Dinslaken. Bernd hat acht Jahre auf Mallorca auf der Straße gelebt und war als Aussteiger im Fernsehen zu sehen. Wie er in Dinslaken eine Herberge fand.

Es ist momentan nicht wirklich eine Zeit guter Nachrichten. Die Menschen sind verängstigt, besorgt und genervt wegen der Corona-Pandemie. Aber das hier, das ist eine positive Geschichte. Eine ganz bescheidene. Sie handelt von Bernd. Bernd war ausgestiegen. Aus Deutschland. Und irgendwie auch aus seinem Leben. Als Auswanderer war er auf Mallorca in der Fernsehsendung „Goodbye Deutschland“ zu sehen. Dort ist er abgestürzt, lebte von Alkohol und Almosen, und es gab Situationen, da lebte er auch schon fast nicht mehr. Aber Bernd hat es geschafft.

Meister auf dem Bau

Heute sitzt der 57-Jährige auf seiner Couch. In seiner Wohnung. „Willst du einen Cappuccino“, fragt er die Besucherin von der Presse und eilt in die Küche. Seine Küche. Im Fernseher läuft eine Serie, im Aschenbecher glimmt eine Selbstgedrehte. Bernd kommt mit einem Becher mit dampfendem Instant-Cappuccino aus der Küche und setzt sich wieder. An der Wand hinter seinem Kopf hängt ein Hertha BSC-Schal. Denn ursprünglich ist Bernd ein „Berliner Jung“, wie er sagt. Dort hat er eine Lehre als Maurer und seinen Meister gemacht. „Und dann wurde mir von der Firma gesagt, dass sie keine Jungmeister brauchen.“ Das war vor 30 Jahren. Als ihm in der Situation jemand in einer Kneipe einen Job als Meister auf dem Bau auf Mallorca anbietet, schlägt er zu. „Da war ich ziemlich jung, ledig, ungebunden. Und so bin ich nach Mallorca gekommen.“

Das Unternehmen dort geht nach wenigen Monaten pleite. „Aber was soll man machen, dann warste da“, meint Bernd. Als deutscher Handwerker findet er schnell neue Jobs und einige Jahre läuft es gut. Bis eine Firma „uns mit Falschgeld bezahlt hat“. Als Bernd und seinen Kollegen das auffällt, ist der Unternehmer weg. „Da hatten wir auf einen Schlag keine Arbeit mehr, kein Geld, gar nix mehr“, erinnert sich Bernd. „Was soll man machen“, sagte er wieder und lacht verlegen, „das Leben geht weiter“.

Und zwar auf dem Parkplatz eines Hospizes in Palma. In einem Zelt aus geflickter grüner Bauplane. „Das war der reinste Luxus“, sagt Bernd und meint das ganz ernst, denn das Zelt bekam Strom von einer Laterne und Wlan vom Hospiz, wenn auch nur nach 22 Uhr. Bernd ist mittlerweile Bernardo, „ich fühlte mich als Spanier“. An Arbeit auf dem Bau ist aber nicht mehr zu denken. „Zur Zeit der Weltwirtschaftkrise haste überhaupt keinen Job mehr gekriegt“, erzählt Bernd. Es wurde weniger gebaut und es wurden bevorzugt Spanier eingestellt. Also echte Spanier.

„Tiefer kann kein Mensch fallen“

Zusammen mit einem Kumpel, Ralph, hält Bernardo sich mit kleinen Jobs über Wasser. Als Hausmeister. Oder mit Seifenblasen für Kinder, Späßchen für Touristen. Morgens gibt es Bier statt Kaffee. „Tiefer als ich kann kein Mensch mehr fallen“, sagt er in die Kamera des TV-Senders Vox. Er ist schmal unter seinem Käppi, ein paar Zähne fehlen. Als wieder ein Arbeitgeber pleite geht, wieder Lohn ausbleibt, „hatte ich die Schnauze voll“. Es ist 2018, er steht am Hafen von Palma. „Und dann hab ich diese Fähre gesehen.“ Er lässt sein Zelt stehen, nimmt die Fähre zum Festland, den Flixbus nach Dinslaken. Denn hier, in Dinslaken, hat er einen Freund. „Wenn du nach Dinslaken kommst, helfe ich dir“, habe der gesagt aber wohl nicht wirklich gemeint.

Aus Bernardo wurde wieder Bernd

Herbst 2018, Bernardo ist wieder Bernd, aber immer noch obdachlos. Nur eben in Dinslaken. Bernd bettelt vor dem Lidl an der Hedwigstraße. Schläft im Eingang des Penny am Kreisverkehr. Als er sich auf dem Weg von Lidl zu Penny an der Shell-Tankstelle ein Bier holt, „hält plötzlich so ein Wunderauto“, erinnert er sich. Der Vorsitzende des Vereins Wunderfinder, Ludger Krey, mit mehreren Mitstreitern fragt, ob er etwas brauche. „Das werde ich nie vergessen“, sagt Bernd. Am Bahnhof bekommt er Essen und für seine löchrigen Latschen ein paar Turnschuhe. Neue Turnschuhe! „Die haben mich einfach so aufgelesen“, staunt er noch heute.

Bernd im vergangenen Jahr bei der Ausgabe der Wunderfinder. An diesem Tag ist er erstmals mit seinem Mofa vorgefahren.
Bernd im vergangenen Jahr bei der Ausgabe der Wunderfinder. An diesem Tag ist er erstmals mit seinem Mofa vorgefahren. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Wir sind vorbeigefahren und haben ihn mit seinen Taschen da sitzen sehen“, erinnert sich Ludger Krey, der mittlerweile ein Auge für Obdachlose hat. Und auch für Menschen, die eine weitere Chance verdienen. Eine Dinslakenerin hat den Wunderfindern ein Haus zur Verfügung gestellt, in dem sie zu geringen Mieten Bedürftige unterbringen können. Bernd zieht Ende 2018 ein. In der ersten Nacht macht er kein Auge zu. „Ich musste mich erstmal dran gewöhnen, dass ich wieder in einer Wohnung bin.“ Als Obdachloser, erzählt er, schläft man nie wirklich: „Du döst nur, musst immer wachsam sein.“ An den ersten Tagen macht Bernd widerwillig die Tür zu – lässt aber das Fenster auf: „Damit ich ‘nen Fluchtweg hatte.“

Das Leben in Wänden ist heute kein Problem mehr. Ebenso wenig wie der Alkohol. So plötzlich wie er zuerst nach Mallorca und dann wieder nach Deutschland gezogen ist, hat Bernd auch die Finger von der Flasche gelassen. Und er hat sich ein Mofa zusammengespart. „Hat fast drei Jahre gedauert“, sagt er. Natürlich, es gibt Rückschläge. Den mittlerweile dritten Herzinfarkt. Probleme mit den Beinen. Arbeiten kann er deswegen nicht mehr. „Dabei bin ich echt ein Malocher“, bedauert Bernd. Wenn die Wunderfinder Sommerfest feiern, macht er Riesen-Seifenblasen für die Kinder. Streicht manchmal die Notwohnung im Erdgeschoss. Repariert Fahrräder, die die Wunderfinder bekommen und an bedürftige Familien weiterverschenken.

An Weihnachten, am 25. Dezember, hat Bernd Geburtstag. Groß feiern wird er nicht, sagt er, Ebenso wenig wie an Heiligabend. Mittags wird er bei einem Freund essen. Und dann wahrscheinlich auf seinem Sofa sitzen. In seiner Wohnung. Einen Cappuccino trinken, eine Zigarette drehen. Bernd hat zurück ins Leben gefunden. Das ist Wunder genug.

>>Bernds Motto

„Nicht aufgeben, weiterkämpfen“, das rät Bernd allen, die sich an einem Tiefpunkt ihres Lebens befinden. „Den Kopf in den Sand stecken, hilft nichts“, sagt er. „Wenn man auf die Nase gefallen ist, muss man den Schweinehund überwinden und wieder aufstehen.“ Und „Hilfe anzunehmen“, das müsse man auch lernen.