Dinslaken. NRZ-Serie „Guck mal!“: Die Skulptur von Klaus Jost steht an der Ev. Stadtkirche und ist schon Dabei handelt es sich bei nicht um den „Deiwel“.
Guck mal! Wer steht denn da neben der Evangelischen Stadtkirche? Groß, schmal, rostbraun und dann der Kopf! Sind das etwa Hörner, steht der Teufel in Dinslaken vor der Sakristei? Klaus Jost muss lächeln bei diesem Vergleich. Auch heute noch, nach fast 20 Jahren. Und findet ihn auch gar nicht schlimm, Interpretationsspielräume gehören schließlich zu einem gelungenen Kunstwerk dazu. Und Jost ist der Künstler, der den Gesellen aus schwerem Eisen herausgeschnitten und zusammengeschweißt hat und ihn nicht nur mit großen runden Augen einen echten Durchblick gab, sondern vor allem – aufhorchen ließ.
Tatsächlich sind die „Hörner“ nämlich Ohren: lange Löffel, hoch aufgerichtet und wortwörtlich gespitzt. „Ohrenmann“ heißt die Skulptur, die mit dem Skulpturenweg-Projekt 2002 in die Stadt kam und mit den gemeinsam mit Kuno Lange geschaffenen „Streithähnen“ das zweite bekannte und beliebte „Guckmal“ ist, mit dem der Oberhausener den Dinslakenern wie den Gästen von auswärts Freude bereitet. Denn egal, wie man den „Ohrenmann“ nun interpretiert – er ist ein Sympathieträger. Es macht einfach Spaß, ihn im Blumenbeet zu sehen – und von seinen großen runden Augen, durch die das Licht fällt, „angeguckt“ zu werden.
Skulptur mit ungeschliffenen Konturen
Der „Ohrenmann“ mag in der Altstadt ein Einzelgänger sein, aber er stammt aus einer großen Familie. Von 1993 bis 2014 rang Klaus Jost Stahlplatten unterschiedlicher Stärke mit dem Plasmabrenner fantasievolle Skulpturen ab. In ihren ungeschliffenen Konturen, der rostschillernde Oberfläche und den großen runden, lichtdurchfluteten Augen steckt Leben. Und die Figuren selbst scheinen voller Tatendrang zu stecken. Schreien, laufen, gucken, horchen. Breiten ihre Arme als „Schutzgeister“ an der Haustür aus oder lassen sich vor keinen Karren spannen, weil sie selbst Schlange oder Kastenmann auf Rädern sind.
Für ein Leben als freier Künstler entschieden
Klaus Josts Skulpturen sind der metall-klingende Beweis, dass Kunst Spaß machen kann und Spaß machen darf. „Ich habe im Leben genug Elend gesehen, das brauche ich nicht noch in der Kunst haben“, sagt Klaus Jost, der Allgemeinmediziner war, bevor er sich für ein Leben als freier Künstler entschied. Eine Kehrtwende? Eher eine Hinwendung zur heilenden Kraft der Kunst. Wer eine Skulptur von Jost in sein Leben gelassen hat, weiß, dass sie mehr ist als einfach nur Kunst im Raum. Sie wird zum Mitbewohner, zum Muntermacher und Aufmunternden. „Ich weiß von Menschen, die Arbeiten von mir sogar mit ins Krankenhaus genommen haben, weil sie sagen, dass der Anblick ihnen gut täte“, berichtet Jost. „Es scheint eine positive Energie von ihnen auszugehen“.
Kein Platz vor der katholischen Kirche
Aber einer wollte diese „positive Energie“ nicht erkennen. Und das war ausgerechnet Pastor Bernhard Kösters. „Der Deiwel kommt mir nicht vor die Kirche“ erklärte er und stellte sich damit gegen den ursprünglichen Plan, den „Ohrenmann“ den Platz am Skulpturenweg am Parkplatz hinter St. Vincentius zu geben. Nach einem Intermezzo am Museum Voswinckelshof trat allerdings sein evangelischer Amtskollege, Pfarrer Ronny Schneider, auf den Plan. Er beriet mit seinem Presbyterium, den Ohrenmann, der sich inzwischen in Dinslaken großer Beliebtheit erfreute, seinen heutigen Platz neben der Sakristei der Stadtkirche zu geben. „Zur Aufstellung gab es ein richtiges Fest“, schwärmt Klaus Jost.
Still steht der „Ohrenmann“ nun im Blumenbeet und lauscht. Gottes Wort? Den Gesprächsfetzen der Passanten mit ihren Freuden und Sorgen? Wer weiß, der Ohrenmann hat Augen, aber keinen Mund. Er hört, er sieht. Aber er schwätzt nicht.
Buch-Vorderschnitte für die Wand
Klaus Jost hat das schwere Handwerk der Metallbildhauerei vor fünf Jahren aufgegeben. „Der Künstler ist schon 70 geworden, da möchte man nicht mehr so viel an der Flex stehen“, erklärt er. Die Fotografie ist sein neues Metier. Auch hier leistet Jost wiederum Beeindruckendes, das eben auch durch Originalität besticht. Streng linear und abstrakt wirken die Werke der Serie „Vorderschnitt“. Tatsächlich handelt es sich um Buch-Vorderschnitte. Joyces „Ulysses“ oder Melvilles „Moby Dick“ nicht fürs Regal, sondern für die Wand. Es zählt das Papier, sein Schnitt, seine Stärke, die zusammengeklappten und im Profil fotografierten Buchseiten verraten mit keinem einzigen gedruckter Buchstaben, welches literarische Werk sich im Inneren verbirgt.