Kreuztal. Wenn das „Zukunftskonzept“ von Thyssenkrupp Steel umgesetzt wird, gehen in Eichen rund 600 Arbeitsplätze verloren. Das sind die ersten Reaktionen aus dem Siegerland.

In einer Belegschaftsversammlung werden die Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel am Dienstagmorgen im Eichener Hamer über das „Zukunftskonzept“ ihres Unternehmens informiert, das die Schließung des Standorts Eichen vorsieht. Betriebsratsvorsitzender Helmut Renk erwartet dazu nicht nur NRW-IG-Metall-Chef Knut Giesler, der stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats ist, sondern auch eine Vertretung des Vorstands.

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„Betriebswirtschaftlich macht das überhaupt keinen Sinn. Das Konzept entbehrt jeglicher Vernunft.“

Helmut Renk, Betriebsratsvorsitzender

Am Montagabend wurde der Kreuztaler Betriebsrat informiert. „Betriebswirtschaftlich macht das überhaupt keinen Sinn“, sagte Helmut Renk im Gespräch mit dieser Zeitung, „das ist ein Weg nach hinten für das gesamte Unternehmen. Das Konzept entbehrt jeglicher Vernunft.“ Der neue Steel-Vorstand wolle damit anscheinend Konzernchef Lopez in Essen „Gehorsam“ zeigen. „In meinen Augen ist das kein Plan und keine Strategie.“

„Das ist eine Hiobsbotschaft für die Wirtschaft in unserer Stadt insgesamt.“

Walter Kiß, Bürgermeister der Stadt Kreuztal

Mit Entsetzen hat Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß auf die Nachricht von der angekündigten Schließung des Thyssenkrupp-Steel-Standorts Eichen reagiert: „Ein schwerer Schlag. Das ist eine Hiobsbotschaft für die Wirtschaft in unserer Stadt insgesamt.“ In Kreuztal werden rund 600 der etwa 1000 Arbeitsplätze verloren gehen. Betroffen sein werden über die Beschäftigten und Familien hinaus auch die Zulieferbetriebe und Dienstleister, die für Thyssenkrupp Steel arbeiten. Überrascht ist Walter Kiß allerdings nicht: „Die Gefahr bestand latent schon immer. Die Beschäftigten wurden lange im Unklaren gelassen.“

„Damit tritt das Horrorszenario ein, das wir befürchtet hatten. Für uns ist das der Super-Gau.“

Andree Jorgella, IG Metall

Andree Jorgella, Bevollmächtigter der IG Metall in Siegen, wartete am Montagnachmittag noch auf die angekündigte Videokonferenz der IG-Metall-Bevollmächtigten an den Steel-Standorten, auf der über Reaktionen gesprochen werden sollte: „Wir werden um den Standort kämpfen.“ Die schon länger vorbereitete Solidaritätsaktion am Mittwoch, 11. Dezember, auf dem Roten Platz in Kreuztal werde nun zusätzliche Brisanz bekommen. „Damit tritt das Horrorszenario ein, das wir befürchtet hatten. Für uns ist das der Super-Gau.“

„Das war immer wieder mal Thema. Bis jetzt konnte das verhindert werden.“

Detlef Wetzel, früherer stellvertretender Aufsichtratsvorsitzender

Der Kreuztaler Detlef Wetzel, ehemals Chef der IG Metall und bis zu seinem Rücktritt stellvertretender Vorsitzender des Steel-Aufsichtsrats, kennt die Diskussionen um den Standort Eichen. „Das war immer wieder mal Thema. Bis jetzt konnte das verhindert werden.“ Der frühere Aufsichtsrat und der abgesetzte Steel-Vorstand hätten erkannt, dass die Stilllegung von Eichen teuer werde und keinen wirtschaftlichen Vorteil bringe. „Eichen schrieb zuletzt sogar positive Zahlen.“ Wetzel bewertet das Eckpunktepapier des neuen Steel-Vorstands als „politisches Signal“ an die Konzernmutter. „Jetzt wäre es an der Zeit, dass man dagegenhält.“

„Es ist zu wenig gerührt worden. Mit einer Mahnwache kann ich nichts bewegen.“

Wolfgang Otto, ehemaliger Betreibsratsvorsitzender

Wolfgang Otto war bis 2014 25 Jahre lang Vorsitzender des Siegerland-Betriebsrats von Thyssenkrupp Steel und danach noch bis zu seinem 70. Geburtstag 2017 Berater des Betriebsrats. „Es war mir klar, dass das auf Eichen zuläuft“, sagt der Littfelder, „es wurde verpasst, die Anlagen in Eichen auf Wirtschaftlichkeit zu trimmen.“ Das sei „sträflich versäumt“ worden. Von den zehn Feuerverzinkungsanlagen im Unternehmen habe Eichen immer wieder im Fokus gestanden.

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Kritisch äußert sich Wolfgang Otto aber auch zu den Bemühungen der Belegschaftsvertretung. „Es ist zu wenig gerührt worden. Mit einer Mahnwache kann ich nichts bewegen.“ Vorstellbar wäre es gewesen, Eichen und Ferndorf frühzeitig aus dem Thyssenkrupp-Verbund zu lösen und in der Region neu zu verankern: etwa mit der Coatinc Company, der früheren Siegener Verzinkerei, die wie Ferndorf zur Siegener AG (SAG) gehört hatte. „Da hätte man mal Gespräche führen sollen.“

„Den Plänen fehlt jegliche Substanz. Es gibt keinen Zeitplan. Auf mich wirkt das alles verzweifelt.“

Nadja Kappenstein
Betriebsratsvorsitzende des Thyssenkrupp-Werks in Hagen-Hohenlimburg

Im Stahl gibt es in den Belegschaften immer noch Solidarität – natürlich auch zwischen den Standorten. Die angekündigte Werksschließung in Kreuztal-Eichen werde nicht akzeptiert, erklärt die Betriebsratsvorsitzende des Standortes in Hagen-Hohenlimburg, Nadja Kappenstein: „Den Plänen fehlt jegliche Substanz. Es gibt keinen Zeitplan. Auf mich wirkt das alles verzweifelt.“

Belegschaft am Standort Hagen-Hohenlimburg wäre auch betroffen

In der Sitzung in Duisburg auf der Kappenstein am Montag ebenso informiert worden sei wie das Management der Standorte, habe sie Zweifel an der Kompetenz des Stahlvorstandes bekommen. Konkrete Fragen zu Zukunftstarifverträgen für Standorte oder die Auswirkungen der geplanten Einschnitte, sei der Vorstand schuldig geblieben. „Es sind alle roten Linien überschritten, wir werden das auf keinen Fall hinnehmen“, sagt Kappenstein. Auch wenn der Standort in Hohenlimburg an sich nicht von Schließung bedroht sei, blieben die Ankündigungen, tausende Stellen auszulagern. „Insofern wären wir wahrscheinlich als Belegschaft schon betroffen.“ In der Produktion arbeitet rund die Hälfte der etwa 900 Beschäftigten. Die Zukunft der Verwaltung, der Ausbildungswerkstatt, des Gesundheitszentrums – alles sei möglicherweise offen. Wie die Arbeitnehmer auf die Ankündigung des Thyssenkrupp-Stahlvorstandes Dennis Grimm reagieren werden, werde am Mittwoch bei einem Treffen aller Betriebsratsvorsitzenden besprochen.

CDU-Landtagsabgeordnete sucht Gespräch mit Krupp-Stiftung

Es sei eine schlimme Nachricht für die die Beschäftigten bei Thyssenkrupp, sagt Anke Fuchs-Dreisbach, CDU-Landtagsabgeordnete aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein: „Der geplante Arbeitsplatzabbau bei Thyssenkrupp Stahl fügt sich in die Reihe der jüngsten Negativmeldungen aus der Industrie ein, zu denen auch Unternehmen wie Ford, BASF, Bosch, Miele und ZF zählen. Nun trifft es auch unsere Heimat mit den geplanten Kürzungen am Thyssenkrupp Stahl-Standort Eichen ganz konkret.“

Neben internen Problemen bei Thyssenkrupp werde deutlich, dass der Industriestandort Deutschland insgesamt unter Druck gerate, „insbesondere unsere Schlüsselindustrien“.

„Was jetzt benötigt wird, ist ein echter wirtschaftlicher Wandel: Mehr Freiräume für Unternehmen durch vereinfachte Regulierung und ein Leistungsanreizpakt, der die Arbeit fördert“, sagt die Landtagsabgeordnete. Über die Entscheidung zum Arbeitsplatzabbau werde sie sich gemeinsam mit den CDU-Landtagskollegen Jens Kamieth und Jochen Ritter als politische Vertreter mit einem Thyssen-Standort am kommenden Freitag mit der Vorsitzenden des Kuratoriums der Krupp-Stiftung, Frau Ursula Gather, in Essen austauschen.

Entwicklung gefährdet auch Mittelstand in der Region

Sorgenvoll betrachten auch die Mittelständler in der Region Siegen-Wittgenstein die Entwicklung. „Es verbietet sich, in dieser Situation Ratschläge oder Bewertungen von unserer Seite in Richtung Thyssenkrupp Steel zu geben. Tragisch ist allerdings, dass wir schon seit Jahren vor den Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa warnen und nur bedingt von der Politik gehört wurden“, sagt Thorsten Doublet, Geschäftsführer Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein.

Der geplante Arbeitsplatzabbau bei Thyssenkrupp und vielen anderen Firmen sei die Folge drastischer Nachteile deutscher Unternehmen im internationalen Vergleich: viel zu hohe Energiekosten, eine überbordende Bürokratie und zahlreiche weitere falsche wirtschaftspolitische Entscheidungen führen zur derzeitigen Gemengelage. Das gefährde weitere Arbeitsplätze - auch im Mittelstand in Siegerland und Wittgenstein. 

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