Dinslaken. Dauerregen beim Tocotronic-Konzert im Burgtheater stellte Band und Publikum vor Herausforderungen. Warum Dirk von Lowtzow auf die Knie ging.
Tocotronic sind Hamburger, „Schietwetter“ kann sie nicht erschüttern. Als den „Ort mit dem besten Wetter“, bezeichnete Dirk von Lowtzow am Sonntag Dinslaken, wo es pünktlich zum Konzertbeginn um 19 Uhr zu regnen begonnen hat, und gab dann zu: „Eigentlich ist es überall so wo wir auftreten. Aber Dinslaken ist nicht „überall“. Es regnete nicht nur, es schüttete und damit auch ja das Wasser bis in die letzte Ecke des Burgtheaters spritzen konnte, drehte sich auch permanent der Wind. Selbst die Bühne war nass, ein Teil der Technik musste abgedreht werden.
„Geduldig und aufmerksam“
Immer häufiger ging von Lowtzow in den Zwischenmoderationen auf die widrigen Verhältnisse ein. Der Grund dafür war, dass die Hamburger zwar schlechtes Wetter gewohnt sind, aber Tocotronic, die zum ersten Mal im Burgtheater auftraten, nicht die Härte des Dinslakener Publikums kannten. Hatten die Fans zu Beginn noch Zuflucht unter den Bäumen gesucht, scharten sich im Laufe des Abends immer mehr von ihnen am Bühnenrand. Und als der offizielle Zugabenblock beendet war und schön längst vom Band die „Internationale“ Beethovens „Seid umschlungen, Millionen“ gefolgt war, blieben die Durchweichten im Burgtheaterrund so hartnäckig, dass sie Tocotronic zurück auf die Bühne holten. „Ich glaube, über dieses Konzert werdet ihr und werden wir noch in 20 Jahren reden“, meinte Dirk von Lowtzow schon zuvor und ging vor seinen Fans auf die Knie: „Ihr seid so geduldig und aufmerksam - ihr seid toll!“
Punkrock
Ist doch schön, wenn sich von Lowtzow auch mal über was freuen kann. Tocotronic live sind ein anderes Kaliber als auf den Studioalben. Weniger Indierock, dafür bedeutend mehr Punkrock und Postpunk. Basslastiger, mit verzerrten, dröhnenden und aufheulenden Gitarren und sich wiederholenden, schweren Pattern. Da ist mehr Underground der 80er statt Hamburger Schule, der sich mit aller Wucht den Weg durch die Regenmassen bahnt.
Aber genau dieser Sound passt zu der Wut in Dirk von Lowtzows Texten, für die „Diskursrock“ viel zu harmlos ist. Der Sänger kommt zum sehr schön passend ausgewählten Prokofjew-Intro mit gereckter linker Faust auf die Bühne, drückt erst einmal seine „Verachtung für das kleptokratische Regime, das vor eineinhalb Jahren diesen Krieg begonnen hat“, und zugleich „seine Solidarität für alle Menschen auf der Flucht - gleich wo“ aus: am Merchstand stehen Spendendosen und Infomaterial für Pro Asyl. Es folgt der Titelsong der Tour „Nie wieder Krieg“, welches Gewicht diese Wiederaufnahme des Plakatslogans von 1924 knapp 100 Jahre später haben wird, konnte Tocotronic bei der Veröffentlichung des Albums nicht klar sein: Sie erfolgte einen Monat vor dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Ein Liebeslied an die E-Gitarre
Doch geht es in dem Text auch um mehr: „keine Verletzungen mehr“, im Anschluss laden Tocotronic in ihre „freie Welt“ ein. Raus aus dieser Welt: „Aber hier leben? Nein danke“. „Eure Liebe bringt mich um“, „ich hasse es hier“. Das schönste Liebeslied des Abends richtet von Lowtzow an seine E-Gitarre. Da schwindet auch die gewisse Bissigkeit aus der Stimme.
Punk also. Laut, rau, düster. „Hey now now now, sing this corrosion to me“ heißt es in der Liveversion von „This boy is tocotronic“. „Let there be rock“ und es ist Rock im Burgtheater. Ja, es war Schietwetter. Aber irgendwie passte es zu „Kannst du in den Pfützen die Wolkenfetzen sehen?“ Nicht Berlin. Dinslaken. Damit sich Dirk von Lowtzow, Jan Müller (Bass). Arne Zank (Keyboard) und Rick McPhail (Gitarre) noch in 20 Jahren dran erinnern.