Essen. Fast zwei Jahrzehnte war René Grohnert Chef im Deutschen Plakat Museum Essen. Er hat es neu aufgebaut und ist international gefragt.

René Grohnert ist seit fast zwei Jahrzehnten Leiter des Deutschen Plakat Museums in Essen. Und eine echte Kapazität seines Fachs, weltweit gefragter Vortragsredner in Sachen Plakat, Berater und Autor. Er sollte ursprünglich schon 2021 in Ruhestand gehen, ließ sich aber zu einer Verlängerung überreden. Nun hat er schon zwei Abschieds-Ausstellungen komponiert („We Want You! Von den Anfängen des Plakats bis heute“ 2022 und „Ferne Länder, ferne Zeiten: Sehnsuchtsfläche Plakat“ 2024). „Aber eine dritte wird’s nicht geben!“, versichert Grohnert lächelnd.

Seine Nachfolge ist bestimmt („von der Expertise her kamen eigentlich nur zwei Leute in Frage“), sie wird am 2. Januar 2025 die Nachfolge antreten. Grohnert, Baujahr 1956, ist (noch heute hörbar) in Berlin aufgewachsen und war zuerst „Schienenleger mit Abitur“, erwarb seine Hochschulreife während der Ausbildung zum „Facharbeiter Eisenbahnbautechnik“, wie das in der DDR hieß. Als er dann nach einem Museologie-Studium ans Ostberliner Museum für Deutsche Geschichte kam, „waren nur die Plakate frei. Aber wat wusste ick von Plakaten? Nüscht!“ Immerhin hatte er dort den deutschen Plakat-Papst Hellmut Rademacher an seiner Seite, der ihn „hineingefördert“ hat – „und irgendwann war klar, ich will nur Plakate, ich kann auch nur Plakate“.

René Grohnert weckte das Essener Plakat Museum aus dem Dornröschenschlaf

Für die großen Zusammenhänge legte er ein Studium der Kunstgeschichte nach, „auch wenn das Plakat eher kulturhistorisch zu betrachten ist, weil sie seit 1910 eher der Werbepsychologie als der reinen Ästhetik folgen“. 2005 wurde er dann Leiter des Deutschen Plakat Museums in Essen, das sich nach seiner Schließung im Jahr 2000 gerade im Dornröschenschlaf befand und auf die Welterbe-Zeche Zollverein umziehen sollte.

Grohnert sichtete die Sammlung, rettete feuchte oder angeschimmelte Plakate, systematisierte die Sammlung und ließ ihren Reichtum in etlichen Ausstellungen leuchten, seit das Plakatmuseum 2010 ins neue Museum Folkwang einzog. Und heute wird René Grohnert eben eingeladen, wenn in New York mit dem „Poster House“ das erste Plakatmuseum der USA eröffnet wird. Wegen seines Rufs werden dem Essener Plakatmuseum immer wieder Sammlungen zur Übernahme angeboten. Durch Vermittlung des Verlegers Gerhard Steidl wurde Grohnert sogar zum Berater des Plakatsammlers Karl Lagerfeld und erarbeitete einen Katalog für ihn – wodurch am Ende auch der Kontakt entstand, der zu einer Lagerfeld-Ausstellung im Folkwang führte.

Rene Grohnert,Leiter des Plakatmuseums im Fokwang
Mit René Grohnert hielten auch Plakate Einzug in die Dauerausstellung des Museums Folkwang. © FUNKE Foto Services | KK

Herr Grohnert, was fasziniert Sie nach Jahrzehnten der Beschäftigung bis heute an Plakaten? Die unverblümte Ansprache?

Die Mischung aus Realität und Vision – aus Widerspiegelung und Wurst vor der Nase. Da steckt viel Alltag drin. Und: Von den klassischen Bildmedien wie Malerei und Fotografie ist das Plakat ja das einzige, das eine Aufgabe hat. Es will überzeugen. Zu sehen, wie sich die Ansprache fürs Gleiche im Laufe der Zeit visuell und sprachlich verändert, ist spannend. Es sagt viel über die Gesellschaft der Zeit, das hat politische, soziale, psychologische, kulturhistorische Komponenten. Deshalb sage ich immer: Plakate bilden. Denn um sie zu verstehen, muss man sich ja mit dem ganzen Umfeld beschäftigen. Und dann ist ja auch wichtig, wo ein Plakat hängt: Ob ein Stierkampf-Plakat im Reisebüro hängt oder bei einer Tierschutz-Organisation, da liegen ja Welten dazwischen!

Plakate waren mal ein Leitmedium.

Ja, Ende des 19. Jahrhunderts bis 1942.

1942?

Als man das Fernsehen eingeführt hat und das Radio schon ein Massenmedium war. Im Radio gibt’s doch gar nichts zu sehen. Es geht aber auch darum, Informationen an den Mann zu bringen. Und dann auch Werbung. Und der Vorteil ist: Man erreicht die Menschen zu Hause, sie müssen nicht rausgehen, um das wahrzunehmen. Die Werbung kommt ins Zimmer. Ende der 50er-Jahre sagte man dann sogar, wir brauchen keine Plakate mehr, wir haben ja das Fernsehen. So eine ähnliche Entwicklung gab’s schon mal, als man gesagt hat, wir haben jetzt Fotos, wir brauchen keine Malerei mehr. Auch dieses Medium hat sich dann neu erfunden und andere Dinge dargestellt, so war das auch beim Plakat.

Bis das Internet kam.

Naja, es gibt ja immer noch viele Plakate. Aber heute sind sie zumeist ein eher untergeordneter Teil von Werbekampagnen. Es spielt nur vor allem die Motiv-Wiederholung eine Rolle. Es gibt heute auch kaum noch Leute, die sich aufs Plakat spezialisiert haben. Nur in der Kultur ist es noch anders, die hat gar nicht die Budgets, um große Kampagnen zu machen. Da ist noch der Tummelplatz für die Kreativen…

… wie wir jedes Jahr besonders an den „100 besten Plakaten“ sehen, die Sie zuletzt immer auf Zollverein gezeigt haben.

Ausstellung
René Grohnert in der diesjährigen Ausstellung „100 beste Plakate“ auf Zeche Zollverein in Essen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Bei „Plakat“ reden wir ja über Papier, übers Standbild. Das verliert natürlich gegen das digitale Bewegtbild. Ich will beim Plakat nicht gerade von einem „abgeschlossenen Sammelgebiet“ sprechen, aber es hat nicht mehr die Bedeutung wie früher, etwa in den 60er- oder 70er-Jahren.

Wenn Sie durch die Stadt gehen, sehen Sie dann eigentlich noch Plakate?

Na, das ist zwiespältig. Bei 90 Prozent denke ich: Schade, dass dafür Bäume gestorben sind. Sie sind oft gar nicht wirklich plakativ, sondern nur eine Wiederholung von digitalen Kampagnen. Aber man darf sich auch nicht vertun: Was in unsere Sammlungen gelangt, ist die Auswahl der Auswahl der Auswahl.

Haben Sie denn ein Lieblingsplakat?

Ja, das ist schon die Werbung für den Stiller-Schuh von Lucian Bernhard. Da gilt nur: Geht ins Gehirn, und gut! Mehr ist da nicht. Für die Werbung ist das viel, aber vielleicht nicht unbedingt etwas, das man sich zu Hause hinhängt. Dafür gibt es dann ein Gegenstück von für dieselbe Schuhmarke, das eine emotionale Geschichte erzählt.

Und Sie lehren wirklich Plakatwissen sogar in China?

Ja, in diesem Monat bin ich noch mal an der Kunsthochschule in Hangzhou, eine 20-Millionen-Stadt in der Nähe von Shanghai. Da gibt es dann einen Ritt durch die europäische Plakatgeschichte in fünf Tagen. Für die Vorlesung gibt es übrigens eine Teilnahmebeschränkung von 100 Personen – irre, oder? Hier kämen doch höchstens drei!

Rene Grohnert
Das Lieblingsplakat von Rene Grohnert: der „Stiller (Schuh)“ von Lucian Bernhard, Berlin, 1908: „Da gilt nur: Geht ins Gehirn, und gut! Mehr ist da nicht.“ (c) VG Bild Kunst, Bonn 2024 © Rene Grohnert | HANDOUT
Rene Grohnert
Und weil der Stiller-Schuh von Lucian Bernhard mehr knallt als unbedingt eine Zierde ist, hier eine Alternative von Ludwig Hohlwein, die eher etwas zum Hinhängen in heimischen Wänden ist: „Das erzählt eine emotionale Geschichte“. © Rene Grohnert | HANDOUT