Bochum. In Dortmund und Hagen aufgewachsen, in Essen und Bochum studiert und schon auf allen möglichen Bühnen aufgetreten: Miedya Mahmod (28).
Das vergangene Jahr war beruflich eine Erfolgssträhne für Miedya Mahmod (28): Erst den Jurypreis beim 31. Open Mike gewonnen, dem wichtigsten Nachwuchswettbewerb der deutschen Literaturszene; dann den Lyrik-Wettbewerb Textstreich gewonnen, ein Residenz-Stipendium auf Burg Gladbach; außerdem Hauskünstler:in für die Annette-von-Droste-Hülshoff Stiftung bei Münster; zum Ende des Jahres folgt das Galata-Schreibatelier der Kunststiftung NRW in Istanbul. Und nun fährt Miedya Mahmod zum bekanntesten Literaturpreisringen im deutschsprachigen Raum, dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im österreichischen KIagenfurt, dessen Lesungen am Donnerstag beginnen. Der Hauptpreis der Lesekonkurrenz, auf die sich die Aufmerksamkeit des gesamten Literaturbetriebs richtet, wird am Sonntag vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert (daneben gibt es noch vier weitere Preise und Stipendien im Wert zwischen 7000 und 12.500 Euro).
Poetry Slam war gut für den Anfang bei Miedya Mahmod – aber irgendwann zu gefällig
Miedya Mahmod hat aber auch Pech gehabt in diesem Jahr: Ein Unfall kostete vier Zähne, umständliche Behandlungen waren nötig, um das Wichtigste zu retten: die Sprechfähigkeit. Denn Mahmod kommt vom gesprochenen Wort. Poetry-Slam-Bühnen („der Spucknapf des Feuilletons“) waren erste literarische Bewährungsproben. Die Auftritte sorgten aber auch, neben studentischen Hilfskraftstellen an der Uni, mehr und mehr für den Lebensunterhalt: „Der Bafög-Antrag war nicht gut kompatibel mit Eltern, die in den vergangenen Jahren von Selbstständigkeit zu Umschulungen auf neue Jobs gewechselt haben, das war sehr überfordernd. Zugang zu Poetry Slam ist verhältnismäßig (!) gatekeeping-frei, die erste Resonanz sorgt für Ermutigung.“
Dann wurde es allerdings immer schwieriger, die für solche Live-Reim-Wettbewerbe nötige Gefälligkeit in den Texten aufzubringen. Und weil sich das wissenschaftliche Schreiben als allzu ödes, striktes Korsett für einen Kopf erwies, der ADHS-bedingt mit dieser Form schwerfällig ist, blieb „quasi im Ausschlussverfahren“ nur die Lyrik und Spoken-Word-Poesie übrig, in der das Fließende des Live-Vortrags oft deutlich zu spüren ist.
Zwischen allen Stühlen zu Haus, im Fließenden: Miedya Mahmod
Beim Open Mike hat Miedya Mahmod mit dem einzigen Langgedicht im Wettbewerb, „Hinter vorgehaltener Zunge schweigen wird oder Die Destinationale“, Erfolg gehabt. Es beschreibt beim ersten Hören ein vermeintliches Ringen um Heimat bei Menschen, die mehr als eine davon haben – oder keine, die fraglos wäre. Das „Ich“ dieses Gedichts bittet zunächst um eine Heimat, vorsichtig:
„Wenn es in deiner Hand läge.
Eventuell, nur falls du eine zur Hand hast, würde ich dich, vielleicht, also, wenn es eh in
deiner Hand läge“.
Es scheint in der Tat zwischen allen Stühlen zu Haus zu sein, in drei Sprachen auf drei Sprachniveaus. Heimat wird darin aber auch als eine Falle sichtbar, die das Individuum begrenzt und festlegt, wo es frei und fließend sein möchte. Mahmod schreibt im und vom Da-Zwischen, ist auch geschlechtlich non-binär und bevorzugt statt der üblichen Personalpronomen ein „dey“ oder „dem“. Dey wuchs in Dortmund auf, wo die Eltern in einem Kiosk arbeiteten, „ehe ich mit sechs Jahren nach Hagen verschleppt wurde“, weil die Eltern dann dort ein Büdchen betrieben. Das Lehramtsstudium in Essen (Germanistik, Sozialwissenschaften) war viel zu überlaufen und wurde „erfolgreich abgebrochen“, der Wechsel zu den Theater- und Medienwissenschaften in Bochum brachte am Ende die Einsicht, dass nicht das akademische Schreiben, sondern das experimentelle das passendere Terrain für deren Forschung ist.
Dass das eine prekäre Existenz bedeutet? „Das ist leider bei den meisten schreibenden Personen ohne entsprechenden Erbschaftshintergrund der Dauerzustand, das muss man sich klar machen“, sagt Miedya Mahmod, „ich komme zurecht, weil ich sparsam und in Bochum (Mietpreise!) lebe, keine Kinder zu versorgen habe. Eine gesicherte Gesundheitsversorgung hätte ich gern, da mangelt es an vielen Ressourcen, das kostet viel Kraft und schluckt immens Zeit. Ansonsten freunde ich mich langsam mit dem Gefühl an, dass ich von Beruf schreibe. Eine Arbeit, an der ich zumindest nicht noch weiter erkranke. Das habe ich auch schon anders erlebt und hat immateriell hohen Wert.“
In der Corona-Zeit entstand im Teamword das „Lytter“-Zine, ein Magazin mit Twitter-Lyrik
Noch hat Miedya Mahmod kein eigenes Buch veröffentlicht. In der Corona-Zeit entstand aus Twitter-Gedichten, im Teamwork mit vier weiteren Twitter-Aktiven, die schrieben oder illustrierten, das „Lytter“-Zine – ein ironisch gewendetes Kofferwort aus dem Englischen „literature“ und „litter“ (Abfall) sowie Twitter, das schließlich auch in Druck ging; doch für Selbstvertrauen sorgt das digitale Veröffentlichen nicht weniger: „Wenn über 500 Menschen ein Gedicht online lesen, liken, teilen“, sagt Mahmod, „hat das schon mehr Lese-Resonanz als der durchschnittliche Lyrik-Band. Ich liebe Papierlyrik, aber ich denke, wir müssen den Publikationsbegriff weiter denken, auch für das eigene Selbstbewusstsein in dieser doch von vielen Buchhandlungen sehr vernachlässigten Gattung!“
Aufgeregt zu sein wegen des Auftritts beim Bachmann-Wettbewerb, zu dem sie die Kollegin Mithu Sanyal eingeladen hat, dazu war noch keine Zeit. Freiberuflichkeit, Zahnarzttermine, Logistik zwischen den Zügen hält beschäftigt. Miedya Mahmod hat sich vorgenommen, die Zugfahrt dorthin zu genießen. Und hofft, bei diesem Gipfeltreffen des deutschsprachigen Literaturbetriebs gar nicht mal so sehr, einen Verlag zu finden als vielmehr jemanden, der das größere Schreibprojekt, aus dem in Klagenfurt ein erster Textauszug zu hören sein wird, mit viel Verständnis lektorieren könnte.
Der Fernsehsender 3sat überträgt: Lesungen und Diskussionen am Donnerstag und Freitag von 10 bis 15.30 Uhr und am Samstag von 10 bis 14.30 Uhr. Die Preisverleihung startet am Sonntag um 11 Uhr.