Essen. Die ZDF-Dokumentation „Die Streitrepublik“ beleuchtet die Konflikte einer gespaltenen Gesellschaft – anhand zweier Familien-Duos.

Deutschland ist gespalten. Unter dem Stress der Dauerkrisen driften die Menschen auseinander, ziehen sich in Filterblasen zurück, sprechen über- statt miteinander. Bis in die Familien hinein reichen die Risse, die quer durch das Land gehen. Aber wie hält man sich als Familie, als Gesellschaft aus, wenn die eigenen Überzeugungen so weit voneinander entfernt erscheinen?

Die Dokumentation „Die Streitrepublik“ (heute um 22.15 Uhr im ZDF sowie in der ZDF-Mediathek) sucht die Antwort auf diese zugespitzte Prämisse im Kleinen: Zwei Verwandtschafts-Duos – Mutter und Sohn aus dem Westen, Vater und Tochter aus dem Osten – sollen als Mikrokosmen Pate stehen für ein Deutschland, dessen Bewohner einiges trennt und die trotzdem miteinander zurechtkommen müssen.

Welten treffen aufeinander

Gut 15 der 45 Filmminuten werden die Protagonisten eingeführt: Christiane von Gierke hat die Grünen mitgegründet, ihr Sohn Kris Schnappertz ist Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion in NRW. Bei Heiko Braun, Jahrgang 1965, und seiner 1990 geborenen Tochter Rebecca verlaufen die Gräben weniger explizit entlang von Parteigrenzen: Der thüringische Maschinenbauer wurde als Arbeiter geprägt und ist AfD-Protestwähler, seine Tochter hat studiert und fühlt sich von keiner Partei vertreten. Kurz taucht man ein in die Welt dieser Menschen, hört die mit politischen Spitzen gespickte Rede von Kris Schnappertz beim 75. Geburtstag seiner Mutter, begleitet Heiko Braun zum Ostalgie-Fahrzeugtreffen und schaut seiner Tochter beim Anime-Cosplay in der Freizeit zu.

Erst danach setzen die Filmautoren die Duos vermehrt auf die sprichwörtliche Psychiater-Couch, wo sie über Reizthemen und Befindlichkeiten diskutieren. Das hätte man sich früher gewünscht, aber es hat seinen Sinn: Statt Klischees wie „die Grüne“ oder „den Ostdeutschen“ hat man Menschen kennengelernt; das erdet die Gespräche.

„Die Streitrepublik“: Die Familie als Vorbild fürs große Ganze

Die Botschaft des Films ist da bereits deutlich: Egal, wie sehr man die Überzeugung des anderen ablehnt, man muss im Gespräch bleiben. Darüber kann man herrlich streiten, aber der Film transportiert die Idee: Wenn AfDler Schnappertz Grenzüberschreitungen ausspricht, dann muss man seine Mutter dafür bewundern, wie klar sie diese inhaltlich zurückweist, dabei aber weiterhin Zuneigung ausstrahlt.

Die zweite Paarung aber ist fast die interessantere: Der Arbeiter und die Studierte, der Ex-DDR-Bürger und sein Nachwende-Kind, der Enttäuschte und die Zweckoptimistin – hier sind Generations- und Gesellschaftskonflikte miteinander verwoben, und wenn beide im respektvollen Gespräch vorsichtig Schritte aufeinander zu machen, nährt das die Hoffnung, dass genau das auch im Großen gelingen kann.

„Wenn ich kapituliere, wo will man dann hin mit dieser Gesellschaft?“

Auf diese Kraft ihrer Protagonisten hätten die Autoren noch mehr vertrauen dürfen: Kurze Einschübe zu Gegenwartskrisen wie Klima, Rechtsruck und gestörter Debattenkultur sind zur Oberflächlichkeit verurteilt. Auch die optisch eindrucksvolle Filterblasen-Kuppel, in der Teile der Diskussion stattfinden, ist eine unnötige Inszenierungs-Spielerei, die vom Wesentlichen ablenkt: dem Ringen der Menschen umeinander. „Der Kampf – das ist es ja manchmal –, den wir in der Familie führen, ist ja ein Kampf, den man in der Gesellschaft führen muss“, sagt die Schwester von Kris Schnappertz an einer Stelle. „Und wenn ich da kapituliere, wo will man dann hin mit dieser Gesellschaft?“

Vier von fünf Sternen.