Dinslaken/Voerde. Austrittswelle in der katholischen Kirche macht sich beim Amtsgericht bemerkbar. Gemeindeleitungen sehen „langfristigen Prozess der Entfremdung“.
Die katholische Kirche hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt, die Stimmung ist schlecht, die Zahl der Kirchenaustritte nimmt stetig zu. Für Montag, den letzten Tag im Januar, waren allein elf Termine in der Sache beim Amtsgericht Dinslaken online gebucht. „Ab Donnerstag, 17. Februar, gibt es noch einzelne freie Termine, Ende Februar sind noch viele Termine buchbar“, sagt Amtsgerichtsdirektorin Cornelia Flecken-Bringmann auf Anfrage. Die Austrittswelle in der katholischen Kirche macht sich bei den Amtsgerichten in der Region bemerkbar.
Und die Direktorin nennt Zahlen für den Zuständigkeitsbereich Dinslaken/Voerde – katholisch und evangelisch. Allein im Januar 2022 gab es insgesamt 87 Austritte aus der Kirche (davon 47 katholisch), im Januar 2021 waren es vergleichsweise „nur“ 23 (davon 17 katholisch). Austritte in den beiden Vorjahren, 2021: insgesamt 712, davon 400 katholisch, 308 evangelisch, vier sonstige. 2020: insgesamt 495, davon 243 katholisch, 249 evangelisch, drei sonstige.
Auch vor Ort in den Kirchengemeinden spürt man, dass sich viele Mitglieder von der katholischen Kirche abwenden. Pfarrer Wilhelm Kolks aus der Pfarrei St. Peter und Paul Voerde, gleichzeitig Dechant im Dekanat Dinslaken, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Ich möchte mich in Priesterkleidung nirgendwo hinstellen. Kirche gibt kein gutes Bild ab. Vieles ist falsch gelaufen. Die Missbrauchsfälle und der Umgang damit sind ein Schlag ins Kontor.“ Dabei spricht Kolks von einem „langfristigen Prozess der Entfremdung von Kirche“ und einem „Transformationsprozess von Volkskirche weg“. Austritte habe es immer schon gegeben, auch die Zahl der Taufen nehme weiterhin ab.
Kirchenkleid enger nähen
Wie könnte dem entgegengesteuert werden? „Gar nicht, Prozesse kann man nur begleiten. Kirche muss sich neu aufstellen“, so Kolks. Er sieht einen „Abgesang der Traditionen“, einen Konflikt zwischen „beharrenden und progressiven Kräften“. Kirchen arbeiteten zurzeit ihre Geschichte auf, „eine Umkehr ist nicht möglich ohne schmerzliche Erkenntnisse. Die Kirchenleitung hat sich nicht für die Opfer interessiert, aber auch nicht Therapiemöglichkeiten vertraut.“
Durch weniger Kirchensteuereinnahmen sieht der Spellener Pfarrer für kirchliche Träger auch finanzielle Einbußen: „Die Anteile werden schrumpfen. Wir werden uns auf Dauer von Kirchengebäuden, Pfarrheimen und teuren Renovierungen trennen müssen. Wenn einem das Kleid zu groß geworden ist, muss es enger genäht werden.“
Die Kirchenaustritte lassen Kolks nicht kalt. Wenn er vom Amtsgericht die Gesuche bekomme, „lade ich die Personen ein, um über ihre Gründe zu sprechen. Nur manche wenige nehmen das Angebot an.“ Aber er höre auch: „Geld spielt schon eine große Rolle.“
Diskussionsforum einrichten
Barthel Kalscheur, leitender Pfarrer in St. Vincentius Dinslaken, sieht die Problematik ähnlich: „Gegen große Trends lässt sich gar nicht ansteuern. Es gibt viele Menschen, die hängen nur noch mit einem dünnen Faden an Kirche und Gemeinde. Ich leide darunter, dass Kirche nur mit Negativschlagzeilen verbunden wird. Glauben und Botschaft von Kirche geraten in Misskredit.“ Eine Differenzierung machten viele nicht mit, so der Pfarrer. „Wir bemühen uns um einen vernünftigen Auftritt mit der verbalen Verkündigung von Wahrheit und Hoffnung, wollen die Wahrnehmbarkeit und Botschaft von Kirche herüberbringen.“
Ein Ansatz sei im Kirchenvorstand besprochen worden: „Wir wollen ein Diskussionsforum in der Gemeinde einrichten und den Austausch anbieten“, so Barthel Kalscheur. Viel mehr Möglichkeiten sehe er nicht. „Die große gesellschaftliche Umwälzung werden wir nicht aufhalten, die Menschen reiben sich an den Vorkommnissen in der Kirche. Aber wir müssen glaubhaft die gute Botschaft akzentuieren und leben.“