Köln. Sido hat bei seinem Konzert in Köln die Lanxess-Arena zum Feiern gebracht. Ungewohnt nachdenklich zeigte er sich dabei beim Thema Altwerden.
2007 veröffentlichte einer, der zu allem etwas zu sagen hat, aber unlängst etwas sehr Garstiges sagte, den Bestseller „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ Das könnte sich auch der Rapper Sido fragen. Seit Jahrzehnten reüssiert er, ebenfalls sehr erfolgreich, als multiple Persönlichkeit. Erst mit, dann ohne Maske, als „Strassenjunge“ und „Schlechtes Vorbild“ aus dem „Block“, aber auch als Mann, den die „Liebe“ voll erwischt und der per „Testament“ um Vergebung für seine Sünden bittet. Aktuell ist er „Paul“ und mit dem gleichnamigen Album auf Tour. Sonntag trat der 42-Jährige in der Kölner Arena auf.
Das mit 17.000 Fans bis unters Dach ausverkaufte Konzert war nicht nur das einzige in NRW, sondern, nach eigener Bekundung, das bisher größte im Leben des Künstlers. Vor 20 Jahren startete er seine Solo-Karriere.
Sido sinniert in Köln ironisch über sein Alter und seine „Dummheiten“
Während man noch darüber nachgrübelt, ob das nächste Album möglicherweise „Hartmut“ heißen könnte – zur Welt kam Sido als Paul Hartmut Würdig – geht um kurz vor 20.30 Uhr das Licht aus. Sphärisches Schwirren und Sirren und ein dramatisches Intro kündigen das erste Stück an: „Bilder im Kopf“. Schon darin hat der, dessen Kürzel früher für „Scheiße in dein Ohr“ stand, ehe es Akronym für „Super-intelligentes Drogen-Opfer“ wurde, um dann einer jedweden tieferen Bedeutung verlustig zu gehen, sein Leben reflektiert.
In Köln bekennt er, kurz vor Schluss des nicht ganz zweistündigen Abends: „Ja, ich habe Dummheiten gemacht.“ Um dem hinzuzufügen: „Aber ihr seid immer noch hier.“ Und, damit auch ja keiner auf den Gedanken kommt, hier handle es sich um eine Wandlung vom Sido-Saulus zum Paul-Paulus, zu versprechen: „Ich werde auch noch die nächsten 20 Jahre Dummheiten machen.“ Ist das jetzt eine realistische Selbsteinschätzung? Oder doch eher mangelnde Einsicht?
Sido: „Leute, ich bin doch zu alt für so was!“ nach einer Sport-Version von „Medizin“
Paul, den seine rappenden Kumpels immer noch Siggi nennen, muss in Köln über vieles sinnieren. Über seinen Umgang mit Sucht: „Drink? Oder nicht Drink?“ Über die Haltbarkeit von „Mein Block“: „Ich überlege schon eine ganze Weile, das gar nicht mehr live zu bringen. Aus zwei möglichen Gründen: entweder der Song ist zu alt oder ihr seid zu jung.“ Und über den nicht mehr zu leugnenden Verlust von Jugendfrische, im Allgemeinen und Besonderen. „Oh shit, sind wir alt geworden, das ein oder andere graue Haar blinzelt mich auch hier an!“, gefolgt vom Ächzer „Leute, ich bin doch zu alt für so ‘was!“ nach der kolossal dynamischen Darbietung von „Medizin“.
Sido in Köln: „Zu erwachsen für den Arschficksong?“
Wobei die laute Überlegung: „Vielleicht bin ich mittlerweile zu erwachsen für ,Arschficksong’?“ eine rein rhetorische bleibt (und bleiben muss). Traditionell beendet die schmerzensreiche Anal-Apologie jedes Konzert von Sido. Gegen einen der ersten Solo-Songs des jungen Wilden kommt auch sein reiferes Alter Ego nicht an. Das Publikum will ihn, das Publikum kriegt ihn.
Dank alter Hits wie „Fuffies im Club“, „Herz“ und „Carmen“, neuen Stücken wie „Atmen“, „Rollender Stein“ oder „Gar nicht mal so glücklich“, einer superben Bühnenshow mit hydraulischen, videobespielbaren Quadern, der agilen Sido-Truppe und ihrem charismatischen Spiritus Raptor wird es dann aber doch eher berauschend als besinnlich. Die Arena tobt.
Preisfrage des Abends: Als was oder wer wird Sido im Dezember bei seiner Weihnachtsshow in Berlin auf der Bühne stehen? Für die Rolle, an die man automatisch denkt, bräuchte er sich zumindest keinen Bart anzukleben.