Berlin. Medienexperte Ferris Bühler hält Gottschalks Ehrenrunde bei „Wetten, dass..?“ für einen Fehler. Hat der TV-Star den Absprung verpasst?
Der TV-Dino gibt sich die Ehre: Heute Abend (Samstag, 25. November) lädt Thomas Gottschalk (73) wieder zu „Wetten, dass..?“ (ZDF, 20.15 Uhr). Angeblich seine letzte Moderation der legendären Fernsehshow. Dabei ist der Abschied längst überfällig, so der Schweizer Medienexperte Ferris Bühler. Der Showklassiker sei nicht mehr zeitgemäß. Das liege vor allem an einem: dem Showmaster selbst. Im Interview erklärt Bühler, warum Gottschalk schleunigst abtreten sollte.
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„Wetten, dass..?“ gilt ja heute schon als Mythos der Familienzusammenführung. Die 80er- und 90er-Jahre: Alle gemeinsam auf dem Sofa, solche Vorstellungen kursieren in den Köpfen. Schöne alte Welt?
Ferris Bühler: Man muss bedenken, die Sendung kam aus einer Zeit, in der ganz andere soziale Verhältnisse herrschten. Damals gab es eigentlich in jeder Familie ein einziges TV-Gerät, und es war klar, dass man sich am Samstagabend davor versammelte. Und zwar Klein wie Groß.
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Klingt anachronistisch in Zeiten, in denen Klein wie Groß ihr eigenes Unterhaltungsprogramm streamen.
Bühler: In der Tat. Aber früher hatte jeder seine Freude dabei.
Was war das Geheimnis?
Bühler: Nun, die Sendung hatte sehr spannende, interaktive Komponenten. Und es war eine gute Mischung mit einfachen Leuten, vom Publikum von der Straße, sage ich jetzt mal.
Gottschalks Geheimnis: Er gab den Musterdeutschen
Das mit den einfachen Leuten war ein guter Kontrast zu den Hollywoodstars auf dem Sofa. Aber das Geheimnis war doch sicher was anderes?
Bühler: Wir hatten auf der anderen Seite natürlich den eigentlichen Star der Sendung, Tommy Gottschalk, der die Sendung wie kein anderer prägte. Und man muss auch sagen, dass damals Frank Elstner, als er die Sendung erfunden hatte, sie für Gottschalk konzipiert hatte. Das war eigentlich ohne Gottschalk nicht so denkbar. Deshalb hat sie so gut funktioniert.
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Warum hat Gottschalk denn so gut gepasst?
Bühler: Das hat mehrere Ursachen. Zum einen, wenn man sich mal Thomas Gottschalk anschaut: Er hat ja sozusagen den Musterdeutschen verkörpert: Ein großer Mann mit einer naturblonden Mähne, das ist natürlich schon ein starkes Bild und geradezu ein Statement.
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Ein Musterdeutscher in gewagten Karo-Anzügen?
Bühler: Das ist eben das Spannende. Da durchkreuzt er also das Klischee. Statt mit T-Shirt kommt er in diesen fulminanten Anzügen, gern in großem Karo. Das macht er ganz bewusst. Und geht damit schon fast ein bisschen in Richtung Zirkus-Clown.
Ein Zirkus-Clown, der sich Freiheiten herausnahm.
Bühler: Ja, er hat ja ganz schön freche Sprüche draufgehabt mit seinem jugendlichen Habitus. Er konnte und kann ja ganz belanglos drauflosplaudern. Und dann kommt da plötzlich wieder ein deftiger Spruch.
Aber er wollte doch immer geliebt werden, oder?
Bühler: Eigentlich wollte er immer eins sein – der ewige Sonnyboy, der einfach immer gute Laune hat. Genau das wollten die Leute nach einer arbeitsintensiven Woche am Samstagabend erleben. Darauf haben sie gewartet, dass ihnen Gottschalk diese gute Laune liefert.
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Experte: Das waren Gottschalks Stolperfallen
Und dann haben sich die Leute aufgeregt, dass Gottschalk so vergesslich war. Namen der Promis nicht wusste, nicht richtig zuhörte. Also perfekt war er ja nicht.
Bühler: In der Rhetorik sagt man auch: Perfektion weckt Aggression. Wenn ein Moderator alles perfekt macht, ergibt sich bei den Zuschauern ein komisches Gefühl, weil es nicht natürlich wirkt. Gottschalk hat eben genau das Gegenteil gemacht. Er war für mich immer so ein bisschen der König des Unperfekten.
Nichts richtig machen, aus Absicht. Das ist kühn.
Bühler: Er hat eigentlich nichts perfekt gemacht und damit die Gunst des Publikums gewonnen. Und das Besondere: Das Ganze hat er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gemacht. Das ist schon spannend: In einem Rahmen, der eigentlich auf Perfektion setzt und nicht darauf, dass jemand in alle Stolperfallen tapst.
Stolperfallen ist so ein Stichwort. Er benahm sich oft einfach daneben. Legte die Hand auf die Oberschenkel von Stars. Und seine Sprüche waren oft auf dem Niveau von Altherrenwitzen. Wieviel Chauvinismus steckt in Gottschalk?
Bühler: Extrem viel. Es steckt extrem viel Chauvinismus in Thomas Gottschalk.
Und er durfte den Chauvinismus frei herauslassen. Warum hat man ihm das durchgehen lassen?
Bühler: Die Show war extrem erfolgreich. Am Montag hat man im Büro darüber gesprochen, auch über Gottschalks Witze. Also: Je erfolgreicher die Show wurde, desto größer wurde auch Gottschalk selbst. Und desto größer hat er sich auch gefühlt und desto stärker wurde auch seine Position als Chef auf dieser Showbühne. Und desto stärker hat er sich auch darin bestätigt gefühlt, dass er eigentlich sagen und machen kann, was er will.
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Ein Chef, der sich selbst feiert?
Bühler: Also wenn man seine Entwicklung betrachtet: Gottschalk ist ja in den 80ern gestartet, in einem Zeitalter, als er der unumstrittene Chef der Bühne war. Wie ein Zirkusdirektor in der Manege konnte er machen, was er wollte. Nur: Im Laufe der Zeit haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Und auch der Humor. Im Grunde hat sich alles geändert.
Durch Bewegungen wie #MeToo hat er sich nicht irritieren lassen.
Bühler: Mit all den Änderungen hat Gottschalk anscheinend ein großes Problem. Er will eigentlich er selbst bleiben. Er will seine Version leben. Keine andere. Er will sich keinesfalls anpassen, und deswegen macht er sich geradezu über alles lustig, was man eben heute nicht mehr darf.
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Es wirkt aus heutiger Sicht provozierend
Bühler: Er provoziert ganz bewusst mit solchen Bemerkungen. Er will sich lustig machen, indem er sagt: Ich schere mich – sorry – einen Dreck darum, was man heute darf oder nicht darf. Ich bin so, wie ich bin. Entweder Ihr nehmt mich, oder Ihr nehmt mich nicht. Daher kommen dann auch diese Macho-Sprüche, deren Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen sind.
Wie der „korrekte“ Moderationsstil Hunzikers zu Gottschalk passte
Oft genug fielen Begriffe wie „Fremdschämen“. Warum hat Gottschalk nicht längst aufgegeben, statt sich der ständigen Kritik auszusetzen?
Bühler: Diese Provokationen sind auch ein Spiel von ihm.
Er will sich also nicht verändern. Und will auch seine letzte Sendung nicht mit Michelle Hunziker zusammen moderieren.
Bühler: Es hat sich gezeigt, dass Michelle Hunziker einen ganz anderen Moderationsstil hat. Sie ist sehr korrekt und sehr perfekt. Und er will er selbst bleiben. Das hat zusammen nicht funktioniert.
Seine Sprüche, seine Flapsigkeit – es traf eine Zeit, in der vieles weggelacht wurde. Jetzt bespielen Showmaster wie Kai Pflaume oder Johannes B. Kerner den Samstagabend. Was zeichnet sie im Gegensatz zu Gottschalk aus?
Bühler: Ja, also Pflaume und Kerner. Oder auch Jauch. Das sind Moderatoren, die auch lustig sein können, aber eben halt einen korrekten Humor haben. Also die würden jetzt nicht einfach jemandem die Hand auf den Oberschenkel legen.
Wie hat sich der Humor gewandelt?
Bühler: Also früher machten Showmaster, um für Aufmerksamkeit und Unterhaltung zu sorgen, schon auch Witze. Und das oft auch auf Kosten anderer. Über die Ostdeutschen oder über Homosexuelle. Wenn wir uns zurückerinnern an Harald Schmidt und auch an Stefan Raab: Die haben noch sehr wohl sexistische und homophobe Witze gemacht zu ihren Zeiten. Aber die haben ihre Karrieren zum richtigen Zeitpunkt abgeschlossen und dieses Thema auch nicht mehr bespielt.
Gibt es Entertainer, die jetzt „korrekter“ moderieren?
Bühler: Ja, wenn ich zum Beispiel Joko & Klaas beobachte, die machen genau das Gegenteil: Sie haben einen sehr provokanten Humor gegen Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit.
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Das macht die TV-Formate der Zukunft aus
Wie sieht das Quiz-Format der Zukunft aus? Mehr glatte Unterhaltung nach Art von Kai Pflaume?
Bühler: Klar, der Moderator ist ein zentraler Protagonist. Aber eine Unterhaltungsshow braucht ja viel mehr: tolle Gäste, tolle Stilelemente. Der Moderator ist nur ein Teil des Ganzen und steht immer weniger im Zentrum.
Kein Star mehr? Es findet also eine Rollenverlagerung statt?
Bühler: Ganz genau. Der Moderator steht nicht mehr im Zentrum. Nicht mehr wie Gottschalk, wo es nur um ihn ging. Das ist vorbei. Aber Gottschalk kann nicht akzeptieren, dass Fernsehen heute anders ist als früher. Das ist schade.
Dann sollte es auch mit Gottschalk wirklich vorbei sein?
Bühler: Genau das ist die Frage, warum hört er nicht endlich auf. Das Problem ist, der hat den Moment des richtigen Absprungs verpasst. Eigentlich hätte er nach dem Comeback aufhören sollen. Tschüss, das war es. Dann wäre er als TV-Legende in die Fernsehgeschichte eingegangen. Das hat er verpasst.
Sie sehen ihn nicht gerade positiv.
Bühler: Nun ja, er ist schon öffentlich zu einer tragischen Figur geworden. Eben einer, der nicht aufhören kann. Gottschalk hat Angst um die eigene Relevanz. Er will wichtig bleiben. Er will, um es mal so zu sagen, immer noch seinen Senf dazugeben. Schade, dadurch gefährdet er seine ganze Karriere. Und seinen Marktwert. Als Marketingverantwortlicher würde ich ihm heute nicht mehr dasselbe als Werbebotschafter zahlen wie früher, als er noch eine starke Marke war.