Wuppertal. Der Italiener wollte nicht nur provozieren, sondern den Raum öffnen für Zukunft. Das zeigt eine Ausstellung im Museum von der Heydt.
Man kann sich den Einfluss von Lucio Fontana auf die deutsche Kunst der 60er-Jahre gar nicht groß genug vorstellen. Als der Düsseldorfer Galerie-Guru Alfred Schmela Fontana im Januar 1960 zum ersten Mal (nach einem Rand-Auftritt auf der Documenta II) in Deutschland zeigte, waren Künstler wie Beuys, Gotthard Graubner und Adolf Luther ebenso fasziniert wie die noch jungen Zero-Künstler Heinz Mack und Otto Piene oder Günther Uecker und später auch Blinky Palermo. Sie waren begeistert von der Provokation, die in Fontanas aufgeschlitzten und durchlöcherten Leinwänden ausging – aber auch von der Idee, die der Künstler damit verband: „Dahinter scheinen sich Räume zu öffnen“, sagte Fontana, der im Aufschlitzen einen „Akt des Glaubens an das Unendliche sah“.
Wie andere Futuristen auch hatte der 1899 als Sohn eines italienischen Bildhauers in Buenos Aires geborene Fontana kein Problem damit gehabt, sich mit der Mussolini-Diktatur einzulassen, für die Mailänder Faschisten hatte er 1939 ein Deckenrelief gestaltet. Umso mehr drängte er nach dem Zweiten Weltkrieg auf einen radikalen Neubeginn. Sein 1946 in Argentinien entstandenes „Weißes Manifest“ wollte die Grenzen von Malerei, Bildhauerei, Dichtung und Musik sprengen. Fontana erfand den „Spazialismo“, eine Kunst der Raumgestaltung. Wie daraus der Fontana-Kosmos erwuchs, zeichnet eine Ausstellung im Wuppertaler Museum von der Heydt mit rund 100 Werken nach.
Fontana war auch ein Keramiker von hohen Graden
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Erste Löcher sieht man dort auf Bildern von 1949. Aber eben auch, dass Fontana ein Keramiker von hohen Graden war. Dass er experimentierte, etwa mit Licht, wie die Rekonstruktion eines seiner Environments von 1967, in dem ein ganzer Raum mit pinkfarbenem Stoff ausgekleidet ist und von der Decke eine unregelmäßig gebogene Neonröhre hängt. Zum Staunen schön auch ein mattschwarzes Rugby-Ei aus Bisquit-Porzellan, versehen mit vier groß hineingerissenen Löchern, bei Rosenthal in Selb als Auflagenwerk gefertigt. Oder der Terrakotta-Teller, auf dem eine „Schlacht“ stattfindet – ebenso abstrakt wie Fontanas frühe Plastiken aus den 30er-Jahren aus gebogenem Draht oder schwarz-weiß bemalten geometrischen Formen aus Holz.
Museums-Chef Roland Mönig lenkt den Blick nicht nur auf die Zero-Künstler, die sich von dem damals schon über 60-Jährigen haben inspirieren lassen, sondern auch auf den Zeichner Fontana. Dessen 1,5 Meter breite Reiterschlacht-Skizze erinnert gar an die Renaissance-Zeichnungen seiner italienischen Landsleute von da Vinci bis Ucello.
Und selbstverständlich ist in Wuppertal die gesamte Palette der Materialien vertreten, in die Fontanas Löcher das Eindringen der Zukunft erleichtern sollen: glasierte Terrakotta, Aluminium, Messing und Kupferblech. Aber der einsame Schnitt in eine fast weiße Leinwand, wie ihn das von der Heydt selbst besitzt, atmet dann doch, neben aller Zukunft, stille Größe und Eleganz.