Berlin. Die italienische Sängerin Gianna Nannini (70) im Interview über ihre Liebe zur Soul-Musik, Fußball-Hits und einen Wendepunkt in ihrem Leben.

Gianna Nannini ist zurück – und das gleich im XXL-Format. Gerade wurde das neue Album der italienischen Rock-Ikone mit dem Titel „Sei nell‘anima“ veröffentlicht. Außerdem erschien eine Netflix-Doku unter gleichem Titel über die Lebensgeschichte der Sängerin. Ab November wird die 70-Jährige, die mit Super-Hits wie „Bello e impossibile“, „I maschi“ oder „Hey bionda“ international erfolgreich war, auf Tour gehen und mehrere Konzerte in Deutschland geben. Den Auftakt der Tour bildet ein Konzert in München.

Nannini machte im Sommer 2010 Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sie mit Mitte 50 erstmals Mutter einer Tochter wurde. Ihre späte Mutterschaft sorgte weltweit für großes Aufsehen. Gianna Nannini lebt mit einer Frau zusammen. Im Interview mit unserer Sonntagszeitung spricht die Rockröhre aus Italien über ihre neuen Projekte, gleichgeschlechtliche Liebe und die Fußball-Europameisterschaft.

Gianna, fast 50 Jahre lang sind Sie nun schon als Sängerin aktiv. Wie blicken Sie zurück?

Gianna Nannini: Es gibt dieses frühere Leben von mir, das 1983 endet, und 1983 ist mein eigentlicher Geburtszeitpunkt. Seit diesem Jahr existiert also eine neue Gianna, die ihre Vergangenheit nicht vergisst, sondern sie zu einem epochalen Wendepunkt macht, besonders mit den Songs, die ich geschrieben habe. Das war eine sehr starke Inspiration.

Sie kehren in diesem Jahr mit einem neuen Projekt zurück, das nicht nur ein brandneues Album, sondern auch einen Film sowie eine internationale Tournee umfasst und nach einem Ihrer berühmtesten Hits benannt ist: „Sei nell‘anima“. Wie groß ist Ihre Freude darüber?

Ich wurde geboren, um die Leute zu begeistern. Deshalb heißt dieses Projekt ,You are in the Soul’, weil es von mir zum Publikum geht. Das Publikum in Europa und anderen Ländern möchte ich begeistern – auch der Film trägt dazu bei.

Fünf Jahre sind seit Ihrem letzten Album vergangen. Was haben Sie in der Zeit alles gemacht?

Um ein Album zu machen, muss man immer eine lange Phase des Experimentierens durchlaufen und auch verschiedene Lebensmomente erleben. Dieses Album hat einen Soul-Charakter, wie ich ihn definiere, denn Soul-Musik war mir schon immer nah, aber jetzt habe ich einen neuen Ansatz ausprobiert. Alles begann mit ,The Difference’ in Nashville. Dort habe ich endlich das Zentrum meiner künstlerischen Selbstfindung erreicht und wusste genau, was ich mit meiner Musik und meinen Texten ausdrücken möchte. Das Echo dieser Musik – im amerikanischen Musikkontext als „Soul Music” bekannt – hat mich dazu inspiriert, das Album „Sei nell’anima“ zu nennen.

Sängerin Gianna Nannini auf dem Cover ihres neuen Albums.
Sängerin Gianna Nannini auf dem Cover ihres neuen Albums. © Goigest Presse | Luigi & lango

„Sei nell‘anima“ ist ein Konzeptalbum, auf dem Sie sich zum ersten Mal so persönlich und schonungslos offen präsentieren, wie Ihre Fans Sie noch nie erlebt haben. Wie kam es dazu?

Es stammt tatsächlich aus Nashville, also von ,The Difference’, einem Album, das im Studio konzipiert wurde, wobei alle Musiker gleichzeitig aufgenommen wurden. Das kann man nur machen, wenn man echten Rock-Blues macht, mit einer anderen Produktion als der, die manipuliert ist. Diese Entscheidung wurde getroffen, und von da an habe ich mich auf den Weg gemacht, ein Experte für Soul und Blues zu werden, obwohl ich nicht aus dieser Welt komme.

In Ihren neuen Songs kehren Sie zu Ihren frühen Soul- und Blues-Wurzeln zurück. In Deutschland ist man jedoch nur mit Ihrer Rolle als Rocksängerin vertraut.

Ich begann meine Rockmusikkarriere in Europa, genauer gesagt in Italien. Zu der Zeit war der Begriff Rock in Italien nicht verbreitet, da es vorrangig Liedermacher gab. Viele Kollegen folgten meinem Weg. Ich identifizierte den Rock mit einer eher europäischen und mediterranen Dimension und verlieh meiner italienischen Herkunft so eine eigene Identität.

Man nennt Sie Rockröhre. Wie finden Sie einen solchen Titel?

Die heisere Stimme sollte nicht mit einer Raucherstimme verwechselt werden. Ich rauche nicht. Meine Stimme hat eine Eigenschaft: Sie gibt Obertöne ab. Das ist meine Besonderheit. Vielleicht würde ich sagen, ich habe eine kratzige Stimme.

Sie sind in Italien ein Superstar. Ist es eigentlich lästig, nicht ganz normal rausgehen zu können?

Es ist einfach so: Jeder ist ein Mensch. Manchmal kann es störend sein, wenn jemand in unpassenden Momenten um Selfies bittet. Aber das gehört dazu, und wenn man im Showgeschäft ist, muss man das akzeptieren. Daher kann man sich nicht beschweren.

Zusätzlich zu Ihrem Comeback sind Sie ebenfalls auf Netflix im Film „Sei nell’anima“ zu sehen.

Die Idee kam von einer Regisseurin, die einen Film über mich machen wollte. Sie hatte sowohl das Buch „IO” (Ich, Anm. d. Red.) als auch „Cazzi miei“ (meine Angelegenheiten, Anm. d. Red.) gelesen und wollte daraus einen Film machen. Wir arbeiteten zusammen, ich erzählte von meinen Erinnerungen aus dieser Zeit, und viele dieser Erinnerungen fanden auch Eingang in mein neues Album. Es war eine weitere Reise, um mehr und mehr in diese Richtung zu gehen, die ich, inspiriert von der Soulmusik, eingeschlagen hatte. Jedes Land hat seine eigene Seele, meine ist eine toskanische Seele.

Ein wichtiger Wendepunkt in Ihren Leben war das Jahr 1983. Warum?

Der Wendepunkt war ein sehr schwieriger Moment in meinem Leben, eine sehr schmerzhafte Erfahrung, die in Deutschland zu der Zeit passierte, als ich „Fotoromanza“ schrieb. Ich hatte ein großes Problem mit der mentalen Identifikation mit mir selbst, ich habe mich beim Schreiben der Stücke verloren, ich konnte mich nicht mehr finden, es war eine schreckliche Sache. Von diesem Moment an hat sich mein Leben verändert. Diesen Wendepunkt versteht man, wenn man den Film sieht.

Finden Sie, dass das Thema gleichgeschlechtliche Liebe inzwischen voll und ganz angenommen wird oder muss man dafür immer noch kämpfen?

Ich habe immer das gemacht, was mir gefällt, und habe nie geschlechtsspezifische Unterschiede gemacht. Ich gehöre einfach keiner Kategorie an und mag keine Klischees und Geschlechter. In einem meiner Songs heißt es: „Ich wurde ohne Geschlecht geboren“. Man muss akzeptieren, was man ist. Es sollte keine Einteilungen oder Unterschiede aufgrund des sexuellen Geschmacks geben. Ich finde, dass wir in einer ziemlich freien Welt leben. Es ist eine Art der Etikettierung, unter der ich zu leiden hatte, als ich 1979 den ersten Song schrieb, der einer Frau gewidmet war: „She“. Keine Diskriminierung bedeutet ‘keine Markenmenschen’; man benutzt keine Etiketten mehr.

Die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland läuft Sie haben mit „Un’estate Italiana“ bei der WM 1990 einen Welthit geliefert. Wie groß ist Ihre Sehnsucht nach einem erneuten Riesenhit?

Erfolg hängt von wunderbaren Momenten ab, magischen Momenten. Es ist ein Wunder, mit einem Lied erfolgreich zu sein. Ich denke, das Leben muss erfolgreich sein, über ein einzelnes Lied hinaus. Auch wenn „Un’estate italiana“ ein Lied ist, das man auf der ganzen Welt kennt, bin ich damit immer glücklich.

Tourdaten Gianna Nannini (Auswahl): 28.11. München Olympiahalle, 30.11. Hannover Swiss Life Hall, 3.12. Berlin Uber Eats Music Hall, 4.12. Essen Grugahalle, 10.12. Kassel Nordhessen Arena.

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