Essen. „Ich bin ungewollt schwanger. Was soll ich jetzt tun?“: Was Betroffene wissen müssen – über Ablauf und Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs.
- Über Schwangerschaftsabbrüche wird politisch hart gestritten. Betroffene trauen sich oft nicht darüber zu reden.
- Was sind die häufigsten Gründe für einen Abbruch? Welche Frauen lassen ihn durchführen? Und was kostet er?
- Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
106.000 Frauen haben im vergangenen Jahr in Deutschland ein Kind abgetrieben. Sie haben damit rechtswidrig gehandelt, denn ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen wird in Deutschland zwar nicht bestraft, gilt aber grundsätzlich als rechtswidrig. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission fordert nun eine Legalisierung des Abbruchs – doch dagegen gibt es massiven Protest.
Immer wieder stehen sich Gegner und Befürworter auf den Straßen gegenüber. „Das ungeborene Leben muss geschützt werden“, sagen die einen. „Mein Körper, meine Entscheidung“, die anderen. Die Fronten sind so verhärtet, dass die Bundesregierung Angst davor hat, dass das Thema die Bevölkerung spalten könnte.
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Bisher wurden deshalb nur kleinere Änderungen umgesetzt: Bereits 2022 hatte der Bundestag die Abschaffung von Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, also das Werbeverbot für Abtreibungen beschlossen. In Zukunft sollen Frauen außerdem besser vor Abtreibungsgegnern geschützt werden, indem Demos vor Praxen, auch bekannt als „Gehsteigbelästigungen“, eingeschränkt werden. Doch der umstrittene Paragraf 218, der seit 1871 existiert, wurde seitdem eben nur immer mal wieder kritisiert, reformiert, aber nie abeschafft. Genau das fordert nun aber die Kommission.
Doch warum entscheiden sich Frauen für einen Abbruch? Was genau müssen sie dafür tun? Und gehen sie dabei gesundheitliche Risiken ein? Darüber hat Sophie Sommer mit Eva Ehlers von Pro Familia gesprochen. Mit insgesamt 34 Beratungsstellen in NRW hat Pro Familia allein im vergangenen Jahr mehr als 13.000 Frauen geholfen, die vor der Frage standen: Soll ich das Baby bekommen oder nicht?
Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass Frauen ungeplant schwanger werden?
Eva Ehlers: Das ist sehr individuell. Es ist grundsätzlich einfach so: Es gibt kein Verhütungsmittel, das zu 100 Prozent sicher ist. Es ist aber auf keinen Fall so, dass es nur junge Frauen betrifft, die einfach schlecht verhütet haben. Das ist ja ein gängiges Klischee. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat die Zahl der ungeplanten Schwangerschaften unter 25 Jahren sogar abgenommen, die Anzahl für über 30-Jährige ist dagegen leicht gestiegen.
Wer sind die Frauen, die zu Ihnen in die Beratung kommen?
Es gibt nicht die eine typische Situation für einen Schwangerschaftskonflikt. Zu uns kommen Frauen ganz unterschiedlichen Alters in ganz unterschiedlichen partnerschaftlichen Konstellationen mit ganz unterschiedlichen Jobverhältnissen.
Wie läuft die Beratung ab?
Die Frauen melden sich meist erst telefonisch. Wir versuchen dann, so schnell wie möglich einen Termin zu vergeben. Die Zeit ist schließlich recht knapp: Ein Schwangerschaftsabbruch kann in Deutschland nur innerhalb von zwölf Wochen nach der Befruchtung, also 14 Wochen nach dem Beginn der letzten Periode durchgeführt werden. Zwischen der Schwangerschaftskonfliktberatung, die ja auch verpflichtend ist, und dem Abbruch selbst müssen mindestens drei Tage liegen. Erst dann kann der Abbruch durchgeführt werden. Was ganz wichtig zu wissen ist: Die Beratung ist vertraulich und anonym. Im Mittelpunkt steht immer das persönliche Gespräch. Dabei können Fragen hilfreich sein, wie „Wie würde ihr Leben in fünf Jahren mit, wie ohne Kind aussehen?“, aber auch Infos zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten. Wir helfen den Frauen einfach, das Für und Wider abzuwägen.
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Die Schwangerschaftskonfliktberatung soll laut Gesetz dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen – und gleichzeitig offen sein. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Definitiv. Wir versuchen, bestmöglich mit diesem Zwiespalt umzugehen. Manche der Betroffenen haben aber sogar Sorge, dass wir ihnen den Beratungsschein nicht ausstellen, wenn ihre Gründe für einen Abbruch nicht „gut genug“ sind. Da kann ich aber beruhigen: Die Gründe spielen keine Rolle. Ziel ist es immer, dass die Person eine Entscheidung treffen kann, mit der sie gut leben kann. Die Beratung ist also wirklich offen. Auch Minderjährige haben übrigens ein Recht auf Beratung und erhalten den Beratungsschein ohne Begleitung von Erziehungsberechtigten.
Die neue Studie ELSA („Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer“) hat untersucht, warum Frauen eine Schwangerschaft beenden. Ein Großteil der Befragten gab an, sich in einer schwierigen Lebensphase zu befinden. Fast die Hälfte der Frauen wusste nicht, wie sie sich ein Kind leisten sollte. 42 Prozent sprachen außerdem von Problemen in der Partnerschaft. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Zum Teil. Wenn die Betroffene vor der ungeplanten Schwangerschaft schon in einer schwierigen Lebenssituation war – zum Beispiel in einer prekären Wohn- oder Arbeitssituation, partnerschaftlicher Gewalt oder wirtschaftlicher Unsicherheit – dann sind das Gründe, die auch in die Entscheidung für einen Abbruch mit einfließen. Nicht selten hat die Frau schon Kinder und die Familienplanung ist für sie abgeschlossen. Karriere und Partnerschaft spielen natürlich auch oft eine große Rolle. Aber oft ist auch der wichtigste Grund, dass die Frau einfach keine Mutter sein möchte. Und dieser Grund ist völlig ausreichend. Was wir außerdem in letzter Zeit immer häufiger hören: „In diese Welt möchte ich keine Kinder setzen.“ Krisen, Klimawandel und Kriege werden zunehmend als Grund dafür genannt, dass man eher kein Kind bekommen möchte.
Entkriminalisierung umstritten
Sollten Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden? Diese Frage führt derzeit in Deutschland zu vielen Diskussionen. Gegen eine neue Regelung spricht sich etwa die katholische Deutsche Bischofskonferenz aus. „Eine gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs muss sowohl die Grundrechtsposition der Frau als auch die des ungeborenen Lebens in verfassungsrechtlich gebotener Weise berücksichtigen“, heißt es dazu.
Daher hielten die deutschen Bischöfe an einer Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch fest. Wie viele Gegnerinnen und Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen argumentieren sie damit, dass das ungeborene Leben geschützt werden müsse: „Beim vorgeburtlichen Leben handelt es sich von Anfang an um individuelles Leben, das nach christlicher Auffassung Anspruch auf den gleichen Schutz seines Lebens hat und dem die gleiche Würde zukommt.“
Welche Möglichkeiten für einen Abbruch haben Frauen in Deutschland?
Der Abbruch kann medikamentös oder operativ erfolgen. Beim medikamentösen Abbruch nimmt die Frau zuerst die sogenannte Abtreibungspille. Diese Pille blockiert die Wirkung des Gelbkörperhormons (Progesteron). Es bewirkt, dass sich der Embryo aus der Gebärmutterwand herauslöst. 36 bis 48 Stunden später nehmen die Frauen dann ein zweites Medikament, ein Prostaglandin. Das macht den Muttermund weicher und löst Gebärmutterkontraktionen wie bei einer starken Periode aus. Der Embryo und das Schwangerschaftsgewebe werden dann abgestoßen und Blutungen setzen ein. In mehr als 98 Prozent der Fälle kann eine Schwangerschaft so erfolgreich abgebrochen werden. Diese Methode ist allerdings nur bis zum Ende der neunten Schwangerschaftswoche erlaubt, also bis zum 63. Tag nach der letzten Monatsblutung.
Danach ist nur noch der operative Abbruch möglich?
Genau. Die schonendste Methode dafür ist die Absaugung oder Vakuumaspiration. Dabei wird ein Röhrchen in die Gebärmutterhöhle eingeführt und der Embryo samt Gebärmutterschleimhaut abgesaugt. Der Eingriff dauert ungefähr 15 Minuten. Danach kommt es kurz zu leichten, wehenartigen Schmerzen, wenn sich die Gebärmutter wieder zusammenzieht. Diese Methode ist bis zur zwölften Woche erlaubt. Nach der zwölften Schwangerschaftswoche ist der Abbruch nur noch nach einer medizinischen Indikation möglich, das heißt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist, oder wenn die Weiterführung der Schwangerschaft zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren führen würde. Das kann auch im Rahmen von vorgeburtlichen Untersuchungen der Fall sein, wenn beim Fötus eine schwere Beeinträchtigung gefunden wird.
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Wie teuer ist der Abbruch?
Da der Abbruch im Strafgesetzbuch geregelt ist, dürfen sich die Krankenkassen nicht an den Kosten beteiligen. Die liegen bei 300 bis 600 Euro, je nach Praxis und Methode. Nur bei Frauen mit geringem Einkommen übernimmt das jeweilige Bundesland die Kosten. Die Grenze liegt im Moment bei etwa 1400 Euro, wird aber in bestimmten Fällen angehoben, zum Beispiel wenn im Haushalt Kinder leben. Für die Kostenübernahme müssen Betroffene aber noch einen zusätzlichen Antrag stellen.
Viele Frauen haben Angst, durch einen Abbruch unfruchtbar zu werden. Ist Ihre Sorge berechtigt?
Nein, ein Abbruch hat in der Regel keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit.
Und auf die Psyche?
Eine ungeplante Schwangerschaft ist für viele Betroffene eine Krisenerfahrung. Gefühle wie Trauer und Niedergeschlagenheit können mit dem Abbruch einhergehen. Das liegt laut wissenschaftlichen Untersuchungen aber nicht an dem Abbruch selbst, sondern der Erfahrung, ungewollt schwanger zu sein. Mehrere größere Studien haben übrigens auch rausgefunden, dass 95 Prozent der Frauen fünf Jahre nach dem Abbruch sagen: „Das war die richtige Entscheidung.“
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