Essen. Die sechste Staffel der dystopischen Sci-Fi-Reihe „Black Mirror“ verliert den Fokus – Technologie und ihre Folgen rücken in den Hintergrund.

Der große Reiz von „Black Mirror“ war stets, wie beängstigend und zugleich realistisch die Filmreihe eine nahe, technologisch fortgeschrittene Zukunft ausmalte. In der seit 2011 im britischen Fernsehen ausgestrahlten und später vom Streamingdienst Netflix übernommenen Science-Fiction-Anthologie zu erleben, wie sich Technik und Medien gegen ihre menschlichen Schöpfer wenden könnten – darin lag ein subtiler Horror, weil die Serie Themen wie Soziale Medien, Künstliche Intelligenz oder virtuelle Welten konsequent in unserer Realität verankerte, aber sie ins Erschreckende weiterdachte.

Beliebigeres Gruseln

Von diesem Erfolgsrezept rücken die fünf neuen Geschichten der sechsten Staffel (ab sofort auf Netflix per Stream abrufbar) nun in mehrfacher Hinsicht ab: Zwei Folgen spielen in der Gegenwart, drei in der Vergangenheit; Freunden aufrüttelnder Zukunftsvisionen wird vergleichsweise wenig geboten. Generell geht es nicht mehr zuerst um den bedrohlichen Einfluss von Technologie auf unsere Existenz, in den Fokus rücken verstärkt menschliche Regungen wie Eifersucht, Stolz oder Gier. Auch das taugt zu gut gespielten, stimmig inszenierten Gruseldramen. Doch es ist ein beliebigerer, weniger tiefgehender Grusel, als man ihn von der Reihe gewohnt war. Auch die visuelle Ebene wirkt geglättet: Wo die Macher früher die Abgründe ihrer Geschichten etwa mittels digitaler Benutzeroberflächen oder knalliger Schnitteffekte unterstrichen, stellen sie ihnen nun öfter idyllische Naturpanoramen entgegen.

Dabei bringt gerade die erste neue Folge Potenzial mit: Tech-Angestellte Joan findet ihr Leben plötzlich als Serie in einem Streamingdienst wieder. Was sie im einen Moment erlebt, geschieht im nächsten eins zu eins auf dem Bildschirm. Die Prämisse, dass im Social-Media-Zeitalter jede und jeder zur Ware, zu „Content“ werden kann, gibt viel her. „Black Mirror“ biegt jedoch von der Dystopie ab zu einer mit Stars wie Salma Hayek gespickten, selbstironischen Groteske, die gemessen am sozialen Sprengstoff des Themas bis zum Schluss überraschend leichtherzig daherkommt.

Zu wenig Bezug zu dem, was „Black Mirror“ bislang ausgemacht hat

In Folge zwei spürt ein Filmstudenten-Pärchen in der schottischen Provinz für eine Dokumentation einem lange vergessenen Verbrechen nach. Der Film ist ein solider Meta-Kommentar zum grassierenden True Crime-Trend, der reale Verbrechen in sensationslüsterne Unterhaltung verwandelt, ohne ein Gefühl für den dahinterliegenden Schrecken zu entwickeln. In ihrer moralisierenden Direktheit fällt die Episode aber wenig subtil aus.

Die retrofuturistische, teils angenehm stille dritte Folge, die von der Mondlandung, dem Hippie-Alptraum Charles Manson und „Blade Runner“ gleichermaßen inspiriert ist, krankt dann lediglich an Überlänge und Vorhersehbarkeit. Danach aber geht es mit der Staffel bergab: Eine so plumpe erzählerische Wendung wie in der vierten Episode hat sich die Reihe noch nie getraut. Die finale fünfte Folge ist schließlich eine wilde Begegnung von englisch-gräulichem Retro-Horrorfilm, der historischen Angst der 80er vor der nuklearen Apokalypse und Disco-infizierter Blaxploitation. Das ist unterhaltsam anzusehen und gerade von Hauptdarstellerin Anjana Vasan fesselnd dargeboten, gleichzeitig hallt es kaum nach. Vor allem aber: Es bleibt ohne Bezug zu all dem, das „Black Mirror“ bislang ausgemacht hat.

Drei von fünf Sternen.