Duisburg. . Die Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung hat vor zwei Jahren eine eigene Modemarke gegründet - und sorgt damit für Aufsehen.

Wie gehen Erfolgsgeschichten? So wie diese: Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschließt, eine eigene Modelinie herauszubringen. Eine kühne, ja vielleicht sogar eine verrückte Idee. Man holt sich Rat von Profis aus der Modebranche, unter ihnen der bekannte Fashion-Choreograf Waldek Szymkowiak, entwickelt eine Kollektion, die in der eigenen Schneiderwerkstatt angefertigt wird, bringt sie auf einer Modenschau ins Rampenlicht, castet Models aus dem eigenen Haus für Fotoshootings und bietet die Kollektion anschließend in ausgewählten Boutiquen in ganz Deutschland an.

So liest sich das, was vor gerade einmal zwei Jahren in der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung, kurz WfbM, begonnen hat und mittlerweile weit über die Region hinaus für Aufsehen sorgt.

Für den Ecodesign-Preis nominiert

„esthétique“ – Schönheit – nennen sich Modelabel und Projekt. Inzwischen kann man die „esthétique“-Teile in Boutiquen in Metropolen wie Köln, Berlin, Hamburg, München und Leipzig und auch schon in den Niederlanden kaufen, im Juli waren die Macher mit einem eigenen Stand auf der Berliner Fashion Week präsent, die Modemarke hat für ihre Fashion-Show schon den German Design Award Special abgeräumt und ist aktuell unter den 20 Nominierten für den Bundespreis Ecodesign 2017 von Bundesumweltministerium und Bundesumweltamt, der am 27. November in Berlin verliehen wird.

Schwarz-weiß gibt hier den Ton an - eines der typischen Designs der Marke „esthétique“.
Schwarz-weiß gibt hier den Ton an - eines der typischen Designs der Marke „esthétique“. © Volker Hartmann

Ob sie den gewinnen? Wäre toll, „aber allein schon unter den Nominierten zu sein, ist für uns eine ganz große Sache“, sagt WfbM-Geschäftsführerin Roselyne Rogg, die den Anstoß zu der inklusiven Modelinie gab, weil die Begriffe „Schönheit“ und „Behinderung“ in der öffentlichen Wahrnehmung bislang eher selten ein Paar bildeten und weil man solche Assoziationslücken mit innovativen Ansätzen schließen kann.

Mit zwei Mitarbeitern hat die Schneiderwerkstatt der WfbM 2015 angefangen, inzwischen arbeiten hier zwölf Schneiderinnen und Schneider. Rund 1500 Teile – alle aus fair produzierter und zertifizierter Biobaumwolle – haben sie mittlerweile handgefertigt, im Januar kommt die dritte Kollektion auf den Markt, die nächste, für 2019, ist bereits in Arbeit. Rund 40 Mitarbeiter, von den Entwürfen über die Präsentation bis zur Fertigung, sind an dem Modelabel beteiligt, das puristische, qualitätvolle, zeitlose Kleidung produziert, weil sie, erstens, stilvoll aussieht und weil, zweitens, im WfbM-Leitbild Nachhaltigkeit eine herausragende Rolle spielt.

Schals, Kleider und T-Shirts gehören zur Kollektion

Malte Radel, eigentlich Mitarbeiter im Hauswirtschaftsbereich, ist einer der Designer der kunstvoll bedruckten Schals, Tops und T-Shirts, die ihre Entwürfe bei Workshops immer zu einem bestimmten Thema zeichnen. Das Motto der neuen Kollektion: Welche Werte sind uns wichtig?

Die Zeichnungen werden als Vorlagen verwendet, die dann als Motive für Stoffe der Kollektion collagiert werden. Wie es ist, die eigene Arbeit als Kleidung an vielen Menschen zu sehen? „Es gibt einem ein unbeschreiblich gutes Gefühl“, sagt Malte Radel.

Der Erfolg des Labels euphorisiert nach wie vor alle Beteiligten. „Esthétique hat uns alle verändert“, schwärmt Roselyne Rogg. Dabei passt die Modemarke zugleich vorbildhaft zu dem, was Rogg als zeitgemäßes Konzept der Werkstattarbeit versteht: Raus aus der Mitleidsnische, hin zu einem öffentlichen Bewusstsein von der Leistungsfähigkeit, der Produktivität und der Kreativität behinderter Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz. „Wir zeigen den Leuten, was wir können und was wir wert sind“, sagt Rosmarie Orzech, die für das Label als Model im Einsatz ist.

Vielfalt, Respekt und Schönheit als Leitlinien

Vielfalt, Respekt, Schönheit sind die Leitlinien der Marke. Die inklusive Idee bildet sich auch auf allen Werbefotos ab, auf denen behinderte und nichtbehinderte Models gemeinsam posieren. Wer hier ein Handicap hat und wer nicht, ist oft überhaupt nicht zu erkennen – und spielt auch gar keine Rolle.

Roselyne Rogg ist Geschäftsführerin der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung.
Roselyne Rogg ist Geschäftsführerin der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung. © Volker Hartmann

Das „esthétique“-Projekt habe ihn vom Pessimisten zum Optimisten werden lassen, erzählt der 59-jährige Joao Luzolo, der für das Label modelt und schneidert: „Diese Mode ist unparteiisch, sie passt für Dünne und Dicke, Junge und Alte, für Europäer und Afrikaner, für Menschen aller Art.“

Wie es in Zukunft weitergeht mit „esthétique“? Bei einem Modelabel, das jetzt schon alle Träume weit übertroffen hat, dürfte vieles möglich sein. „Unsere Mitarbeiter fragen jedenfalls schon, wann wir denn nach Paris und Mailand gehen“, sagt Projektleiterin Jutta Lütke Vestert.

>>INFO: DAS IST DIE WFBM

In der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) in Duisburg arbeiten 1300 Mitarbeiter, 1100 von ihnen haben Behinderungen. Sie ist u. a. in den Bereichen Schreinerei, Gartenbau, Catering, Elektromontage, Konfektionierung tätig. Darüber hinaus betreibt die WfbM in Duisburg zwei Restaurants und die Ladengalerie Ars Vivendi in der Innenstadt. Dort wird neben Designprodukten aus Behindertenwerkstätten in ganz Europa auch die „esthétique“-Kollektion angeboten. Seit mehreren Jahren kooperiert die WfbM auch mit dem Fachbereich Produktdesign der Uni Duisburg-Essen.

Gesellschafter sind zu 50 Prozent die Stadt Duisburg und zu je 25 Prozent die Lebenshilfe und der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Duisburg e.V.

Die WfbM gehört zu den Top 100 der innovativsten, mittelständischen Unternehmen Deutschlands.

Nähere Infos unter: www.wfbm-duisburg.de und
www.esthetique-fashion.com