Essen. Dabei kann eine Lebensstil-Änderung bei vielen Patienten auch dann noch helfen, nachdem eine Diagnose ihr Leben schon auf den Kopf gestellt hat

„In der Regel sieht man Diabetiker öffentlich nur, wenn in der Werbung wieder mal eine neue Insulinpumpe angepriesen wird“, beschwert sich der französische Musiker Bertrand Burgalat, selbst betroffen von der Stoffwechselerkrankung. Ansonsten würden Patienten mit den trügerischen Versprechungen der Pharmaindustrie allein gelassen – als wären sie selbst schuld an ihrer chronischen Erkrankung und könnten nichts anderes tun, als ihren Blutzuckerwert ständig im Blick zu behalten.

Wie der von ihm mitbegründete französische Selbsthilfeverein will auch die Arte-Dokumentation am Dienstag, 18. Juli, ab 20.15 Uhr vor allem aufklären, dass es so einfach nicht ist. Ob bei dem plötzlich auftretenden und unerklärlichen Diabetes Typ 1 oder bei Typ 2, der auch Altersdiabetes genannt wird – die Autoimmunerkrankung bringt viele Unannehmlichkeiten, wobei das tägliche Insulin-Spritzen noch das kleinste Übel ist.

„Diabetes, eine lukrative Volkskrankheit“: 430 Millionen Menschen leiden, die Tendenz ist steigend

Anschaulich und detailliert erklärt der Film von Dorothée Frénot und Benoît Rossel, was bei der Krankheit passiert und zu welchen Komplikationen sie führt, wenn sie unbehandelt bleibt. Und wie stark sie nicht nur den Alltag der Betroffenen prägt, sondern auch die nationalen Gesundheitssysteme überlastet: Weltweit leiden an die 430 Millionen Menschen daran, dass ihre Bauchspeicheldrüse nicht arbeitet und sie das überlebenswichtige Insulin synthetisch zuführen müssen. Die Tendenz dabei ist steigend: 2040, sagen Prognosen voraus, wird jeder zehnte Erwachsene von dieser Stoffwechselstörung betroffen sein.

So erklärt sich, dass Diabetes als Volkskrankheit Nummer eins gilt, aber eben auch als ein gigantisches Geschäft: Die satten 46 Milliarden Dollar Jahresumsatz, die mit immer wieder neuen, aber nicht unbedingt effektiveren Wundermitteln erzielt werden, teilen sich nur drei markt­bestimmende Pharmafirmen auf. Und auch deren geschicktes Marketing entlarvt der Film: „Gesund unter 7“ heißt der Slogan, mit dem seit einigen Jahren der ideale Blutzuckerwert in den Mittelpunkt der Behandlung gestellt wird. Vor Herzinfarkt, Nieren- oder Lungenkomplikationen oder gar der befürchteten Zehen-Amputation schützt der Wert aber nicht, paradoxerweise steigt unter Umständen sogar noch das Risiko für diese lebensbedrohlichen Folgen.

Wieder ein normales Leben führen, ganz ohne Medikamente

Dabei erkranken die Menschen zu 90 Prozent an Diabetes Typ 2, der sich aufgrund einer zu fett- und zuckerhaltigen Ernährung und mangelnder körperlicher Betätigung schleichend entwickelt. Eine Änderung des Lebensstils – hin zu gesunden, frischen Lebensmitteln und mehr Bewegung – wirkt schon mal präventiv. Bei rund einem Drittel der Patienten kann dieses Verhalten aber auch noch helfen, nachdem eine Diabetes-Diagnose ihr Leben schon auf den Kopf gestellt hat – wie bei Wilfried Stränger aus Mülheim, dessen Bauspeicheldrüse nach einer radikalen Diät unter ärztlicher Aufsicht wieder selbstständig Insulin produziert. So kann er, der schon einmal durch eine Medikamentenüberdosierung „ganz nah am Koma war“, inzwischen ein wirklich normales Leben führen, ohne Medikamente.

Bewertung: Vier von fünf Sternen