Dinslaken. Die Stadt hat mit der Absage des Ortstermins Bergerstraße auch fast den ganzen Stadtrat gegen sich aufgebracht. Was sieben Fraktionen nun planen.
Die Anwohner sind sauer – und auch die Politik fühlt sich beim Thema Bergerstraße von der Stadtverwaltung hintergangen. Im Frühjahr haben CDU, SPD und FDP beantragt, die Höchstgeschwindigkeit auf der Straße wieder auf 50 Stundenkilometer zu reduzieren. Die Verwaltung habe das beim Ortstermin zu prüfen. Nur deswegen wurde der entsprechende vor der Ratssitzung zurückgezogen. Nun hat die Verwaltung den Ortstermin (wie berichtet) platzen lassen – und damit neben den Bürgern auch fast den ganzen Stadtrat gegen sich aufgebracht.
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Politiker der CDU, Linken und AWG haben am Donnerstag die Verkehrserziehung des P-Dorf begleitet. AWG-Fraktionsvorsitzender Ali Kaya war in doppelter Funktion vor Ort: Er ist auch Vorsitzender der SGP Oberlohberg, deren Sportplatz auf der anderen Straßenseite der Berger-/bzw. Gärtnerstraße schräg gegenüber von P-Dorf und Kita liegt. „Hier muss man etwas machen,“ forderte er. Es sei als Autofahrer schon schwer genug, von der Sportplatz-Ausfahrt auf die Straße zu kommen – „und als Fußgänger und erst recht als Mini-Mensch ist das noch schwieriger.“ Trotz der Überquerungshilfe. Die SGP habe mit dem Kindergarten eine Kooperationsvereinbarung, die Kitagruppen „können jederzeit rüberkommen“. Aber die Straße zu queren sei „schon gefährlich, man sollte da tatsächlich langsamer fahren.“ Abgesehen davon herrsche in Dinslaken fast überall Tempo 40 – „es gibt nur noch drei oder vier Straßen, wo man überhaupt 50 Stundenkilometer fahren darf – und dann gibt es hier diese 70. Das ist für mich unverständlich“.
Auch Gerd Baßfeld (Linke) war vor Ort und ist der Meinung, dass auf dem Abschnitt höchstens 50 km/h fahren dürfte. In Bottrop etwa gelte auf der Zubringerstraße zur Autobahn auch 50 km/h, führt er an.
Bremsweg – alles andere als ein Katzensprung
Während der Feierabendverkehr vorbeibraust, lernen die Kinder, möglichst auf der einen Seite des kombinierten Geh-/Radwegs zu gehen – denn immer wieder kommen auch Radfahrer vorbei. Wie kommt man heil über die Einmündung zum Supermarkt? Auch das wird geübt. Und dann will Ben Brunswick (P-Dorf) wissen, an welcher Stelle ein Auto mit 30, 50, 70 oder 100 Stundenkilometern bremsen müsste, um die Kinder nicht anzufahren, wenn sie an der Stelle – dort in etwa ist auch die Überquerungshilfe zum Sportplatz – die Straße überqueren. Mit Hütchen und Latten sollen sie die unterschiedlichen Abstände markieren. Die ersten Hütchen stehen am Ende einen Katzensprung weit weg, die letzten einige Meter. Aber da, wo Ben Brunswick steht und winkt, weil dort erst der Reaktionsweg bei 70 km/h beginnt – da steht nichts. Und beim nächsten Punkt – dem Reaktionsweg für 100 km/h – ist er so weit weg, dass er kam noch zu verstehen ist. Die Kinder staunen – und auch der eine oder andere Erwachsene.
Bei Tempo 70 beträgt der allein Reaktionsweg 21 Meter (Geschwindigkeit geteilt durch 10 und das Ergebnis mal 3). Hinzu kommt der Bremsweg von 49 Metern (Geschwindigkeit geteilt durch 10 mal Geschwindigkeit geteilt durch zehn). Bis der Wagen steht sind es also 70 Meter Anhalteweg – bei optimalen Bedingungen, so Ben Brunswick.
Während der Woche haben die Kinder Pappschilder gemalt: „Ich will sicher über die Straße“ zum Beispiel. Fürs Foto halten sie sie gemeinsam mit den Anwohnern und Politikern noch einmal in die Luft, bevor es etwas zu Trinken gibt. Heinz Wansing und Marc Bootmann von der CDU haben lustige Krawatten mit einer 50 darauf mitgebracht und eine passende Girlande.
Das sagt die Bürgermeisterin im TV
Die Entscheidung, an der Stelle Tempo 50 einzurichten, könne die Stadt „nicht alleine treffen“, erklärt Bürgermeisterin Michaela Eislöffel der WDR-Lokalzeit, die nach dem NRZ-Bericht am Donnerstag ebenfalls vor Ort war – und spielt den Ball damit an Straßen NRW zurück. In der Antwort der Stadtverwaltung auf den Antrag der drei Fraktionen im Frühjahr klang das allerdings noch so: „Die Stadt Dinslaken ist als örtliche Ordnungsbehörde für die Anordnung von Verkehrszeichen sowohl örtlich als auch sachlich zuständig; dem Rat obliegt eine solche Zuständigkeit zur Entscheidung nicht.“ Und den Anwohnern hatte die Bürgermeisterin selbst in einem Schreiben im Herbst 2021 erklärt, dass es „keine Veranlassung“ gebe, die Geschwindigkeit wieder zu reduzieren.
Das kündigen sieben Ratsfraktionen an
Die Politik wird den Antrag auf Tempo 50 nun erneut stellen, kündigt CDU-Fraktionsvorsitzender Heinz Wansing an. Er spricht von „Arroganz der Macht“ und „Starrsinn“ der Stadtverwaltung. Diesmal wird das Anliegen von sieben der acht Ratsfraktionen unterstützt. Sollte die Stadt sich sperren, werde man den Landrat einschalten, kündigt Heinz Wansing an.
Auch UBV enttäuscht
Die UBV Dinslaken zeigt sich in einer Pressemitteilung „enttäuscht über die kurzfristige Absage des Ortstermins an der Bergerstraße durch die Stadtverwaltung“ und unterstützt die Anliegen der Anwohner, die eine Rückkehr zur Tempo-50-Regelung fordern.
Jutta Frenk, Geschäftsführerin der UBV-Fraktion, äußert ihr Unverständnis: „Wir können die Entscheidung der Stadtverwaltung, den lange geplanten Ortstermin abzusagen, nicht nachvollziehen. Die Anwohner der Bergerstraße haben berechtigte Anliegen, die vor Ort und im direkten Austausch mit allen Beteiligten besprochen werden müssen. Einzeltermine sind aus unserer Sicht nicht zielführend und erschweren den offenen Dialog.“
Heinz Brücker, Fraktionsvorsitzender der UBV, ergänzt: „Wir verstehen die Begründung der Verwaltung, dass die Teilnehmerzahl möglicherweise zu groß war. Allerdings hätte man hier im Vorfeld eine bürgerfreundlichere und themenbezogene Lösung finden können. Ein offener Austausch vor Ort ist wichtig, insbesondere wenn es um die Sicherheit und Lebensqualität der Bürger geht. Die Bergerstraße betrifft, nach unserer Auffassung, nicht nur die direkten Anwohner, sondern alle Nutzer dieser wichtigen Verkehrsverbindung.“
Die UBV weist darauf hin, dass die Bergerstraße „als zentrale Verkehrsachse von großer Bedeutung für die gesamte Stadt“ sei. Die Forderungen der Anwohner seien aber - auch aufgrund der Nähe zu Kita, Jugendzentrum und Sportplatz „nachvollziehbar und verdienen eine angemessene Berücksichtigung“. Die hohe Teilnehmerzahl zeige „die Bedeutung und das Interesse an der Bergerstraße weit über die Anwohnerschaft hinaus. Durch die Absage und die Vergabe von Einzelterminen werden unter Umständen betroffene Nutzer ausgeschlossen“, so die UBV.
Ein offener Dialog mit den Bürgern sei „essenziell für eine transparente und bürgernahe Politik. Wir fordern die Stadtverwaltung auf, den Dialog mit den Anwohnern zu suchen und gemeinsam eine Lösung zu finden, die sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Anliegen der Bürger berücksichtigt.“