Dinslaken. Im Dreck der alten Emscher schwimmen Phosphor und Stickstoffe, die Bauern zum Düngen brauchen. Wie das Ruhrgebiet damit Gemüse anbaut.
Noch gut zehn Jahre, dann werden auf der Kläranlage Emschermündung jährlich mehr als 300 Tonnen Gemüse angebaut, mit Bio-Siegel aus nachhaltiger Landwirtschaft. Noch 15 Jahre, dann gibt es beim BVB in Dortmund fleischlose Stadionwurst aus Wasserlinsen mit Senf, dessen Körner ebenfalls auf Abwasser gewachsen sind. Noch 25 Jahre, dann isst die Hälfte der deutschen Großstädter Salat, Kohlrabi und Tomaten direkt von den Kläranlagen. Das Recycling von Klärschlamm zur Gewinnung von Düngemitteln ist Standard geworden.
Noch ist das eine Vision, allerdings hat das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung ILS in Dortmund damit nur weitergedacht, was in Dinslaken längst ausprobiert wird: den Dreck einer ganzen Region nicht nur aufzufangen und zu entsorgen, damit die Emscher wieder blau in Richtung Rhein fließen kann. Sondern zu nutzen, was beim Reinigen des Abwassers anfällt. Denn der trübe Schmutz der alten Kloake, der inzwischen durch einen Kanal unter dem Flussbett fließt von Ost nach West, hat alles, was Pflanzen zum Wachsen brauchen. Das wussten ja früher schon Laien über die Landwirtschaft: Den besten Dünger macht der Bauer aus Mist.
Und der moderne Landwirt macht aus Sch... – nicht gleich Gold, aber Gemüse.
Im Container wächst Basilikum, ganz ohne Erde
An der Kläranlage Emschermündung klappt das schon. Im Projekt „Suskult“ (für „Nachhaltige Kultivierung“) gibt es kein Feld, das sie beackern, das litte ja auch an dem grundsätzlichen Problem – der zunehmenden Dürre. Sondern es steht dort ein schlichter Container, knapp sechs Meter lang und zweieinhalb hoch, Leergewicht 4000 Kilo. Aber er ist nicht leer. Im Schatten des „Technikums“, in dem die Emschergenossenschaft die Wasseraufbereitung der Zukunft ausprobiert, und in Riechweite einer Test-Kläranlage wachsen drinnen gerade Basilikum, das fast vergessene Wildgemüse Portulak und grüner Salat in Vierer-Reihen. Nicht in der Erde, sondern in Dünger, der eben noch Abwasser war.
„Auf einer Kläranlage“, sagt Sprecher Ilias Abawi, „fällt alles ab, was man für die Landwirtschaft braucht.“ Wasser natürlich, Wärme, CO2, Stickstoff, Phosphor. Letztere das, was Düngemittelhersteller für ihre Produkte brauchen. Im gängigen Reinigungsprozedere wird das schlicht entsorgt. Der Dreck, so Abawi, „kommt an und weg“. Derweil andernorts die Düngemittelindustrie mit Hilfe von Erdgas teure Inhaltsstoffe herstellen muss. In Dinslaken, der größten Kläranlage der Emschergenossenschaft, arbeiten deshalb 15 Projektpartner mit an der Idee, den wertvollen Stickstoff zurückzugewinnen, die eher schlecht verfügbaren Nährstoffe zu recyclen.
Stadionwurst aus Wasserlinsen beim BVB?
Und mit der Nahrungsmittelproduktion zu koppeln. Bisherige Ernten haben bereits gezeigt, dass das funktioniert: Mangold, Wasserlinsen, Kohlrabi, Süßkartoffel und Tomaten wuchsen schon binnen 14 Tagen im Container, Mitarbeiter nahmen sie mit nach Hause zum Probieren. Aus Wasserlinsen, verrät Projektleiter Dr. Linh-Con Phan, habe er tolle Gerichte gezaubert, das proteinhaltige Gemüse sei einfacher zu züchten als Soja, „das zukünftige Tofu“. Wobei weder das Kochen noch die Landwirtschaft sein eigentliches Fach sind: Der Bauingenieur beschäftigte sich im Studium mit Siedlungswasserwirtschaft.
Schon deshalb ist der Mann hier in seinem Element. In der Kläranlage Emscher-Mündung wurden im Jahr 2022 fast 111 Millionen Kubikmeter Abwasser gereinigt, hierher kommt der Schmutz einer ganzen Region. Und hier weiß man aus langjähriger Forschung, wie mit der vierten Reinigungsstufe auch der Rest an Schwermetallen und Medikamentenrückständen herausgefiltert wird, damit auch wirklich keine Schadstoffe ans Gemüse kommen. Schon träumen die Forscher von mehrstöckigen Gewächshäusern auf dem Gelände, von einem Gemüsemarkt „ab Erzeuger“ direkt an der Oberhausener Stadtgrenze. Kooperationen mit der Landwirtschaft sind denkbar, Konkurrenz will die Emschergenossenschaft eher nicht.
Bei konstanten 20 Grad ist das erst Gemüse nach einer Woche erntereif
Geringer Flächenbedarf und hohe Effizienz sind die Stichworte, und auch: keine Preisschwankungen. Denn Wetter oder Kosten für Dünger hin oder her, zur Toilette gehen die Menschen immer. Noch kommt die Energie zum Recycling zwar gewissermaßen aus der Steckdose, aber das wäre der Vision nächster Schritt: dass auch Strom und Wärme aus der Kläranlage kommen, die bei der Abwasserreinigung reichlich entstehen. Schon jetzt führen eine gezielte Lichtsteuerung durch LED-Technik und das konstante Raumklima bei 20 Grad zu kürzeren Vegetationsperioden und häufigeren Ernten.
Die erste Projektphase läuft Ende dieses Jahres aus, eine weitere ist bereits beantragt. Stellt sich die Frage: Würden die Menschen das Gemüse aus dem Abwasser auch essen? Die ebenfalls an Suskult beteiligte Justus-Liebig-Universität in Gießen hat möglichen Kunden die Frage bereits mehrfach gestellt. „Würdest du Gemüse essen, das mit Nährstoffen aus Abwasser angebaut wurde?“ Zumindest diejenigen, die man zuvor informiert hatte über das Wie, waren „mehrheitlich nicht abgeneigt“.