Essen. Der US-britisch-georgische Film „Tatami“ ist ein Angriff auf die autoritären Strukturen im Iran. Ein Sportdrama – und ein Kino-Erlebnis.
Judo-Weltmeisterschaft der Frauen in Tiflis: Selbstbewusst geht das Team des Iran an den Start, denn mit Leila Hosseini hat Trainerin Maryam Ghanbari eine berechtigte Hoffnung auf Gold dabei. Die ersten beiden Kämpfe verlaufen vielversprechend, dann erhält Maryam einen Anruf.
Die Funktionäre befürchten ein Aufeinandertreffen mit einer israelischen Teilnehmerin und befehlen Maryam, dass sie ihre Athletin mit vorgetäuschter Verletzung aus dem Wettbewerb nimmt. Leila aber denkt nicht daran, den Moment, auf den sie so hart hinarbeitete, aus Gründen der Staatsraison verstreichen zu lassen. Entschlossen geht sie in den nächsten Kampf und muss erleben, wie der Rückhalt im Team und bei Maryam schwindet. Chargen der islamischen Republik erschleichen sich Zugang zur Sportlerin, drohen mit der Festnahme ihrer Eltern und ihrer Familie in Teheran. Leila weiß, dass dies keine leeren Drohungen sind, trotzdem macht sie weiter. Die Fronten verhärten sich.
„Tatami“ ist die erste gemeinsame Arbeit des Regieteams Zar Amir und Guy Nattiv
Eine außerordentliche Kinoentdeckung ist diese US-britisch-georgische Koproduktion. Das Regieteam Zar Amir (die gebürtige Iranerin spielte letztes Jahr die Journalistin im Politthriller „Holy Spider“) und Guy Nattiv (sein letzter Film „Golda – Israels eiserne Lady“ läuft aktuell noch in deutschen Kinos) fährt in seiner ersten gemeinsamen Arbeit einen entschlossenen Angriff auf die autoritären Strukturen und brutalen Methoden des Regimes in Teheran, das Sportler nicht als Individuen akzeptiert, sondern als Werkzeuge für den eigenen Machterhalt benutzt.
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Zur Verdeutlichung dieses Anliegens haben Nattiv und Amir, die auch die Trainerin Maryam spielt, die Geschichte einer doppelten Drucksituation (der Sport und die Politik) aufgezäumt, die sich eng an den Noir-Klassiker „Ring frei für Stoker Thompson“ von 1949 anlehnt.
Die Judoka Leila, mit beachtlichem physischen Kraftakt gespielt von der Amerikanerin Arienne Mandi, muss auf der Tatami-Matte umso härter kämpfen, je mehr das Regime den Druck auf sie erhöht. Einzige Hilfsangebote bekommt sie von zwei Funktionärinnen des Judo-Weltverbands, die allerdings erst einschreiten dürfen, wenn sie offiziell um Hilfe gebeten werden oder betrügerisches Handeln eines teilnehmenden Staates beweisen können.
„Tatami“ im Kino: Eine Bereicherung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann
Es geht also um was in diesem ambitionierten Film, umso höher ist es anzurechnen, dass die Filmemacher sich nicht auf filmisches Flugblattverteilen verlegen, sondern ein Sportdrama von außerordentlicher Spannung und hoher filmästhetischer Finesse (gedreht in Schwarzweiß im klassischen Filmformat 4:3) realisiert haben.
Vor allem in den Kampfszenen, die ohne übliches Rocky-Pathos und effekthascherische Zwischenschnitte auskommen, erreicht der Film eine lange im Kino vermisste Intensität. Auf keiner der Ebenen ist absehbar, wie es ausgehen wird. Der Film kommt gleichermaßen in Multiplexen und Filmkunsttheatern zum Einsatz. Für alle ist er eine Bereicherung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann.