Essen. Gestüt oder Flugzeug: Organisation finanziert sich immer mehr durch ungewöhnliche Erbschaften. Eine Anwältin arbeitet dabei wie eine Detektivin.
Stellen Sie sich vor, Sie bekommen ein Segelflugzeug vererbt – und haben gar keinen Pilotenschein und auch sonst keine Verwendung für das Transportmittel. So erging es Petra Messerer, Anwältin für Nachlassabwicklung bei den „SOS-Kinderdörfern weltweit“ – die Hilfsorganisation setzt sich für Kinder in Not ein und gibt ihnen ein sichereres Zuhause. Trotzdem freute sich Petra Messerer. Schließlich kann so ein Flieger im Neuzustand schon mal 200.000 Euro einbringen. Doch bis das Geld auf dem Konto landet, ist es ein langer Weg. Die erste Frage beim Start lautet: „Wie verkaufe ich jetzt ein Flugzeug?“
Spenden sind schon lange nicht mehr die alleinige Einnahmequelle von vielen Hilfsorganisationen. Sie werden auch immer öfter im Testament von mehr oder weniger wohlhabenden Menschen bedacht. Nahezu ein Drittel der jährlichen Einnahmen der „SOS-Kinderdörfer weltweit“ stammen aus Nachlässen. „Die Tendenz ist steigend“, sagt Petra Messerer. Schließlich wird immer mehr Vermögen weitergegeben. Laut des Erbschaftsberichts des Statistischen Bundesamts wurde in Deutschland im vergangenen Jahr noch nie so viel vererbt oder verschenkt. Der neue Höchstwert lag bei 121,5 Milliarden Euro. Und davon profitieren nicht nur die Nachkommen, sondern ebenfalls die gemeinnützigen Organisationen.
Zu diesen Nachlässen gehören auch sehr besondere Erbstücke, wie Petra Messerer erzählt: ein Gestüt oder die Rechte an Büchern oder eine XXL-Ü-Eier-Sammlung. Zuletzt wurde in NRW eine Tankstelle vererbt.
Aus Datenschutzgründen darf die 53-Jährige nicht sagen, in welcher Stadt die Tankstelle steht. Fest steht, dass eine Erbengemeinschaft davon profitiert. Die Anwältin setzt sich bald mit den anderen Erben an einen Tisch. Ziel ist es, die Zapfsäulen zu veräußern. „Unser Verein kann mit einer Tankstelle nichts anfangen, wir brauchen natürlich flüssige Mittel für die ganzen Projekte.“ Also wird Petra Messerer wahrscheinlich wieder einen Gutachter beauftragen.
Vielleicht läuft der Verkauf ähnlich reibungslos wie bei dem Gestüt, das ein Geschäftsmann in Norddeutschland den SOS-Kinderdörfern vermacht hat. Einige Dutzend Pferde wechselten den Besitzer. Und so kam ein stattlicher Erlös der Arbeit für Kinder in Not zugute. Petra Messerer freut sich auch, wenn Autoren die Rechte an ihre Werke der Hilfsorganisation überlassen. So zum Beispiel das Künstlerehepaar Simon und Desi Ruge. Ihr bekanntestes Buch „Katze mit Hut“ diente als Vorlage für ein Hörspiel und einer Verfilmung der Augsburger Puppenkiste.
Das Erbstück: eine Eisenbahn
Aber nicht immer wird alles zu Geld gemacht. Zum Beispiel hat die Organisation eine Eisenbahn – im Gegensatz zum Flieger oder zur Tankstelle – gut gebrauchen können. Kinder dürfen heute damit fahren. Es ist keine richtige Eisenbahn, aber auch keine winzige fürs Spielzimmer. Es handelt sich um eine Gartenbahn eines Ehepaares, auf der die Kleinen im SOS-Kinderdorf in Bernburg in Sachsen-Anhalt Platz nehmen und eine Ausfahrt mit dem Schienenfahrzeug machen können. Petra Messerer: „Das Ehepaar hatte keine eigenen Kinder, ihnen war es ein Herzenswunsch, dass der Nachlass den Kindern zugutekommt.“
Manches Erbe muss die Anwältin aber auch ablehnen. „Unser Verein darf natürlich keine Erbschaften annehmen, die überschuldet sind, denn dann müssten ja die anderen Spender sozusagen diese Schulden bezahlen“, erklärt sie. Generell gilt: „Sie haben sechs Wochen Zeit, sich zu überlegen, ob sie eine Erbschaft annehmen möchten oder nicht.“ In dieser Zeit arbeitet sie mit Hochdruck daran, das Erbe richtig einzuschätzen.
„Unser Verein kann mit einer Tankstelle nichts anfangen, wir brauchen natürlich flüssige Mittel für die ganzen Projekte.“
Doch wie viel Wert ein Fahrzeug, ein Kunstwerk oder ein Haus am Ende haben, zeigt sich oft erst beim Verkauf. So entpuppte sich das Segelflugzeug als ein finanzieller Flop, obwohl gemeinnützige Vereine und Stiftungen von der Erbschaftssteuer befreit sind. Die Erbverhältnisse waren ungeklärt, zudem blieb nach Abzug aller Kosten für Gutachten, Hangar-Miete und Verkaufsabwicklung am Ende nicht viel übrig. Trotzdem war es in diesem Fall gut, das Erbe anzunehmen: Der Flieger war Teil eines insgesamt lukrativen Gesamterbes.
Der riesige Wandschrank voller kleiner Plastikfiguren aus Überraschungseiern, der bei einer Wohnungsauflösung gefunden wurde, wirkte zunächst ebenfalls vielversprechend. Schließlich zahlen Sammler manchmal horrende Summen. Also versuchten Petra Messerer und ihr Team Schlümpfe, Happy Hippos und Kultfiguren aus „Der Herr der Ringe“ zu verkaufen. Ohne Erfolg. Die XXL-Ü-Eier-Sammlung musste schließlich entsorgt werden.
Das Erbstück geht an Auktionshäuser oder Sammler
Den richtigen Käufer zu finden, ist eben auch eine Kunst: Zunächst beauftragt Petra Messerer einen Sachverständigen, der das Erbstück einschätzt. Schließlich bietet sie es zum Beispiel Auktionshäusern an. „Derjenige, der am meisten bietet, erhält dann den Zuschlag.“ In einigen Fällen kommt sie aber so nicht zum Zuge. Dann ist es von Vorteil, gut vernetzt zu sein. So konnten fünf geerbte Masken aus Papua-Neuguinea dem „Museum Fünf Kontinente“ in München übergeben werden.
Wenn die SOS-Kinderdörfer erst nach dem Tod des Menschen von dem Erbe erfahren, beginnt für Petra Messerer die Detektivarbeit: „Man tritt in die Fußstapfen der Person und muss herausfinden, was in ihrem Leben los war.“ Wo wohnte sie? In einer Mietwohnung oder hatte sie Eigentum? Hat sie vielleicht noch eine andere Wohnung vermietet? Bestehen steuerliche Verpflichtungen? Gibt es ein Konto, mehrere Konten, womöglich Auslandskonten? Weitere Immobilien? Vielleicht ein Segelschiff, das im Mittelmeer im Hafen liegt? Die Liste der Fragen, die Petra Messerer beantworten muss, ist lang – und jedes Mal etwas anders. „Es dauert mindestens ein Jahr, bis alles abgewickelt ist. Manchmal sind es auch zwei Jahre, aber es vergehen auch schon mal sechs bis sieben Jahre.“
„Wir haben aktuell über Tausend Fälle offen“, sagt Petra Messerer. „In manchen Wochen bekommen wir keine, in anderen bis zu zehn neue Fälle dazu.“ Wenn Menschen die SOS-Kinderdörfer als Alleinerben einsetzen in einem komplett handschriftlich verfassten oder vom Notar beglaubigten Testament, kümmert sich die Organisation auch um die Wohnungsauflösung. Dann wird das Auto, das E-Bike oder das Wohnmobil in der Garage ebenfalls zu Geld gemacht. Medaillen, Urkunden, Aufzeichnungen – alles könnte interessant sein. „Ein Bundesverdienstkreuz war auch mal dabei“, erinnert sich Petra Messerer.
Einmal fragte ein ehemaliger Betreuer einer verstorbenen Frau in NRW bei der Wohnungsauflösung: „Haben Sie auch ins Waschpulver geschaut?“ Die alte Dame hatte mehrere Tausend Euro im Pulver vergraben. „Man sieht: Man lernt nie aus“, sagt Petra Messerer lächelnd, „und man lernt immer mehr Verstecke kennen.“
Sie kennt immer mehr Geldverstecke
Manche Menschen würden auch zu Lebzeiten anrufen und erklären: „Wenn ich verstorben bin, schauen Sie bitte auch da und da in der Garage nach“, sagt Petra Messerer. Sie findet es hilfreich, wenn sie so frühzeitig erfährt, wo Verträge mit Versicherungen oder Telefongesellschaften zu finden sind, um diese später kündigen zu können. Die Hilfsorganisation berät auch diejenigen, die die SOS-Kinderdörfer im Testament bedenken möchten, wie man das am besten formuliert, welche Informationen man festhalten sollte.
Ansonsten geht die Detektivarbeit für Petra Messerer weiter, auch während der Wohnungsbegehung. „Wenn Leute ganz modern eingestellt sind und alles nur noch digital machen, nehmen wir auch Handy, Tablet und Laptop mit.“ Wobei Petra Messerer betont, dass sie vorsichtig vorgehen. Persönliche Briefe oder zum Beispiel Unterlagen zur Gesundheit würden sie fachgerecht entsorgen lassen. Und andere Dinge, die keinen materiellen, aber für den Besitzer einen ideellen Wert hatten, landen nicht sogleich auf der Müllkippe. So übergab Petra Messerer einmal eine riesige Knopfsammlung aus NRW einem Knopfmuseum.
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