Dinslaken. Dr. Barbara Florange, Chefärztin am St. Vinzenz-Hospital, rät dazu, in der Corona-Krise den Alltag so normal wie möglich weiter zu gestalten.

Ausgehbeschränkungen, Kontaktverbote – Deutschland lebt im Krisenmodus und ein Ende ist nicht in Sicht. Was macht das mit den Menschen? Mit dem Umgang miteinander? Wie ist es, wenn plötzlich nichts mehr in seinem Leben so ist wie noch ein paar Tage zuvor? Dr. Barbara Florange, Chefärztin der Psychiatrie und Psychotherapie im St. Vinzenz-Krankenhaus in Dinslaken, weiß um die schwelende Angst bei den Menschen.

„Wir werden aus unseren sozialen Bezügen herausgerissen, das schafft schon Unsicherheit“, sagt die Ärztin. Diese Art Kontrollverlust über das eigene Leben wirke schwer. Das stellten auch viele ältere Menschen fest. Dabei gebe es unterschiedliche Sicherheitsbedürfnisse der Menschen: Die einen, unabhängig vom Alter, könnten sich relativ leicht auf eine mögliche Katastrophen- bzw. Krisensituation einstellen, sie rationalisieren, andere könnten es von ihrer Persönlichkeit her nicht.

Persönlichkeit und Sozialstruktur spielen eine Rolle

Nicht nur die Persönlichkeit spiele dabei aber eine Rolle, sondern auch die komplette Sozialstruktur, in die Menschen eingebunden seien. Familien mit guten Kontakten nähmen eine solche Krise vielleicht leichter als andere. Wichtig aber sei es, sich feste Strukturen zu geben. „In einer Familie kann man die Abläufe planen, Aufgaben an alle verteilen, Zeiten für die Schule, die Arbeit aber auch die Freizeit einplanen, neue Strukturen des menschlichen Zusammenlebens erfinden. Dass dies helfe, höre ich immer wieder“, zeigt sie auf. Und Kontakte zu Eltern, Großeltern zu halten, dafür gebe es im Zeitalter der Digitalisierung verschiedene Möglichkeiten.


„Bitte so normal wie möglich den Alltag weitergestalten, auch wenn es lange dauert“, rät Dr. Barbara Florange. Jeder müsse sein Leben auf die Krise einstellen, das sei bei jedem unterschiedlich: Menschen, die weiter außerhalb der eigenen vier Wände arbeiten müssten, die Tag für Tag mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs seien, die Pfleger, die Supermarktmitarbeiter, müssten sich andere Strukturen geben als die Menschen, die daheim arbeiten, sie alle müssen sich individuell einstellen.

Keine Ausgangssperre lasse einen gewissen Spielraum

„Hier gibt es bislang noch keine Ausgangssperre wie in Italien“, sagt sie weiter. Das gebe den Menschen noch einen gewissen Spielraum. „Hier kann man noch als Familie spazieren gehen, sich mit einem anderen zum Sport treffen, darüber bin ich sehr froh“, so die Psychiaterin. Aussagen von Kollegen wie „Die Selbstmorde werden steigen“, bereiten Florange eher Unbehagen. Das schüre unnötige Ängste und sei keinesfalls erwiesen. Im Gegenteil, in schweren Notsituationen sei es nicht zu vermehrten Suiziden gekommen.

„Zumal heute jeder die verschiedensten Kontaktmöglichkeiten in Anspruch nehmen kann“, so Florange.

Auch im Krankenhaus stünden die Therapeuten Menschen hilfreich zur Seite. Jeder kann über eine Notfallnummer entweder die Seelsorge oder einen Therapeuten erreichen, so die Chefärztin. Auch die Zentrale Notaufnahme stünde offen. „Wir lassen niemanden im Stich.“

Corona verändert auch den Alltag im Krankenhaus

Dr. Barbara Florange, Chefärztin der Psychiatrie und Psychotherapie im St. Vinzenz-Hospita, beschreibt im Gespräch mit der NRZ auch, wie sich das Coronavirus auf den Alltag in einem Krankenhaus auswirkt: „Es gibt auch im Krankenhaus einen so genannten Katastrophenplan, den wir allerdings in dieser Krise modifizieren müssen.“ Bei den Szenarien früherer Pläne etwa im Falle von Unfällen größerer Art, ob Chemie- oder Zugunfall, geht man dennoch von Besuchen der Angehörigen aus. In der Corona-Krise hingegen sind Besucher bei Patienten verboten, die Angehörigen haben keinen direkten Kontakt zu den Patienten und Ärzten. So stehen sie allein mit ihren Ängsten, wie es denn wohl den kranken Verwandten gehe.


„Das mussten wir uns klarmachen. Die Menschen sorgen sich ja um ihre Angehörigen. Vor der Corona-Krise war das alles kein Problem. Jetzt sind wir neu gefordert“, sagt Florange.

Hotline für Angehörige soll geschaltet werden

Eine für das Krankenhaus neue Situation, der man nun durch eine Hotline Abhilfe schaffen möchte. Am Mittwoch hatten sich die Mediziner und Seelsorger im St. Vinzenz-Hospital zusammengesetzt und neue Wege aufgezeigt. „Wir sammeln jetzt Informationen über unsere Patienten und schalten ab sofort eine Telefon-Hotline über die die Angehörigen fachkundige Informationen bekommen können.“ Jeder Krisenplan sei auf die jeweilige Situation abzustimmen, das hätten sie getan. „Wir haben nie für möglich gehalten, dass es einmal einen Notstand an Mundschutz und Toilettenpapier gibt.“

Bei Letzterem ist sie sich sicher, dass es nach Bewältigung der Krise, Sozialwissenschaftler und Psychologen gibt, die darüber zahlreiche Abhandlungen verfassen werden.

Ob es zu weiteren Veränderungen nach der Krise komme? Die Chefärztin hofft auf gesamtgesellschaftliche Änderungen, dass die gegenseitige Wertschätzung steige, vielleicht werde man die bisher nicht so respektierten Berufsgruppen wertvoller einschätzen lernen. „Vielleicht wird es im Privaten auch die eine oder andere Trennung geben oder man wächst wieder zusammen.“