Voerde.. Joe Bausch, Tatort-Gerichtsmediziner und Arzt in der JVA Werl, las in Friedrichsfeld aus seinem Buch.
Er ist der Gerichtsmediziner aus dem Tatort, der mit der tiefen Stimme, der dem Kölner Ermittlerteam Ballauf und Schenk zur Seite steht. Und er ist der Mann aus dem Gefängnis. Der Arzt, der sich seit über 25 Jahren um Mörder, Vergewaltiger, Kindsmörderinnen, KZ-Wärter und RAF-Terroristen kümmert und über das Leben hinter Gittern ein Buch geschrieben hat: Joe Bausch. Donnerstagabend las er auf Einladung und zugunsten der Bücherei Friedrichsfeld im Ev. Gemeindehaus Friedrichsfeld aus dem „Knast“.
Und das, „nachdem ich verzweifelt das Zentrum hier gesucht habe“, scherzte er. Voerde sei eine der Städte, „an denen ich bislang vorbeigefahren bin. Aber es ist schön, dass ich durch meine Lesereise einen Grund habe anzuhalten.“ Und das gerne. Denn anders als in Talkshows kann er an solchen Abenden über den Alltag im Knast aufklären. „Ich bin durch sämtliche Talkshows getingelt. Mit viel Glück schaffst du es, 10 Sätze zu sagen“, sagt er. Und auch die Reportagen, die über seine Arbeit gedreht wurden, überzeugten nicht. „Die Fernsehleute haben konkrete Vorstellungen, was sie zeigen möchten. Nicht den Vergewaltiger oder Kinderschänder“, sagt er. „Haben Sie nicht einen Netten?“ sei er gefragt worden. Hat er nicht.
Schwierige Begegnungen
„Ich will mit dem Buch Fragen beantworten, die mir oft gestellt werden“, sagt der gebürtige Westerwälder, der vor der Medizin Theaterwissenschaften, Politik, Germanistik und Jura studiert hat. Nur eine Frage, die mag er nicht mehr hören: „Wie ist das montags in der Sprechstunde, wenn Sie Sonntag im Tatort waren?“ Wie soll das sein. Wenn die Realität auf die Fiktion treffe, könne das skurrile Züge annehmen. So sei er mal zu einem Gefangenen gerufen worden. „Als ich in die Zelle kam, zog der sein Laken über den Kopf und sagte: ,Ich bin doch noch nicht tot’.“ Doch nicht alle Anekdoten sind zum Schmunzeln.
Vieles stimmt nachdenklich. „Ich habe einen Wärter mal zählen lassen, wie oft er in seiner Schicht Türen öffnet und schließt: Er kam auf 825 Schließvorgänge.“ In Werl sitzen rund 900 Gefangene aus 47 Nationen ein. Schwere Jungs. Eine schwierige Gemengelage. „Als in Jugoslawien Krieg war, mussten wir die Serben und Kroaten trennen, obwohl sie bis dahin Freunde waren. Da war plötzlich Hass.“
Bausch erzählt von der Gewalt im Knast, von einem anderen Zeitgefühl, das von Brief zu Brief und Einkauf zu Einkauf gehe, und über nur schwer ertragbare Begegnungen. Wie die mit der Kindsmörderin, die ihr Kind alleine zu Hause zur Welt gebracht hatte, es umbrachte, dann in die Bäckerei arbeiten fuhr und ohnmächtig wurde: „Ich war gerade Vater geworden. Meine Tochter war keine drei Wochen alt. Das machte mich fassungslos.“ Die Frau kam aus einem katholischen Haus, ließ sich auf Liebesabenteuer ein, wurde schwanger und wagte nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Jahre später traf er die Frau zufällig wieder: Sie war verheiratet, hatte zwei Kinder. „Ich gestand ihr, wie sehr mich ihr Fall belastet hatte“, sagt Bausch. Es sei schwer gefallen, Täter tatenlos zu sehen. Er musste lernen, „wie wichtig es ist, Gefühle wie Abscheu und Entsetzen zu verdrängen“.