An Rhein und Ruhr. Ausbau der Bahnstrecke zwischen Emmerich und Oberhausen zum „Hochleistungskorridor“ Oberhausen. Womit Bahnpendler ab 2024 rechnen müssen.
Die gute Nachricht ist: Der seit Jahrzehnten geplante und seit knapp sechs Jahren laufende Ausbau der Bahnstrecke Oberhausen-Wesel-Emmerich soll deutlich beschleunigt werden. Die schlechte Nachricht für alle Bahnpendler am rechten Niederrhein: Die sogenannte „Betuwe-Linie“ wird für anderthalb Jahre für den Personenverkehr fast komplett gesperrt.
Wie die Bahn gestern mitteilte, ist die 72 Kilometer lange Linie von Oberhausen über Dinslaken, Wesel und Emmerich zur Landesgrenze als einer der „Hochleistungskorridore“ identifiziert worden. In diesen Korridoren werden die einzelnen Baumaßnahmen gebündelt und konzentriert abgewickelt werden sollen, damit man schneller fertig wird – und danach die Strecke für Jahre nicht mehr anpacken muss.
Der entscheidende Nachteil: Für den Ausbau der Hochleistungskorridore werden diese komplett gesperrt - was im Falle der Betuwelinie mit einer kleinen Einschränkung gilt: Weil der Güterverkehr nicht vollständig umgeleitet werden kann, wird ein Gleis offen gehalten. Für die Bahnpendler am rechten Niederrhein, so ein Bahnsprecher, werde es einen ausgeklügelten Ersatzverkehr geben und vermutlich wird dieses eine Gleis zumindest tagsüber so etwas wie ein Nadelöhr für einen Rest-Nahverkehr werden können.
„Getaktete Sperrungen und überwiegend eingleisiger Verkehr“
Der 72 Kilometer lange Abschnitt ist Teil der europäischen Verbindung zwischen Rotterdam und Genua und könne nicht für einen längeren Zeitraum komplett gesperrt werden, hieß es. „Deshalb wird die Sanierung im Zeitraum zwischen November 2024 und Juni 2026 mit getakteten Sperrungen und bei überwiegend eingleisigem Betrieb auf Grundlage der mit den Niederlanden erfolgten Abstimmungen vorgenommen“, so die Bahn.
Auch in 2023 müssen die Bahnpendler am rechten Niederrhein mit erheblichen Einschränkungen rechnen: die Strecke ist dann bereits an insgesamt 75 Tagen komplett gesperrt und an weiteren 55 Tagen nur eingleisig befahrbar. Pausen gibt es in der ersten Aprilhälfte und vom 25. August bis zum 24. September sowie Ende November 2023.
in 2024 soll es dann mit dem konzentrierten Ausbau als Hochleistungskorridor weitergehen. Diese Korridore seien – sowie die gestern ebenfalls verkündete Sanierung der Bahnstrecke Hamburg-Berlin (der dritten Vollsperrung seit der Wiedervereinigung!) „zentrale Bausteine im künftigen Hochleistungsnetz“, teilte Bahn-Chef Richard Lutz am Freitag mit. Ziel sei es, durch die Erneuerung der wichtigsten Korridore noch mehr Menschen und Unternehmen für die Schiene zu gewinnen.
Ein Fertigstellungsdatum für die Betuwe-Linie indes wurde aus guten Gründen nie genannt: Der Ausbau einer Bahnstrecke „unter dem rollenden Rad“ wie es im Bahnerdeutsch heißt, ist immer ein Balanceakt: Wie schnell und wie viel kann ich bauen, ohne dass der Verkehr zu sehr gestört wird? Die vor einem Jahr getätigte Erfindung der Hochleistungskorridore soll das ändern. Die Idee: Alle Züge umleiten und in einem Rutsch alles sanieren: Vom Bahnhofsgebäude bis zur Schallschutzwand, vom Schotter bis zur Oberleitung.
Es wird auch Zeit: Schon vor 30 Jahren wurde im Vertrag von Warnemünde festgeschrieben, dass die Strecke für den Güterverkehr ausgebaut werden soll auf drei Gleise. Zudem sollen ICEs mit Tempo 200 verkehren. Während die Niederlande 2007 die Fertigstellung ihres Streckenteils feierten, wurde auf deutscher Seite 2017 der erste Spatenstich getan. Seitdem geht es hier Stückchen für Stückchen voran – dazu wird häppchenweise immer mal der Verkehr eingestellt.
Der Vorteil, so das Versprechen der Bahn: Mitte 2026 ist (fast) alles fertig. Indes war gestern noch offen, ob bis dahin überhaupt Baurecht für die zahlreichen Planungsabschnitte entlang der Strecke besteht. Sollte also 2026 die Strecke tatsächlich fertig sein, versprechen die Bahnplaner nur eine winzige, kleine weitere Vollsperrung: Um die Strecke an das europäische Zugsicherungssystem ETCS anzuschließen, muss der Betrieb noch einmal pausieren: irgendwo zwischen einer Woche und einem Monat dauere das, so ein Bahnsprecher.
Kritik vom Verband der Güterverkehrsunternehmen
Dank der „Hochleistungskorridore“ soll das nun schneller vorangehen. Das erste Modernisierungsprojekt startet 2024 auf der Strecke Frankfurt/Main und Mannheim, der sogenannten Riedbahn. Bis 2030 will die Deutsche Bahn pro Jahr dann mindestens zwei weitere Korridore sanieren, darunter die nun verkündeten Abschnitte. Die Sanierung der ersten Korridore soll aus Sicht der Bahn bereits das gesamte Netz entlasten, weil im Fernverkehr alles zusammenhängt.
Kritik an dem Konzept kam am Freitag vom Güterbahn-Verband Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), in dem die Konkurrenten der Bahn im Schienengüterverkehr organisiert sind. „Nichts ist abgestimmt in dem Sinne, wie es hier suggeriert wird“, teilte der Vize-Verbandsvorsitzende Sven Flore mit. In einer Stellungnahme zu den Korridoren an die Bahn kritisiert der Verband unter anderem die absehbare Gleichzeitigkeit der Baumaßnahmen auf der Riedbahn sowie auf der Strecke Oberhausen-Emmerich. Die Wahl der Strecke sowie des Zeitraums sei „nicht schlüssig begründet“.
Die Bahn verwies als Reaktion auf die Kritik auf EU-Vorgaben, die etwa bei der Anmeldung von Sperrpausen berücksichtigt werden müssten. „Aus diesem Grund beschränkten sich die Möglichkeiten für 2025 auf die Korridore Hamburg-Berlin und Emmerich-Oberhausen, da hier ohnehin bereits Baumaßnahmen bzw. ein Streckenausbau geplant waren“, hieß es.