Essen. Widerstand gegen den Haushalt der Grünen-Kulturministerin, der das Geld fast halbiert: 30.000 Unterschriften – und die SPD wird wach.
„Da möchte man sich an den Hintern packen, weil der Kopf dazu zu schade ist“, schimpft ein Kenner der Freien Szene: Im Haushaltsentwurf der Bundes-Beauftragten für Kultur und Medien für das Jahr 2025 sind die Mittel für eben diese Freie Szene dramatisch gekürzt worden – und das, obwohl die Kultur im Entwurf für den Bundeshaushalt denkbar gut weggekommen ist: Trotz aller Sparzwänge in anderen Ressorts wächst er in der Kultur sogar von 2,15 auf 2,2 Milliarden Euro. Aber: Bei den sechs Förderfonds des Bundes (Literaturfonds, Übersetzerfonds, Musikfonds, Kunstfonds, Fonds Darstellende Künste und Fonds Soziokultur) sind die Mittel im Haushaltsansatz von 32 auf nur noch 18 Millionen Euro zusammengestrichen worden, eine drastische Kürzung auf 46 Prozent.
Zum Vergleich: Die Filmförderung soll um 18 Millionen Euro aufgestockt werden, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erhält 17 Millionen Euro mehr und die Deutsche Welle sogar 25 Millionen mehr.
Fonds darstellende Künste verteilte in der Corona-Pandemie 164 Millionen Euro
Am härtesten treffen die Kürzungen ausgerechnet die Freie Szene, die eigentlich auf mehr Entgegenkommen der ehemaligen Ton-Steine-Scherben-Managerin Claudia Roth gehofft hatte. Der Fonds Darstellende Künste etwa fördert die Freien Theater und deren Ensembles, darunter auch Figuren- und Kindertheater und hat sich in der Corona-Pandemie bewährt, als er 164 Millionen Euro zur Rettung der Freien Szene verteilen konnte.
Fonds Darstellende Künste
Der Fonds Darstellende Künste hat nach dem Koalitionsvertrag 2022 mit Fachleuten von Bund und Ländern einen Förderbedarf von 16,5 Millionen Euro für die Freie Szene ermittelt. Deshalb wurde der Fonds-Etat von 6,9 Millionen Euro (2023) spürbar auf 10,3 Millionen Euro (2024) erhöht. Für das kommende Jahr sind bislang laut Haushalts-Entwurf der Koalition nur noch 5,6 Millionen Euro vorgesehen, damit noch weniger als der schon zu niedrige Etat von 2023.
In diesem Jahr erhielt der Fonds noch 10,3 Millionen Euro, im kommenden sollen es nur noch 5,6 Millionen sein. „Das hat uns alle sehr überrascht“, formuliert es Fonds-Geschäftsführer Holger Bergmann sehr freundlich: „Jeder hat Verständnis für die schwierige Haushaltssituation, aber es bleibt die Frage, warum sich die Haushalts-Aufstellung Kultur-Staatsministerin, die ihre Nähe zur Freien Szene oft betont hat, jetzt so eindeutig gegen sie wendet.“
Der Fonds Darstellende Künste müsste bei fast halbierten Etat-Mitteln drei von sechs Förderprogrammen streichen. Das für das Bündnis internationaler Produktionshäuser hat das Ministerium ebenfalls gestrichen. Dafür sollten ab 2025 eigentlich fünf Millionen Euro bereitgestellt werden. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien wurde noch vereinbart, die Fonds und das Bündnis „als Innovationstreiber“ in den darstellenden Künsten zu „stärken“. Fonds-Chef Holger Bergmann ist von der gravierenden Kürzung nicht zuletzt deshalb irritiert, weil sie „Gruppen und Menschen trifft, die sich doch mit ihrer Arbeit für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Werte und Weiterentwicklung einsetzen.“
Für Pact Zollverein in Essen bedeutet die Kürzung ein Minus von 600.000 Euro
Zu den betroffenen internationalen Produktionshäusern gehören neben dem „Hebbel am Ufer“ in Berlin oder dem Theater Kampnagel in Hamburg auch das FFT und das Tanzhaus NRW in Düsseldorf, aber auch das Essener Tanz-Zentrum Pact Zollverein. Allein hier würden durch die Kürzung 600.000 Euro im kommenden Jahr fehlen. Konkret betroffen wären Residenz-Programme für Künstlerinnen und Künstler, aber auch regionale Modellprojekte wie das Jugendformat „Sound on“, mit dem der Nachwuchs von Profis aus der Musikindustrie lernen soll. Neben der internationalen Zusammenarbeit wären von der Kürzung der Bundesmittel auch Formate wie „Dynamo, die Junge Tanzplattform NRW“ betroffen. Und sogar in der Zertifizierung von Pact Zollverein durch ein ganzheitliches Umweltmanagementsystem stecken Bundesmittel.
Inzwischen aber regt sich breiter Widerstand gegen die unverhältnismäßigen Kürzungen der Kultur-Staatsministerin: Eine Petition unter dem Titel „An der Freien Kunst zu sparen, kostet zu viel!“ hat bis Mitte August fast 30.000 Unterschriften bekommen. Der Kulturrat NRW warnte vehement: „Projekte laufen ins Leere, Foren für die freie Szene werden eingestellt, angestellte Kräfte stehen vor der Kündigung.“
Und auch die SPD-Fraktion im Bundestag ist aufgewacht. Ihr kulturpolitischer Sprecher Helge Lindh fordert nun energisch von Claudia Roth: „Wir erwarten, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien bei den anstehenden parlamentarischen Haushaltsberatungen Lösungen aufzeigt, um diesen schwerwiegenden Fehler zu korrigieren und den angerichteten kulturellen Flurschaden möglichst gering zu halten.“ Die Entwürfe für den Bundeshaushalt 2025 sollen im September im Bundestag beraten und am 29. November verabschiedet werden. Und immerhin hat noch kein Haushalts-Entwurf das Parlament so verlassen, wie er hineingekommen ist.