Essen. Bis auf eine Ausnahme. Ian Paice und Simon McBride über die Musikindustrie, Band-Demokratie und Sport - und ihr neues Album „= 1“.

Die Hardrock-Institution Deep Purple ist ein Stehaufmännchen. 2019 nannte die Band ihre Tournee „The Long Goodbye“ – doch nun hat sich die britische Kapelle zum x-ten mal erneuert: Steve Morse (69), der seit 1994 in der Nachfolge des legendären Ritchie Blackmore die Gitarre der Band bediente, stieg 2022 aus, um seine schwer kranke Frau zu pflegen. Als Nachfolger verpflichtete man den Bluesrock-Gitarristen Simon McBride (45). Nun bringen sie am Freitag mit „=1“ („equal“) das erste Studioalbum in der neuen Formation heraus, das 23. insgesamt nach dem 2021er-Album „Turning To Crime“. Jens Dirksen sprach mit dem letzten aktiven Gründungsmitglied Ian Paice (Drums) und dem Band-Küken Simon McBride, von Paice liebevoll „The Irishman“ genannt, was ein derber Akzent bestätigt.

Simon, wie fühlt es sich an, bei einer Band wie Deep Purple einzusteigen?

McBride: Tja. Ich konnte mich daran gewöhnen, an die Ehre und die Freude, in so einer ikonischen Band mitzuspielen. Anfangs war ich ja nur für die Bühne dabei. Ein paar Shows Spaß gehabt und nach Hause gegangen, so war das. Als sie mich dann gefragt haben, ob ich ganz einsteigen möchte, war’s eher so, als hätten sie nach dem nächsten Auftritt gefragt. Ich hab‘ eine Weile gebraucht, um es zu begreifen. Aber jetzt habe ich schon das Gefühl, Teil des Mobiliars zu sein.  

Paice: Es ist ein Sprung, oder?

McBride: Ja.

Paice: Und er wurde Dir nur angeboten, weil Du gut genug bist. Das Musik-Business ist eine sehr harte Industrie, und sie kennt so gut wie keine Fairness. Die einzige, die es dann doch gibt, ist: Wenn du gut genug bist, bekommst du eine Chance. Das ist ähnlich wie im Theater. Viele Leute wären gern Schauspieler und glauben, sie wären groß, aber sie sind es nicht. Leute, die künstlerisch die große Chance verdienen, bekommen sie irgendwann. Und um uns herum sind nicht mehr viele Gitarristen von der Qualität, wie Simon sie hat. Wir mussten zusehen, dass wir ihn bekommen.

Warum wollte die Band ihn?

Paice: Wenn du ein bisschen mehr von deinen Bandmitgliedern erwartest, braucht es eine Menge Talent, besonders bei den Lead-Gitarristen. Da haben manche ihr Publikum gefunden und sind zufrieden damit. Aber um einer Band wie Deep Purple zu spielen, musst du eben mehr können. Mehr als das, was du selber liebst. Das ahnt keiner, wie hart das ist, total dabei zu sein.

Im Gespräch über das neue Deep-Purple-Album „=1“: (v.li.) Simon McBride, Ian Paice und Jens Dirksen.
Im Gespräch über das neue Deep-Purple-Album „=1“: (v.li.) Simon McBride, Ian Paice und Jens Dirksen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ian, Sie gehören zu den Gründungsmitgliedern von Deep Purple. Wie hat sich die Arbeitsweise der Band entwickelt? Als die Corona-Beschränkungen galten, konnte die Band nur ein Album mit lauter Cover-Nummern aufnehmen.

Paice: Ja, denn wir haben die Songs immer kreiert, indem wir zusammengearbeitet haben. Das ist wie bei Ihnen: Am Anfang des Tages haben Sie das weiße Papier, am Ende die Story. Dasselbe bei uns: Wir starten mit einem blanken Aufnahmegerät, wir spielen und hören uns das später an und hoffen, dass ein paar Ideen dabei waren, die wir für so gut halten, dass es eigene Musik-Stücke werden. Es ist der einzige Weg für uns, das zu tun. Ein kooperatives Abenteuer! Simons Beitrag ist so wichtig wie meiner ist so wichtig wie der von Don Airey. Was immer Deep Purple macht, ist nicht der Gedanke eines einzelnen Typen.

Demokratisches Songwriting. War das früher auch so?

Paice: Yeah, yeah, yeah! Der Vorteil bei fünf Bandmitgliedern ist: Du kriegst eine Entscheidung. Eine Mehrheit. Und dann verlierst du mal eine Schlacht, gewinnst aber auch wieder eine.

Simon, könnten Sie sagen, wer der Boss in der Band ist?

McBride: (lacht) Ich! (lacht wieder) Neee…

Heißt er mit Vornamen vielleicht Ian?

McBride: Nein, ich hatte nie den Eindruck, dass da nur einer ist, der bestimmt. Alles wird in Abstimmungen beschlossen, jeder hat eine Stimme. Am Anfang fand ich es befremdlich, dass sogar ich eine Stimme hatte. Ich hatte eine Stimme!

Paice: Bestimmte Mitglieder der Band haben bestimmte Mentalitäten. Ian Gillan folgt zu 100 Prozent seinen künstlerischen Vorstellungen, ich dagegen bevorzuge den pragmatischen Realitäts-Check. Roger Glover wird als Hippie geliebt, der derselbe ist wie vor 50 Jahren. Don Airey macht meistens Musik oder Krach mit seinen Instrumenten, der ist völlig eingewickelt von Musik, da ist es nicht immer leicht, durchzudringen, er hat auch sehr feste Meinungen.

Simon McBride beim Summerside Festival im Schweizerischen Grenchen.
Simon McBride beim Summerside Festival im Schweizerischen Grenchen. © IMAGO/Just Pictures | IMAGO/Ralf Wyssenbach

McBride: Wenn wir proben und jemand möchte was sagen, fängt er einfach an zu spielen! Jedesmal! Er liebt halt seine Musik sehr…

Paice: Wir sind starke Charaktere, und deshalb nehmen wir oft unterschiedliche Positionen ein, die uns dann allerdings helfen, zur richtigen Entscheidung zu kommen. Aber es gibt keinen Chef, das würde nicht funktionieren. Als wir uns 1984 neu formierten und Ritchie Blackmore wieder dazukam, war er zehn Jahre bei Rainbow Chef seiner eigenen Band gewesen. Wenn du mal Chef warst und dann zurückzukommen und nicht der Chef zu sein, das ist hart. Das ist die menschliche Natur. Plötzlich gibt es wieder Debatten, Diskussionen, Argumente. Wir haben dann beschlossen: Wir tun, was die Mehrheit will. Das Leben wird viel einfacher so.

Haben Sie schon überlegt, welche von den Songs des neuen Albums sie live spielen werden?

Paice: Wir haben nicht über die neuen Songs nachgedacht, wir haben überlegt, welche alten Songs wir nicht spielen können, wegen der knappen Zeit. Es ist immer ein Balancieren. Da sind drei, vier Songs, die musst Du spielen…

„Smoke On The Water“…

Paice: Yeah, und so weiter. Dafür hat das Publikum die Karten gekauft. Du musst sie spielen. Und dann ist es wichtig, neue Songs ins Repertoire einbauen, sonst läuft es darauf hinaus, eine rein nostalgische Sache zu werden. Man muss balancieren zwischen Neuem, Altem und Obskurem.

Obskurem?

Paice: Ja, etwas, das die Leute nicht von dir erwarten. Nenn es Überraschung. Bei 27 Alben ist aber ganz klar: Was immer du aussuchst, wird nicht alle glücklich machen. Das sollte einen nicht bekümmern. Es wird immer so sein, als ob man auf einem Stück Saite spazierengeht.

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Simon, mit Deep Purple ein Album zu machen: Ist das Arbeit oder Spaß?

McBride: Ich kann mit nicht an einen Moment erinnern, in dem es nicht Spaß gemacht hätte. Gut, man hat unterschiedliche Standpunkte, Meinungen, Einstellungen. Aber ich glaube, wir hatten gleich nach den ersten Songwriting-Sessions das Skelett des neuen Albums zusammen …

Paice: … in einem kleinen Studio in Hamburg, wo alles viel zu laut war. Alles innerhalb von zwei Wochen.  

Mc Bride: Es gab dann noch eine zweite Session in Nashville, aber da haben wir uns schon um die Arrangements gekümmert und hier und da was verändert.

Das Cover des neuen Albums „=1“ von Deep Purple.
Das Cover des neuen Albums „=1“ von Deep Purple. © DPA Images | -

Paice: Das Ganze ging sehr schnell. Und das ist die beste Art, eine Platte zu machen. Wenn es lange dauert, hast du irgendwas falsch gemacht. Außerdem hasse ich es, lange im Studio zu sein, ich kann das nicht aushalten. Für mich sind schon zwei Wochen zu lang. Ich will nur mein Bisschen beisteuern, so gut ich es eben kann.

McBride: Was Du da sagst, drückt das Vertrauen zwischen uns Musikern aus. Ich bin doch nicht derjenige, der Dir sagt, wie Du Deine Drums spielen sollst!

Ian, früher haben sie mit einem enormen Kraftaufwand getrommelt…

Paice: Na, es sah so aus, es sah so aus!

Okay?

Paice: Wenn Du ein junger Bursche bist, bist du explosiv und deine Arme gehen überall hin. Als ich 30 wurde, habe ich gemerkt, wenn ich meine Arme hier habe (hebt sie über seinen Kopf), mache ich keinen Krach. Wenn ich sie hier unten habe (sie sinken auf Hüfthöhe), mache ich Krach. Ich spiele mit derselben Power heute, aber ich vergeude keine Energie mehr. Es sieht nicht mehr so extravagant aus, aber wenn man durchs Leben geht, lernt man ja hoffentlich, die Dinge besser zu machen. Ich habe einen Weg gefunden, Rock’n’Roll-Drums mit einer Menge Kraft zu spielen, ohne am Ende erschöpft zu sein. Ich könnte nach einer halben Stunde Pause ein zweites Konzert spielen. Die Show wäre vielleicht nicht mehr ganz so gut, aber ich könnte es.

Treiben Sie eigentlich Sport?

Paice: Ich gucke viel zu. Ich liebe es, jungen Menschen dabei zu beobachten, wie sie herumrennen. (lacht) Ich liebe tatsächlich Fußball und Kricket, aber zugleich sagt dir dein Körper, wenn du gegen 50 Jahre jüngere Leute spielst, dass du keine Chance hast. Dann ist der Spaß vorbei. Also gucke ich Sport, aber nicht alles…

Was denn nicht gern?

Paice: Basketball. Da würde ich mir lieber angucken, wie jemand ein Fenster putzt. Es hat nichts zu tun mit der Art, wie ich aufgewachsen bin, nichts mit meinem Sport-Erbe, das ist schrecklich für mich. Dann lieber eine Kochsendung!

Sie kochen nicht gern?

Paice: Doch! Ich finde es unglaublich entspannend. Man muss mich allerdings allein in der Küche lassen, dann eine Weinflasche offen oder ein Bier, und ich kann ein, zwei Stunden komplett entspannen. Und am Ende hat man was Leckeres zu essen, das ist doch auch was Feines. Aber sobald jemand anderer in der Küche ist, steht er mir im Weg.

Zum Purple-Album „= 1“

Das neue Deep-Purple-Album „= 1“ bietet 13 Songs, Qualitäts-Hardrock der alten Purple-Schule, etwa Stampfer wie „Lazy Sod“ und „I’m Saying Nothin’“. Der Song „Now You’re Talkin’“ ist sogar ein „Fireball“-Nachfolger. Mankos: die manchmal elegisch-lamoryante Stimm-Farbe von Ian Gillan und Don Aireys Faible für esoterisches Synthie-Gezirpe. Simon McBrides Einstand ist von großer Klasse, zumal mit eingängigem Bluesrock in „If I Were You“. (JD)

Sie haben im Laufe Ihres Lebens ein bisschen Geld verdient – machen Sie sich noch Gedanken um Geld?

Paice: Immer! Was mich beschäftigt ist, dass ich eine Menge mehr Geld für andere Leute verdient habe als für mich selbst (lacht). Plattenfirmen, Verleger, Agenten, Manager… Nein, man denkt nicht mehr drüber nach. Aber wenn man die Milliardäre der Internet-Industrie sieht, denkt man doch: Hört auf, es ist genug. Ob du acht oder neun Milliarden hast, ändert nichts mehr, deine Frau kann sich immer noch ein neues Auto kaufen. Das Problem ist nur: Wenn dein Einkommen steigt, steigt auch dein Lebensstandard. Und wenn es weniger wird, kommst du in Schwierigkeiten. Aber Ihr Punkt ist richtig: Je mehr man hat, desto mehr Gedanken macht man sich übers Behalten. Ich verdiene mein Geld, um meine Familie zu versorgen. Wissen Sie, Jungs sind ja sehr einfach: Großer Fernseher, schönes Auto, ein Zuhause und etwas Alkohol im Kühlschrank. Das reicht uns. Aber eine Familie zu versorgen, das ist viel mehr Arbeit.

Konzerte sind also Arbeit.

Paice: Als wir angefangen haben mit der Musik, haben wir das gemacht, um glücklich zu sein. Und dann boten uns Leute Geld für zwei Stunden am Abend, für das andere fünf Tage in der Fabrik arbeiten mussten. Aber das Geld sollte nicht die treibende Kraft sein, weiterzumachen. Du musst daran glauben, was du machst, dann glauben dir auch die Leute. Wenn nicht, merken sie das sehr schnell.

Ian Paice und Simon McBride vor dem Gespräch im Breidenbacher Hof in Düsseldorf.
Ian Paice und Simon McBride vor dem Gespräch im Breidenbacher Hof in Düsseldorf. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Simon, ein Gitarrist wie Sie, übt der noch?

McBride: Ich würde es gern tun, aber ich schaffe es nicht. Zwischen zehn und 14 habe ich jeden Tag neun Stunden geübt. Ich hatte kein anderes Leben als Kind. Ich wollte auf das Level von Joe Satriani und Steve Vai kommen. Und wenn du das einmal erreicht hast, verlierst du es nie mehr wieder. Letztes Jahr habe ich zwischen August und Dezember fast nie eine Gitarre angepackt. Okay, manchmal brauche ich dann eine Woche, um wieder reinzukommen, aber das ist es dann auch.

Paice: Wenn Du nicht übst, bist du irgendwann bei 90 Prozent deiner Leistung – es ist nur diese Spitze, die dann fehlt. Ich habe sechs, sieben Wochen, da gucke ich mir das Schlagzeug nicht mal an. Aber länger nicht. Das kannst du als junger Kerl machen, aber in meinem Alter schrumpfen dann die Muskeln, die du brauchst. Dein Hirn funktioniert noch, aber die Muskeln sagen: „Nee, mache ich nicht!“ Also spiele ich mindestens alle sechs Wochen. Nicht nur mit Deep Purple, auch mit anderen Bands.