Dinslaken. Gregor Gysi und Karl-Theodor zu Guttenberg sorgten in der Kathrin-Türks-Halle für kurzweilige Polit-Unterhaltung - und Lacher im Publikum.
Das Klima hat sich verändert. Rau, kalt, Sieben-Tage-Regenwetter. Der Regen am Mittwoch passte eigentlich perfekt. Aber die Din-Event wollte kein Risiko eingehen und verlegte den Live-Podcast „Gysi gegen Guttenberg“ kurzfristig vom Burgtheater in die Kathrin-Türks-Halle. 600 Zuschauer wurden erwartet, damit war genug Platz für alle da. Nur mit der Luft klappte es nicht ganz, die Klimaanlage streikte. Der frische Wind jedoch wehte von der Bühne.
Gregor Gysi (Die Linke) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU): Zwei Politiker und in ihrer Art beide Medienprofis – der eine ausgewiesene „Rampensau“, sprich charmanter Redner und gern gesehener Talkgast, der das Feedback seines Publikums braucht, der andere seit seinem Rückzug aus der Politik heute Autor und Medienberater. Zwei kluge und kritische Beobachter der politischen Lage in Deutschland, wie sie aber auch von ihren Positionen und Überzeugungen kaum unterschiedlicher sein könnten.
Fruchtbare Streitgespräche auf der Bühne
Oder doch nicht? Gysi und Guttenberg zeigten am Mittwoch, dass die beiden bei allen gegenseitigen Frotzeleien mehr verbindet, als es den äußeren Anschein hat. Und genau dies ist ihre Kernbotschaft. Anders als die Ampelkoalitionspartner, an denen das Attribut „heillos zerstritten“ immer fester klebt, zeigen der Linke aus Ostberlin und der CSU-Mann, der als Freiherr auf dem familieneigenen Schloss aufgewachsen ist, dass unterschiedliche Positionen äußerst fruchtbar und fruchtbringend sein können, wenn man gemeinsam ein Gespräch führt – und nicht gegeneinander.
Es macht einfach Spaß, den beiden zuzuhören, selbst wenn sie über die ernstesten Themen sprechen. Und man spürt, dass sie beide selbst auch an der Auseinandersetzung mit dem anderen wachsen, weitsichtiger, offener, vertrauensvoller werden.
Parteien sollen aus der Mitte heraus
Es sind die Werte, für die die beiden in ihrem Podcast stehen, und deren Fehlen bei den demokratischen Parteien sie als wichtigen Grund für das Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen sehen. Die Wahlanalyse ist am Mittwoch Thema der ersten Podcast-Folge, die in der KTH aufgezeichnet wird, in der zweiten beantworten die beiden Fragen, die das Publikum zuvor am Büchertisch im Foyer schriftlich übermitteln konnten. Unmöglich, die Fülle der Themen, die beide mit Sachkenntnis ansprechen, hier alle wiederzugeben,
Analysen des „Warnschusses“ der Landtagswahlen, „mit Kanonenkugeln“ so Guttenberg. Er appellierte an die demokratischen Parteien, wieder stärker zu zeigen, wofür sie stehen, um damit aus einer nebulösen Mitte heraus wieder an Profil zu gewinnen. Stattdessen nur immer den anderen Fehler vorzuhalten und ständig „klein-klein“ zu bekritteln, löse letztendlich nur Frust bei der Bevölkerung aus.
Blick in die ostdeutsche Geschichte
Gysi schaut stärker auch auf die Geschichte: Nach der Wende sei dem Osten zu sehr vermittelt worden, die Menschen dort hätten nicht geleistet, dem Westen zu wenig klargemacht worden, welchen positiven Input die Wiedervereinigung bringe. „Es ist wie in einer Ehe“, so der ehemalige Familienanwalt, „wer beim vierten Mal wieder siegt und nicht auch mal freiwillig verliert, riskiert die Scheidung“.
Auch das Erstarken der Rechten weltweit und die einzig mögliche Antwort hierzulande darauf begründet Gysi historisch: „Freiheit und Demokratie“ waren die Werte im Wettbewerb gegen den Staatssozialismus. Nun möchten einige am liebsten darauf verzichten. Deutschland jedoch müsse der Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung bewusst sein: Schuld an den Nazigräueln hätten die meisten heute nicht mehr, Verantwortung allerdings trügen alle.
Faulheit und das Frieren im Schloss
Ernste Themen, und doch bleibt Zeit für Frotzeleien und private Einblicke. Oder Ausblicke. Im Urlaub eröffnen Bergbesteigungen neue Sichtweisen. In einem Schloss aufzuwachsen, kann dagegen beklemmend und ungemütlich sein. „Wir froren uns hinter den dicken Mauern den Hintern ab“, entzaubert Guttenberg jegliche Romantik.
„„Wir froren uns hinter den dicken Mauern den Hintern ab.““
Auch ist das Politikerleben hinter den Kulissen arbeitsreicher sei, als es scheint: „Ich bin von Natur aus faul“, meint Gysi, „aber ich kann nicht meiner Natur gemäß leben“. Und es gibt echte Gemeinsamkeiten: Die Musik von Bruce Springsteen, die Gabe, nicht nur charmant zu plaudern, sondern dem anderen zuhören zu können. Die beiden Podcast-Folgen aus Dinslaken sind im Kasten. Vielleicht hört sie ja auch der ein oder die andere in der Politik.
„„Ich bin von Natur aus faul, aber ich kann nicht meiner Natur gemäß leben““