Essen. Budenzauber im ganzen Revier: 110 Kioske machen mit. Live-Musik, Kabarett, Poetry-Slam, Fußball, Interkultur und viele Gemischte Tüten.

Wie ein Mensch so zu einer Trinkhalle kommt: Eigentlich suchte die Immobilienmaklerin Garip Acar eine Aufgabe, einen Job für ihren Ziehsohn, der als jugendlicher Flüchtling aus dem Irak gekommen war und den sie über Jahre betreut hatte. Die kleine Trinkhalle an der Bredeneyer Straße in Essen, wo etliche Straßenbahnlinien ihren südlichen Wendekreis haben, fand sie eigentlich ideal. Aber: „Da gibt es eine lange Schlange“, sagte der damalige Besitzer und meinte die Bewerber um eine Nachfolge. Als er dann irgendwann aufhören wollte, dachte er doch zuerst an die Frau mit dem gewinnenden Lächeln. Und meldete sich bei Garip Acar. „Nur: Da hatte der Junge schon angefangen, meinen kranken Vater in Oldenburg zu pflegen.“ So wurde sie selbst zur Trinkhallenchefin.

Im Januar 2022 war das. Seither hat die 45-jährige Frau ihren Entschluss noch keine Minute bereut, trotz zweier Kinder und eines Vollzeit arbeitenden Mannes. In der Trinkhalle gibt es übrigens nicht nur sechs mannshohe Kühlschränke mit dem, was eine Trinkhalle zur Trinkhalle macht, sondern auch Seifenblasenschwerter. Und Stifte, für alle aus der nahegelegenen Schule, die welche vergessen haben. Oder Geodreiecke. Kekse. Und Leergut wird auch angenommen. Ein älterer Herr greift sich eine „Hörzu“ („Zweifünfzig“), zwei Knirpse zischen mit einer „Gemischten Tüte“ und Pomm-Bären davon, im Umdrehen rufen sie noch „Und dankeschön!“ Wer weiß, wofür.

Tag der Trinkhallen: Blasorchester spielt AC/DC, 12 Leute aus Ghana spielen und tanzen Afro-Beat

Und nun macht Garip Acar mit ihrem „Bredeneyer Treff“ unter seinem edlen Zinkblechdach beim „Tag der Trinkhallen“ im Ruhrgebiet mit: Am 17. August wird zum vierten Mal ein Karneval der Kioske im gesamten Revier gefeiert. Mindestens 110 Buden feiern ballongesäumt mit, an 40 von ihnen gibt es vom Nachmittag bis zum späten Abend Programm. Mit Musik aus aller Welt: An der Trinkhalle Kaßlerfeld in Duisburg etwa spielt eine 12-köpfige Band aus Ghana furiosen Afro-Beat und tanzt auch dazu, an der Getränkebude Gaida in Datteln gibt‘s echtdeutsche Folklore mit der Band Dieselknecht. Ein Blasorchester spielt bei „Hannes Büdchen“ in Voerde Hits von AC/DC, Rage Against The Machine und Tool.

Freuen sich auf den Tag der Trinkhallen (v.li.): Jasmin Sandhaus (Brost-Stiftung),  Axel Biermann (Ruhr Tourismus), Garip Acar (Inhaberin Bredeneyer Treff), Garrelt Duin (Regionaldirektor Regionalverband Ruhr) und Kazim Calisgan, (Kurator für das Musikprogramm)
Freuen sich auf den Tag der Trinkhallen (v.li.): Jasmin Sandhaus (Brost-Stiftung), Axel Biermann (Ruhr Tourismus), Garip Acar (Inhaberin Bredeneyer Treff), Garrelt Duin (Regionaldirektor Regionalverband Ruhr) und Kazim Calisgan, (Kurator für das Musikprogramm) © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Hier gibt‘s mal Klein- und Wortkunst mit Kai Magnus Sting, Sandra Da Vina, Matthias Reuter oder Roland Heinrich Rumtreiber auf die Ohren („Kiosk am Ebertbad“), anderswo wie an der „Ballerbude“ in Oer-Erkenschwick können kleine Gaming-Fans Retro Arcade spielen, mit passender Musik der Band Endgegner. An manchen Buden steht auch Fußball im Mittelpunkt: Im Bochumer „All In“ gastiert etwa der „VfL-Jesus“ Thomas Dragunski, an der Trinkhalle „Dortmunder Kronen“ gibt‘s das Quiz „11 Fragen“ – Fußball- und andere namhafte Podcaster inklusive. Am „Hafenmund“ schillert die Interkultur, wie auch an der Josefstraße in Oberhausen, wo der mexikanische Tag der Toten hautnah zelebriert wird.

„Tag der Trinkhallen“ – die Kunden sagen: „Bitte machen Sie wieder mit“. Und die Arbeit? „Dann helfe ich!“

Finanziert wird der Tag der Trinkhallen übrigens zum einen vom Regionalverband Ruhr (dessen Chef Garrelt Duin vermerkt, dass das Geld aus dem Topf zur Weiterführung der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 stammt), zum anderen von der Ruhr-Tourismus GmbH sowie von der Brost-Stiftung, deren Projekt-Förderfrau Jasmin Sandhaus im Trinkhallen-Tag einen „Leuchtturm“ sieht, der „weit über das Ruhrgebiet hinaus strahlt“.

Aber auch nach innen: Garip Acar ist von ihren Kunden sehr gedrängt worden, mit ihrem „Bredeneyer Treff“ doch wieder am Tag der Trinkhallen teilzunehmen: „Das müssen Sie machen“, habe eine ältere Dame gesagt, „das war so toll!“ Aber die viele Arbeit, wandte Frau Acar ein... „Dann helfe ich eben mit!“ Da spürt man wieder: Kioske, Seltersbuden, Büdchen und Spätis gibt‘s auch anderswo. Trinkhalle ist Ruhrgebiet.