Essen. Rache, Eifersucht, Besitzanspruch: Gewalt gegen Frauen oder ihr Umfeld sind längst kein Einzelfall, so eine Expertin. Warum es jede treffen kann.
Es sieht aus wie ein Rachefeldzug mit Machete und Brandbeschleuniger: Ein 41-jähriger Syrer dreht in Essen durch, vermutlich weil seine Frau ihn verlassen hat. Seine Wut richtet er offensichtlich gegen Menschen, die sie unterstützen. Gewalt gegen Frauen oder ihr Umfeld sind längst kein Einzelfall, sagt Deborah Hellmann, Professorin für Psychologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Partnerin zu töten, an jedem dritten Tag gelingt es. So steht es in einer Statistik des Bundeskriminalamtes. Laura Lindemann hat mit Deborah Hellmann über das Phänomen „Femizide“ gesprochen. Sie betreut ein Forschungsprojekt zu Femiziden.
Haben Femizide in NRW zugenommen?
Wenn man die erschreckende Nachricht vom Wochenende liest, dass ein Mann aus Essen gezielt das Umfeld seiner Ex-Frau attackiert hat, ist die spontane Reaktion: Nicht schon wieder! Mein subjektiver Eindruck ist, dass Taten wie diese zugenommen haben. Das könnte aber auch ein Effekt der zunehmenden Berichterstattung sein und ist statistisch so nicht belegbar. Denn das Bundeskriminalamt gibt nur Zahlen zu Partnerschaftstötungen heraus. Diese sind aber nur ein Teil der Femizide. Noch immer ist ein Femizid kein eigener Straftatbestand, und es gibt keine eigene Kategorie dafür in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Gemeint ist mit „Femizid“ im Allgemeinen die gezielte Tötung von Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts.
Oft hört man unmittelbar nach einer Trennung von einem Femizid. Im Essener Fall ist diese aber ja schon länger her.
Ein Femizid kann grundsätzlich immer passieren, also praktisch aus dem Nichts kommen. Oft neigen Medien und die Öffentlichkeit allerdings dazu, die Tat als eine Affekthandlung nach einer Trennung zu verharmlosen. Das rechtfertigt natürlich niemals die Tötung einer Frau. Oft stecken hinter einem Femizid patriarchale und misogyne Einstellungen oder es wurde bereits in der Beziehung Gewalt ausgeübt.
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Welche konkreten Motive können dahinter stecken?
Rache, Eifersucht, unrechtmäßiger Besitzanspruch an die Frau – die Motive sind vielfältig. Eine häufige Begründung ist, dass der Mann sich nach einer Trennung oder bei einer angedrohten Trennung denkt: „Wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie keiner haben.“ Nicht immer wird die Frau jedoch getötet. Es kann auch sein, dass der Täter in Form eines sogenannten erweiterten Femizides die Menschen umbringt, die der Frau wichtig sind – etwa die Kinder, Familienmitglieder oder den neuen Partner.
Gibt es Kulturkreise, in denen Frauen häufiger betroffen sind als in anderen?
Oft liegt es nahe, die Taten auf die Migrationsgeschichte abzuwälzen. Die Forschung zeigt hier, dass die Begründungen für die Femizide unterschiedlich sind, je nach Migrationsgeschichte. Bei einem Täter mit Migrationshintergrund wird häufig mit verletzter Ehre argumentiert. Bei einem deutschen Täter spricht man eher von Verzweiflungstaten. Ebenso ist es ein Mythos zu glauben, es würde nur arme, weniger gebildete Frauen treffen. Es gibt Beispiele, die zeigen, dass es ebenso gut Ärztinnen oder Juristinnen treffen kann. Allerdings ist es für sie finanziell häufig leichter, sich aus Gewaltsituationen zu befreien.
In NRW erhalten drei von vier schutzsuchenden Frauen eine Absage in landesgeförderten Frauenhäusern. Könnten durch mehr Plätze Femizide in Zukunft verhindert werden?
Ja, davon bin ich überzeugt. Frauenhäuser müssen dringend finanziell ausgestattet und die Plätze ausgebaut werden. Es ist schrecklich zu hören, dass etwa eine Mutter mit Fluchtgeschichte getötet wird, weil ihre Kinder keinen Platz bekommen haben und sie deshalb bei ihnen geblieben ist. Ich finde es aber auch wichtig, nicht nur auf die Betroffenen zu schauen, sondern vor allem auf die Täter.
Inwiefern?
Wenn es darum geht, die Töchter zu schützen oder die Söhne zu erziehen, würde ich ganz klar sagen: Erzieht eure Söhne. Kitas und Schulen sollten dahingehend finanziell besser ausgestattet werden. Es müssen Workshops stattfinden und Expertinnen und Experten die Einrichtungen besuchen. Auch Erzieherinnen und Erzieher sollten dahingehend ausgebildet werden. Zudem sollten Gewalttäter, sobald sie etwa ein Näherungsverbot erteilt bekommen haben, verpflichtend an Anti-Aggressions-Trainings teilnehmen müssen. Und: Männer sollten sich öffentlich mehr gegen Femizide engagieren und sich auf die Agenda schreiben, für Frauen zu kämpfen.