslosenhilfe Sucht sei bereits im Mai ausgelaufen - und nicht verlängert worden. Das „Angebot ist sang- und klanglos verschwunden, die Menschen haben keinen Ansprechpartner mehr“, bedauert Nicole Elsen-Mehring.

Auch im Bereich Kitas drohen Einschränkungen. Die Evangelische Kinderwelt betreut in 20 Kitas im Kirchenkreis 1500 Kinder. Für jede Kita, die ein Träger für eine Kommune betreibe, muss er aber einen Eigenanteil aufbringen. Dieser wurde bislang aus Rücklagen finanziert, erklärt Timon Mecks, Geschäftsführer der Evangelischen Kinderwelt im Kirchenkreis Dinslaken. Weil aber auch die Einnahmen aus der Kirchensteuer um 15 Prozent sinken, könne man diese Eigenanteile „immer weniger stemmen“, fürchtet Bongartz. Jede Kita-Gruppe mehr würde mehr Belastung für den Träger bedeuten. Bei einer Firma, die für die Kommune etwa einen Zaun baue, sei das undenkbar, ergänzt Alexandra Schwedtmann.

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Das ist nach der Demo 2023 passiert

Nach der Demo vor dem Landtag im vergangenen Jahr, habe sich „nicht viel geändert“, bedauert Mecks. Den Trägern seien NRW-weit 100 Millionen Euro für Kitas zur Verfügung gestellt worden: Ein „Tropfen auf den heißen Stein.“ Von den etwa 10.000 Euro, die pro Einrichtung abgefallen seien, habe die Diakonie ein Fünftel der durch die Tariferhöhung gestiegenen Personalkosten decken können.

„Wir arbeiten gerade stückweise gegen unsere Demokratie, und das macht mit Angst“

Alexandra Schwedtmann, Geschäftsführerin der Diakonie im Evangelischen Kirchenkreis Dinslaken

Die Auswirkungen der nun geplanten Einsparungen würden erst mit Verzögerung sichtbar: „Wenn man die Integration vor Ort nicht hinbekommt, zeigt sich das nicht direkt. Aber es wird das Zusammenleben weiter schwächen“, sagt Alexandra Schwedtmann. Und: „Wir fangen an, denen, die nichts haben, noch etwas wegzunehmen. Was passiert, wenn wir so viele Familien in Armut lassen, müssen wir ja nicht lange überlegen.“ Immense Folgekosten seien eine Konsequenz. Die 83 Millionen, die jetzt eingespart werden, „wird das Land an anderer Stelle über die kommenden Jahrzehnte x-fach ausgeben“, prognostiziert Bongartz. Und: „Wir arbeiten gerade stückweise gegen unsere Demokratie, und das macht mit Angst“, so die Diakonie-Geschäftsführerin.