Gelsenkirchen. Start der „Power Up“-Tour: 54.000 bejubeln den Gitarristen in Gelsenkirchen. Zwei Stunden und zwei Zugaben nackter Rock in Schuluniform
Warum hier heute Abend 54.000 Menschen sind? Und am nächsten Dienstag gleich noch einmal? Zu einem „Power Up“-Tourneeauftakt nach Maß für AC/DC? Weil diese Band einfach keine Angst vor Wiederholungen hat, die aus Melodien raue Hymnen machen. Weil die Band und zumal ihr kleiner Gitarren-Riese an der Spitze keine Angst vorm Einfachen hat, auch wenn sie dich dann vielleicht für ein schlichtes Gemüt halten. Bloß, weil du eingängig spielst. Einfach frech und laut, um mit Power bis in die letzte Faser das Leben zu feiern, was ja doppelt gut geht, wenn es nicht halb so kompliziert ist wie da draußen in Wirklichkeit. Nicht zuletzt darin dürfte der anhaltende Erfolg von Angus Young & Co. liegen, und die guten alten Songs hören wir vielleicht deshalb so gern, weil damals sogar die Wirklichkeit nur halb so kompliziert war wie heute.
AC/DC rocken die Veltins Arena in Gelsenkirchen
Angus Young natürlich in Schul-Uniform - diesmal grüner Samt
Die erfolgreichste Hardrock-Kapelle der Welt bleibt ihrem Stil einfach seit Jahrzehnten „brutal treu“, wie zwei brutal zufriedene Fans auf dem Heimweg grinsten. So tritt Angus Young denn auch wieder in Schul-Uniform an, grüner Samt, maßgeschneidert, mit Krawatte und passender Base-Cap, unter der eine schlohweiße Fussel-Mähne hervorquillt. Die Waden in hochgezogenen weißen Tennissocken unter den halblangen Beinkleidern - da bekommt das Wort von den „Millionären in kurzen Hosen“, die sonst in diesem Stadion spielen, einen ganz neuen Sinn. Von denen tritt hier mit 69 keiner mehr zu zwei Stunden Spitzenleistung an. Höchstens auf der Trainerbank.
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Man muss Brian Johnson doch gratulieren, dass er seine exaltierte Stimme wiedergefunden hat. Das ist bei dem furiosen Krafteinsatz, mit dem er singt, schreit, brüllt, kiekst, zischt und grummelt, weiß der Himmel nicht selbstverständlich. Aber erst mal muss er sich warmsingen. Das Mischpult regelt ihn anfangs runter, und dann verwurschtelt sich auch noch sein Sender am Gürtel, so dass er bei „Back in Black“ kurz mal rauskommt. Aber Routiniers wie er und Angus Young überspielen derlei technischen Trouble locker. Die beiden sind klar die Stars hier, die drei von der Rhythmustruppe stehen gern beisammen wie junge Hühner, die wissen, wie hier die Hackordnung ist. Und dass kaum eine Band so viele Schlagzeuger (zurzeit: Matt Laug) und Bassisten verschlissen hat (zurzeit Chris Chaney). Und Stevie Young, der seit 2014 seinen Onkel Malcolm an der Rhythmusgitarre ersetzt, sieht nicht aus wie der Neffe von Angus, sondern eher wie sein Großonkel. Rock‘n‘Roll kann ja doch eine recht zehrende Lebensweise sein.
AC/DC und die vereinigten Young-Chöre von Gelsenkirchen
Zu „You Shook Me All Night Long“ singen: die vereinigten Young-Chöre von Gelsenkirchen, und Angus entledigt sich des Jacketts, in der Arena kommt man heute Abend im kurzen Hemd auch besser klar. Unter den Besuchern dominieren Kutte und/oder T-Shirt, aber da ist auch ein Graumelierter, der sein Businesshemd nicht mehr wechseln konnte, allerdings ohne die lieben Kollegen. Und die Frau im Strickpulli könnte heute Mittag noch geduldig Patienten versorgt haben, ganz normale Leute. Und auffällig viele junge. Die könnten glatt Kinder oder Enkel der ersten Fans sein.
Die wiederum sind selig, dass die Band auf so viele alte Stücke zurückgreift. „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“, „Dog Eat Dog“, „High Voltage“ mit dem Gute-Laune-Boogie-Groove, „Hell Ain‘t A Bad Place To Be“, „Riff Raff“ - Angus macht immer wieder nur mit der Linken auf dem Gitarrenhals Lärm, die Rechte und das Plektrum haben ein paar Sekunden frei, und er wirkt immer wieder wie der Lordsiegelbewahrer des Griffbrett-Tremolos im Hardrock, zumal sich Ritchie Blackmore ja ins Mittelalter verabschiedet hat.
Ac/DCs Kracher: „Whole Lotta Rosie“ und „Let There Be Rock“
Das Stimmungs-Hoch liegt weder beim Party-Kracher „Highway To Hell“ noch bei „Hells Bells“ mit der albern klein wirkenden Glocke (Angus trägt dazu diese roten Teufelshörner, für die Fans gerne locker 20 Euro zahlen, wenn Batterien drin sind, die sie zum Blinken bringen). Sondern bei der guten alten „Whole Lotta Rosie“, deren erste Akkorde die Fans mit den traditionellen „Angus, Angus“-Rufen beantworten. Oder bei „Let There Be Rock“, das dann doch mal mit einem Endlos-Solo vor den notorischen Marshall-Türmen gekrönt wird: der so geschickt gesetzte wie großartig gespielte Höhepunkt des Konzerts. Solange ich eine Gitarre so herumfetzen, so jaulen, wimmern, lechzen, jubeln lassen kann, müsste Angus eigentlich fühlen, bin ich nicht nur Young, sondern auch jung. Forever. Mit Konfetti-Fontänen - Ausnahmen einer sparsamen, fast spartanischen, aber effizienten Bühnenshow.
Nach zwei Stunden ehrlicher Rock-Arbeit kommt als Zugabe noch mal mit „T.N.T.“ ein grandios zelebrierter Band-Oldie, bevor das etwas schwergängige und erschöpfende „For Those About to Rock (We Salute You)“ mit zwölf mörderlaut böllernden Uralt-Kanonen den Schlusspunkt setzt. Müde-sentimentale Balladen, mit denen andere Bands ihre Fans von weiteren Zugabe-Forderungen abhalten, haben sie einfach etwas zu wenige im Repertoire. Aber ein Indoor-Feuerwek, das sich gewaschen hat.