Essen. Auch im Ruhrgebiet tragen immer mehr Menschen über die Feiertage hässliche Weihnachtspullis. Wie konnte das bloß passieren?
Seit einigen Jahren taucht er auf, sobald „Last Christmas“ in Endlosschleife aus dem Radio dudelt und es überall nach Plätzchen und gebrannten Mandeln riecht. Der „Ugly Christmas Sweater“ (UCS), der hässliche Weihnachtspullover. Gerne mit Motiven von Rentieren, Comic-Figuren oder Santa Claus. Zwingend in schrillen Farbkombinationen, glitzerübersät und nicht selten auch mit aufdringlich blinkenden LEDs. Das müssen Sie über die modische Grausamkeit wissen:
Der Ursprung…
… ist nicht so ganz eindeutig. Manche sind überzeugt, die ersten Exemplare seien in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entstanden. Sie sollen als handgestrickte Wollsachen vor allem wegen ihrer Wärme geschätzt gewesen sein und nicht wegen ihres Aussehens, das als eher zweitrangig galt. Familien, so die Legende, versammelten sich damals ums Kaminfeuer, konsumierten wärmende Getränke und strickten Pullover mit Rentier- und Schneeflocken-Motiven. Manche gehen viel weiter zurück und halten den Norwegerpulli für den Urahn der Christmas Sweater. In Setesdal im Süden Norwegens strickten die Frauen der Fischer verschiedene Muster aus Rauten, Rentieren und Schneesterne in die Kleidung, die ihre Männer auf der rauen See schützen sollten. Diese Pullis waren allerdings nicht hässlich. Und es waren auch keine Star-Wars-Figuren oder Homer Simpson darauf zu sehen.
Der Durchbruch…
… lässt zunächst auf sich warten. Pullover mit weihnachtlichen Motiven tauchen in den USA erstmals in den 1950er-Jahren auf und werden als „Jingle Bell Sweater“ bezeichnet. Weniger grell als heutige Versionen sind sie und erfreuen sich überschaubarer Popularität. In Großbritannien – wo sonst? – ändert sich das in den 1980ern, als Moderatoren sie in ihren Shows überstreifen. Allerdings eher als Scherzartikel denn als modisches Accessoire. Jenseits des Atlantiks bedarf es wieder einmal der Hilfe Hollywoods. Filme wie „Schöne Bescherung“ oder „Kevin – Allein zu Haus“ sorgen für verstärkte Nachfrage. Keiner aber verhilft dem Ugly Christmas Sweater zu größerer Popularität als Colin Firth, der 2001 in der Rolle des Mr. Darcy bei seiner ersten Begegnung mit Bridget Jones in „Schokolade zum Frühstück“ ein besonders hässliches Exemplar mit einem großen Elch trägt. Er habe darin so geschwitzt, hat er später mal erzählt, „dass ich wahrscheinlich 15 Pfund verloren habe“.
Was passierte dann?
Im anglo-amerikanischen Raum wird das Kleidungsstück zum festen Bestandteil der Feiertage. In Vancouver veranstalten Studenten die ersten Partys, auf denen der schlimmste Pulli gekrönt wird. In New York gibt es Läufe mit hässlichen Weihnachtspullovern und spezielle Kneipentouren. Und seit einigen Jahren wird rund um die Welt am dritten Freitag im Dezember der „Ugly Christmas Sweater Day“ gefeiert. Fußballer und ihre Anhänger gelten übrigens als besonders UCS affin. Kein Verein der Premier League, der seinen Kickern zum Fest nicht einen Pulli überstreift. Ein Trend, der inzwischen auch die Fußball-Bundesliga erreicht hat.
Seit wann sind die Pullis überhaupt ein Thema in Deutschland?
Noch nicht so lange. Bis weit ins neue Jahrtausend hinein bleibt es zwischen Alpen und Nordsee bei einer vornehmen Garderobe zum Weihnachtsfest. Da werden oft Anzug und elegantes Kleid getragen, und auch die Kinder sollen mal „die guten Sachen aus dem Schrank holen.“ Mittlerweile hat sich das geändert. Seit Stars wie Taylor Swift oder Justin Bieber mit Ugly Christmas Sweatern das Fest der Liebe feiern und ihre Pullis auf allen verfügbaren Social-Media-Kanälen posten, machen immer mehr Fans ihnen das nach. Und längst zeigen auch immer mehr Influencer auf Facebook, Instagram oder TikTok ihre (vor)weihnachtlichen Grausamkeiten. Für manche, glauben Psychologen, sei so ein Pulli ein Statement, dass man sich selbst nicht zu ernst nehme und Spaß im Leben habe. Andere halten sie für eine „Rückbesinnung auf die Vergangenheit“ – für willkommene Nostalgie in einer hektischen, immer stärker digitalisierten, sich rasant ändernden Welt.
Wo bekomme ich denn so einen schlimmen Weihnachtspulli?
Musst man sich bis vor drei, vier Jahren noch die Hacken ablaufen, gibt es UCS mittlerweile sprichwörtlich an jeder Ecke. Und im Internet ohnehin. Nicht nur für Menschen übrigens. Natürlich kommt auch der Hund mittlerweile nicht zu kurz. Aber stecken Sie Ihren Bello bitte nicht in irgendetwas, das blinkt oder singt. Da könnte der Tierschutz einschreiten.
Und was kostet so ein Pulli?
Kommt darauf an. Ralph Lauren hat eine Zeit lang mal einen Weihnachtspullover mit Schneeflockenmuster für rund 1300 Dollar angeboten; eine gelb-rosafarbene Kreation von Stella McCartney mit zwei tänzelnden Hirschen kostete immerhin 1230 Dollar. Aber das sind Ausnahmen. Je nach Qualität zahlen sie in der echten und der virtuellen Welt zwischen 20 und 50 Euro. Ja, es gibt auch noch welche, die billiger sind. Aber da sollten sie sich immer fragen, wie nachhaltig ein Pullover produziert worden sein kann, der für sechs oder sieben Euro verkauft wird. Leider steckt aber auch in vielen teureren Pullis so viel Plastik, dass ihre Träger offene Flammen großräumig meiden sollten. Und bedenken Sie, dass im Pulli eingebaute Lichter oder Sprachchips die Reinigung der verschwitzten Sweater schwierig bis unmöglich machen.
Was vielleicht nicht schlimm für Sie selbst sein mag. Möglicherweise aber für Menschen in ihrer Umgebung.
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