Dortmund. Die hochtourige Komödie von Nora Abdel-Maksoud fährt am Hiltropwall mit angezogener Handbremse. Aber mit einem großen Premierenapplaus.
Die 400 Milliarden Euro, die in Deutschland Jahr für Jahr vererbt werden, zementieren den Sozialstatus der Einzelnen und in der Gesellschaft das, was man früher Klassengegensätze nannte und heute Klassismus heißt. Die Startchancen für Kinder und Jugendliche sind ungleicher verteilt denn je und Bildungsaufsteiger die Ausnahme zur Bestätigung der Regel.
Nur selten wird dieser Missstand so furios und gewitzt aufgespießt wie in Nora Abdel-Maksouds satirischer Komödie „Jeeps“. Sie lieh sich beim Investoren-König Warren Buffett das Wort von der „Eierstock-Lotterie“, geht aber noch radikaler vor als er, der 99 Prozent seines Vermögens zur Linderung der Ungerechtigkeit einsetzen will: Auf der Bühne werden sämtliche Erbvermögen eingezogen, um dann wieder unter allgemein verlost zu werden. Vom Jobcenter.
Die Warteschlangen reichen in Dortmund über die B1 bis zum Westfalenpark, und unter den Wartenden ist auch Silke, die das Start-Up „Laptops in Stollenschuhen“ gegründet hat, mit dem die ausgelatschten Treter der Eurofighter von 1997 wiederverwertet werden. Für Lokalkolorit ist also gesorgt, die hohen Wände des Jobcenters sind als Kulissen der Macht zu erkennen (Bühne Lan Anh Pham). Dem schlechten Witz, dass in der Grundsicherung 6,42 Euro für die tägliche Ernährung vorgesehen sind, begegnet „Jeeps“ mit etlichen Kalauern, Slapsticks und ironischen Spitzen über die Sprache als Herrschaftsinstrument der Bürokratie, „Currywurstimperialismus“ und „bourgeoise Altlinke“. Plattitüden wie eine Impfung gegen Influencer sind allerdings auch dabei.
Die fehlende analytische Schärfe und die Schlichtheit der Story versteckt Nora Abdel-Maksouds Stück unter einem hektischen Ping-Pong aus Rückblenden und Interview-Szenen. Das macht sich besonders zum Finale hin immer deutlicher bemerkbar, wenn die Rückblicke zu Wiederholungsschleifen und die Gags fader werden. Regisseurin Babett Grube findet kein Mittel gegen dieses Ausfransen, auch wenn sich das Einfrieren von Szenen in Zeitlupen bewährt.
Marlena Keil spielt die wohlstandsverwöhnte Silke mit Wonne (und singt sie grandios), Nika Mišković gibt gekonnt exaltiert die Maude, Alexander Darkow passgenau beschränkt den Gabor und Viet Anh Alexander Tran überspielt den enttäuschten Idealisten in Armin. Ein wenig mehr Zeit zum Proben hätte allen gutgetan. Ihr Schwung hilft freilich nicht gegen die angezogene Handbremse, mit der diese Inszenierung das Ziel ansteuert.
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Das Premierenpublikum spendierte den Beifall nach stellenweise kurzweiligen 90 Minuten teils im Stehen.