Berlin. Gerade für zehn Oscars nominiert: Ein Epos wie aus Hollywoods Glanzzeiten, das den USA aber einen entlarvenden Spiegel vorhält.

Es ist ein Film zur Stunde. Nicht nur wegen des Holocaust-Gedenktags in dieser Woche. Sondern, weil der frisch wiedergewählte Donald Trump seine rigide Migrationspolitik durchsetzen will. Auch wenn „Der Brutalist“ ein ganz historisches und fiktives Drama ist, das in den 40er-, 50er-Jahren spielt, und von einem legalen, nicht illegalen Einwanderer handelt, geht es doch um die Frage, wie offen die US-Gesellschaft wirklich ist. Und wie weit her es ist mit dem ur-amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen.

Vielleicht ist der Film von Brady Corbet auch deshalb gerade für ganze zehn Oscars nominiert worden: ein Signal von Hollywood, das sich von jeher als das bessere Amerika versteht. Verdient sind die Nominierungen aber allemal. Weil der Film einfach so gut ist. Und weil solche Filme heute kaum noch gemacht werden.

Eine fiktive Künstler-Biografie, die bis in Details ausgemalt wird

Es ist, mal wieder, ein Einwandererdrama. Von einem, der der Hölle des Holocaust entkommen ist und nach dem Krieg ein neues Leben in den Vereinigten Staaten von Amerika beginnen will. Das Erste, was der Titelheld und mit ihm der Zuschauer von der Neuen Welt sieht, ist die Freiheitsstatue. Aber auf dem Kopf stehend. Und dann um 90 Grad gekippt. Als ob sie auf die Nase gefallen ist. Für viele wohl ein starkes Bild für die jüngste US-Wahl.

Es ist aber auch die bittere Botschaft dieses Films: als Menetekel vorab. Denn der Ungar Lászlo Thót (Adrien Brody), der in Europa ein gefeierter Bauhaus-Architekt war, bevor ihn die Nazis deportierten, er muss hier im vermeintlich Gelobten Land noch einmal von Null anfangen. Muss in Pennsylvania im Möbelladen seines Cousins (Alessandro Nivola) aushelfen und froh sein, dort in einer Kammer zu schlafen. Bei einem Auftrag darf er zeigen, was er kann: und einem reichen Unternehmer eine neue Bibliothek errichten, lichtdurchflutet und mit segelartig verstellbaren Bücherregalen. Da würden selbst Lesemuffel gerne sitzen.

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Aber die Bibliothek ist als Überraschung des Sohnes gedacht, was der Senior nicht goutiert. Weshalb Thót nicht ausgezahlt wird. Von seinem Cousin auf die Straße gesetzt wird. Fortan auf einer Großbaustelle malochen muss. In einer Sammelschlafstelle landet. Und den Drogen, die seine Schmerzen aus der KZ-Haft betäuben, gänzlich verfällt.

Die Immigranten werden toleriert, aber nie integriert: „Sie wollen uns nicht“

Der steinreiche Unternehmer ist der Inbegriff des hässlichen Amerikaners. Ein Bruder im Geiste Trumps und seiner milliardenschweren Kohorte, die den amerikanischen Traum für sich verwirklicht haben, ihn aber anderen nicht gönnen und ihre Pfründe rigide verteidigen. Dieser herrische, übellaunige und offen rassistische Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) ist aber auch eitel. Und weil alle seine Bibliothek loben, macht er sich schlau über den Architekten. Erfährt von dessen Vergangenheit. Und beauftragt ihn nun seinerseits, eine Begegnungsstätte für die Öffentlichkeit zu errichten. Um selbst als Gönner und Mäzen dazustehen. Und seine jüdischen Geschäftspartner zu beeindrucken.

Für den Architekten war es immer ein Trost, dass man sein Leben zwar zerstört hat, dass seine Bauten aber stehen blieben. Jetzt will er ein Monument der Moderne bauen. Ein brutalistisches Spiel aus Stein, Raum und Licht. Brutal aber sind die Bedingungen, unter denen er arbeitet, weiterhin. Sein Auftraggeber lässt zwar auch Tóths an den Rollstuhl gefesselte Frau Erzsébet (Felicity Jones) aus Europa bringen, Thóts ambitionierte Pläne aber torpediert er kleinlich und lässt sie dann ganz einstellen. Wie im Mittelalter ist der Künstler, ist das Genie nur ein Spielball der Mächtigen.

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Er spielt den Inbegriff des kaltschnäuzigen Kapitalisten und des hässlichen Amerikaners: Guy Perace als Harrison Lee Van Buren.
Er spielt den Inbegriff des kaltschnäuzigen Kapitalisten und des hässlichen Amerikaners: Guy Perace als Harrison Lee Van Buren. © Universal | Universal

Am Ende gibt es sogar noch einen Missbrauchsfall. Fast zu viel des Bösen. Und doch bringt er auf den Punkt, wie die Mächtigen des Landes sich über jedes Gesetz erhaben fühlen, auch eines der Moral. In seiner Schaffenswut wird Thót aber selbst immer herrischer, hierin zumindest seinem Auftraggeber ähnlich, so dass ihn die eigene Frau nicht wiedererkennt. Das Land verändert sie. Auch wenn die Immigranten immer wieder erfahren müssen, dass sie zwar toleriert, aber nie integriert werden. „Sie wollen uns nicht“, lautet das bittere Fazit.

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Nicht wenige werden nach diesem Film wohl mehr über diesen Bauhaus-Architekten erfahren und ergoogeln wollen. Dabei ist Tóth eine komplett erfundene Figur. Aber Regisseur Corbet breitet die Geschichte mit dem ganzen Ernst eines Biopics aus, in einem dreieinhalbstündigen Epos wie zu Hollywoods Monumentalfilm-Glanzzeiten in jenen Jahren, in denen das Drama spielt. Mit 70mm-Breitwandformat, Ouvertüre und musikalischer Zwischenpause.

Corbet stellt dabei nicht nur die Aufbruchszeit der Nachkriegsjahre nach, er legt auch zahlreiche kühne architektonische, bauhaus-artige Skizzen und Fotos vermeintlich realer Bauten aus, was Thóts Scheinbiographie nur umso wahrscheinlicher macht. Nur dass sein Film eben nicht, wie die Monumentalfilme der 50er-Jahre, eine Flucht aus realen Alltagsnöten sein will. Im Gegenteil: Corbet hält der amerikanischen Gesellschaft damit einen selbstentlarvenden Spiegel vor, wie weit her es ist mit ihren eigenen Versprechungen.

Brady Corbet und Adrien Brody
Wurden beide mit einem Golden Globe ausgezeichnet und gehen nun ins Oscar-Rennen: Regisseur Brady Corbet (l.) und sein Hauptdarsteller Adrien Brody. © DPA Images | Chris Pizzello

Ganz wie sein Architekt für dessen Meisterbau, hat auch der Regisseur, der mit seiner Partnerin Mona Fastvold das Drehbuch schrieb, Jahre gebraucht, um sein Projekt realisieren zu können. Einen Mitstreiter fand Corbet in seinem Hauptdarsteller Adrien Brody, dessen Name dann doch Türen geöffnet hat. Brody, der vor 22 Jahren einen Oscar für das Holocaust-Drama „Der Pianist“ gewann, aber sein Talent seither in eher schwächeren Filmen verschwendete, spielt hier die Rolle seines Lebens. Und bringt dafür auch die eigene Familiengeschichte ein, die seiner jüdischen Mutter und Großeltern, die nach dem Holocaust ebenfalls aus Ungarn in die USA einreisten und nur schwer Fuß fassen konnten.

Brody und Corbet: ein echtes Dreamteam. Brody hat nun beste Chancen, erneut einen Oscar zu gewinnen. Und Corbet muss sich künftig wohl nicht mehr um die Finanzierung eines Projekts sorgen. Als er vor einem Jahr noch in der Berlinale-Jury saß, kannten ihn nur die wenigsten - und die vor allem als Schauspieler. Nach seinem Coup „Der Brutalist“ aber wird er nun völlig zu Recht als große neue Kino-Stimme gehandelt. Auf diese Art hat sich der amerikanische Traum dann doch erfüllt.

Drama USA 2024, 214 min., von Brady Corbet, mit Adrien Brody, Guy Pearce, Felicity Jones, Raffey Cassidy, Joe Alwyn, Alessandro Nivola