Voerde/Kreis Wesel. Bürgermeister Haarmann findet die Möglichkeit, mit tagesaktuellem negativen Coronatest Angebote des Einzelhandels wie bisher zu nutzen, richtig.
Der Kreis Wesel macht als Kommune, über die das Land am Freitag die Corona-Notbremse verhängt hat, von der Test-Option Gebrauch. Damit wendet er die Rückkehr zu einem Lockdown mit verschärften Regelungen ab. Die NRZ befragte Voerdes Bürgermeister Dirk Haarmann zu dem vom Kreis eingeschlagenen Weg, der seit Montag, 29. März, gilt.
Herr Haarmann, wie sehen Sie als Bürgermeister der Stadt Voerde, deren 7-Tages-Inzidenz am Freitag bei 132,5 und damit noch einmal höher als die kreisweit lag, die Möglichkeit, dass Bürger mit einem tagesaktuellen bestätigten negativen Ergebnis eines Schnell- oder Selbsttestes zu den bisher geltenden Regelungen etwa Angebote im Einzelhandel (Stichwort: Click & Meet) nutzen können sollen?
Der heutige Voerder Inzidenzwert liegt mit 115,9 wieder knapp unter dem Kreisdurchschnitt von 118,7. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass der Einzelwert für Voerde nur eine grobe Orientierung bieten kann, da die Infektionszahlen auf rund 36.000 Einwohnerinnen und Einwohner bezogen werden. Daher zeigt er eine höhere Schwankungsbreite als der kreisweite Wert. Wer einen negativen Test vorweist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht infiziert und nicht ansteckend. Daher finde ich die nun eingeräumte Möglichkeit richtig. Problematisch sind eher die Kontakte, die ohne Tests in geschlossenen Räumen und auch im Freien stattfinden.
Glauben Sie, dass der Ausweg aus dem verschärften Lockdown, der für Notbremse-Kommunen eigentlich gilt, durch den Ausbau der Schnelltest-Stellen vertretbar ist, obwohl die Infektionszahlen zurzeit wieder rapide steigen?
Diese Frage muss immer unter Berücksichtigung der lokalen Einzelhandelsstrukturen beantwortet werden. Da Voerde keine Fußgängerzonen hat, durch die die Menschen in größerer Zahl strömen, halte ich das für vertretbar.
Landrat Ingo Brohl hat konstatiert, dass ihn die Dynamik der steigenden Inzidenz umtreibe und diese im Auge behalten werden müsse, aber zugleich auch die rückläufige Akzeptanz von pauschalen Schließungsmaßnahmen und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen solcher Maßnahmen zu beachten seien. Teilen Sie die Einschätzung des Landrates?
Auch mich treiben die deutlich steigenden Inzidenzzahlen um. Und ich teile auch die Sorge um die wirtschaftlichen und sozialen Wechselwirkungen. Grundsätzlich darf man in der Pandemiesituation die Frage von Schließungen nicht vorrangig von der Akzeptanz der Bevölkerung abhängig machen, sondern von den Notwendigkeiten auf der Grundlage der Expertenempfehlungen. Das aktuelle Ringen um die richtige Öffnungs- bzw. Beschränkungsstrategie zeigt, wie schwierig es ist, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen und dabei beide Aspekte zu berücksichtigen.
Wie nehmen Sie von Seiten der Voerder Bürgerschaft die Akzeptanz der zuletzt getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wahr?
Seit heute Morgen bleibt die Corona-Hotline im Rathaus nicht mehr still, weil viele Bürgerinnen und Bürger die sehr differenzierten Regelungen nicht mehr verstehen und auch deren Sinn hinterfragen. Gleichwohl sehe ich bei den allermeisten Menschen auch weiterhin die Einsicht und die Bereitschaft, die Regeln einzuhalten. Damit dies auch weiterhin so bleibt, muss die Überzeugung bestehen, dass die angeordneten Maßnahmen notwendig, ausgewogen und zielführend sind. Hierzu müssen wir in den Kommunen vor Ort den Menschen im Gespräch zur Verfügung stehen. Da genügen die zahlreichen Talkshows und Corona-Sonderformate im Fernsehen nicht.
Sind Ihnen bereits Meinungen bezüglich der Erleichterung der Notbremse gespiegelt worden? Wenn ja, eher positive oder eher negative?
Bisher sind das weit überwiegend erst einmal Verständnisfragen, die an uns gerichtet werden – von Einzelhändlern und von Bürgerinnen und Bürgern. Einige sind immer dabei, die die grundsätzliche Notwendigkeit sämtlicher Maßnahmen anzweifeln bzw. mittlerweile einfach „coronamüde“ werden und die Geduld verlieren.
Befürchten Sie, dass die Stimmung zu kippen droht angesichts der seit einem Jahr währenden Pandemie und einer nicht erkennbaren Perspektive?
Es gibt eine klar erkennbare Perspektive! Die Teststrukturen sind aufgebaut, die Impfstrukturen stehen mit der Ausweitung auf die niedergelassenen Ärzte demnächst flächendeckend zur Verfügung und bei den angekündigten Liefermengen der Impfstoffe dürfte ab Mai schneller geimpft werden. Bei allen Unzulänglichkeiten und Problemen der letzten Monate dürfen wir nicht vergessen, wie weit wir schon gekommen sind. Auch wenn uns allen viel Geduld abverlangt wird, so ist doch absehbar, dass wir die Pandemie bald überwinden können. Alle Experten fordern, dass wir zuvor noch mal in einen harten Lockdown müssen, der uns alle noch einmal fordern wird. Wir haben es aber durch angepasstes Verhalten ein Stück selbst in der Hand, wie schwerwiegend und wie lange dieser Lockdown kommen wird.
Wie lautet Ihr Appell an die Voerderinnen und Voerder?
Für uns alle dauert die Corona-Pandemie im 13. Monat nun schon viel zu lange! Wir wünschen uns die Normalität zurück, wir wollen Freunde und Verwandte treffen, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben wieder uneingeschränkt teilhaben, ins Café oder Restaurant gehen und uns im Sport und in den Vereinen treffen. Auf all dies mussten wir weitestgehend verzichten. Ich kann die aufkommende Ungeduld und Unzufriedenheit gut nachvollziehen – mir geht es ja genauso. Aber es nutzt uns überhaupt nichts, wenn wir in einer Zeit, wo wir – trotz aggressiver Corona-Mutationen – bereits Licht am Ende des Tunnels sehen können, die Flinte ins Korn werfen. Corona erfordert von uns allen noch ein Stück weit die Kraftanstrengung der letzten Monate – und unsere Solidarität mit denen, die unter Corona unsere Hilfe brauchen. Darum bitte ich Sie. Ich freue mich schon sehr auf die gemeinsamen Veranstaltungen und Begegnungen, die wir nach der Überwindung der Pandemie wieder erleben werden.
>>Info: Stellungnahme des Landrates Ingo Brohl
Landrat Ingo Brohl erklärte auf NRZ-Anfrage zu der vom Kreis Wesel genutzten Test-Option: „Den Besuch von Einrichtungen und Geschäften, die ein entsprechendes Hygienekonzept haben, mit einem bestätigten negativen Corona-Testergebnis halte ich für vertretbar. Auch wenn wir die Dynamik der steigenden Inzidenz genau im Auge behalten müssen und diese mich umtreibt, müssen wir auch die rückläufige Akzeptanz von pauschalen Schließungsmaßnahmen und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen solcher Maßnahmen beachten.“Zudem sei leider wahrnehmbar, dass viele Infektionen eher im privaten Umfeld passieren, sagte Brohl. Und weiter: „Wir sind grundsätzlich in einer Phase, wo es erneut auf Eigenverantwortung durch Beachtung der bestehenden Regeln und Empfehlungen ankommt. Diejenigen, die sich seit mehr als einem Jahr an fast alles halten, sich zurücknehmen oder wirtschaftlich am Limit sind, nun mit neuen harten Schritten einzuschränken, wird nicht mehr lange funktionieren.“ (sovo)