Dinslaken. Warum Behörden die Dinslakener Spaziergänge trotz gegenteiliger Bemühungen der Organisatoren als Versammlung werten und welche Folgen das hat.
Am Montag haben sich – wie berichtet – erneut mehrere hundert Menschen in Dinslaken und anderen Kommunen des Kreises Wesel zu sogenannten Spaziergängen getroffen. Indem die Organisatoren und Teilnehmenden die Zusammenkünfte als Spaziergänge deklarieren, meinen sie, die Anmeldepflicht im Rahmen des Versammlungsrechts umgehen zu können. Das funktioniert allerdings nicht, stellt jetzt das NRW-Innenministerium auf Nachfrage der NRZ klar.
Bei den Spaziergängen handele es in der Regel „um Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes, sodass diese auch der versammlungsrechtlichen Anmeldepflicht unterliegen“, so eine Sprecherin des Ministeriums. Das Innenministerium habe den Polizeibehörden eine rechtliche Einschätzung zu der Frage an die Hand gegeben, ab wann von einer Versammlung auszugehen ist. Generell ist das laut Kreispolizei der Fall, „wenn mindestens 2 Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung zusammen kommen“. Den Spaziergang am Montag in Dinslaken ordnete die Behörde erneut als Versammlung ein.
Was strafbar ist – und was nicht
Anders als die bloße Teilnahme an Spaziergängen, die laut Ministerium in der Regel keine strafbare Handlung darstelle, sei ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht für Versammlungen eine strafbare Handlung, die zur Anzeige gebracht werde. Ralf Wosnek, Co-Vorsitzender der „Basis“ im Kreis Wesel, hat in seiner Telegram-Gruppe mit mehr als 300 Mitgliedern zu Spaziergängen in Dinslaken angeregt. Die Polizei hat am Montag versucht, ihn in der Menge ausfindig zu machen. Das hat nicht geklappt. Es wurde Anzeige gegen Unbekannt gestellt. Die abschließende Bewertung liegt laut Polizei bei den Ermittlern.
Auch ohne Plakate eine „öffentliche Meinungskundgabe“
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In der Telegram-Gruppe wird appelliert, weder Plakate mitzubringen noch Parolen zu rufen, um den Anschein einer Demonstration oder Versammlung zu vermeiden. Das allerdings nutzt laut Innenministerium nichts. Auch wenn bei den Montagsspaziergängen „eine ausdrückliche öffentliche Meinungskundgabe in Form von Transparenten oder Sprechchören“ unterbleibe, „kommt ihnen dennoch objektiv erkennbar eine öffentliche Meinungskundgabe in Form eines stillen Protests zu“, so das Innenministerium. Die Spaziergänge stünden „in einem objektiv erkennbaren Zusammenhang zu den landes- und bundesweit stattfindenden Montagsspaziergängen, in deren Rahmen zumindest in der Vergangenheit die Corona-Schutzmaßnahmen ausdrücklich kritisiert worden sind“.
Auch die Ankündigung in Chatgruppen – in Dinslaken wurde der Spaziergang am Montag sowohl auf Telegram als auch auf Facebook angekündigt – spreche „für die Annahme einer Versammlung“, so die Sprecherin des Innenministeriums. Chatgruppen mit Mitgliederzahlen von mehreren hundert Personen – wie auch in Dinslaken – würden sich aufgrund der Mitgliederzahl „deutlich von einem überschaubaren Freundes- oder Bekanntenkreis“ unterscheiden.
Warum die Polizei die Versammlung nicht aufgelöst hat
Nach dem Versammlungsgesetz kann die Polizei eine Versammlung theoretisch auflösen, wenn diese nicht angemeldet ist. Daraus wird aber laut Polizei nur im Ernstfall zurückgegriffen – etwa wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Denn für eine Sache demonstrieren zu dürfen, ist eines der wichtigsten Bürgerrechte in der Demokratie. Eine Auflösung könne vor dem Hintergrund des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes) „immer nur die Ultima Ratio darstellen“, so das Ministerium.
Das ändert die neue Verordnung
Nach der neuen, seit Dienstag gültige Coronaschutzverordnung gilt bei Versammlungen mit mehr als 750 Menschen 3G – wenn die Abstände nicht eingehalten werden können. Zudem gilt Maskenpflicht.
Organisierte Spaziergänge mit Veranstalter gelten „als Veranstaltung zur Freizeitgestaltung und damit gilt 2 G“, so das Gesundheitsministerium NRW.
Wenn es keine Versammlung nach Versammlungsgesetz ist und es auch keinen klaren verantwortlichen Veranstalter gibt, „handelt es sich um eine private Zusammenkunft“, so die Auskunft des Gesundheitsministeriums. Dafür gelten entsprechende Beschränkungen: maximal zwei Personen aus einem weiteren Haushalt bei nicht Immunisierten bzw. zehn Personen bei Immunisierten.
>>Appell der Polizei
Die Polizei im Kreis Wesel appelliert an die Verantwortlichen, die Spaziergänge in Dinslaken ordnungsgemäß anzumelden, damit sie die Versammlung schützen kann. Informationen: wesel.polizei.nrw/artikel/versammlungsrecht-2