Essen. Die Regisseurin Sapir Heller verlegt Brecht im Grillo-Theater in einen Discounter. Aber auch das kann den ausgelutschten Klassiker nicht retten.
Heute gibt’s eine Portion Brecht vom Netto-Discounter. „Sezuan 24/7“ prangt als gelbroter Schriftzug über der Wand von Lebensmitteln auf der Bühne des Essener Grillo-Theaters. Hier will uns die Regisseurin Sapir Heller „Die Ware Liebe“ verkaufen: So lautet der ursprüngliche Titel von Bert Brechts Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan“, dessen Kapitalismuskritik heute ähnlich abgenudelt erscheint wie die Produkte von Barilla und Co.
Die Parabel spielt in einem fiktiven China, in dem Armut herrscht, während die Reichen korrupt und hartherzig sind. Drei Götter suchen nach einem „guten Menschen“, finden aber nur einen, der in dieser Welt charakterlich bestehen kann: die Prostituierte Shen Te.
Es geht los mit Stand-up-Comedy
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Die 1989 in Israel geborene, in München lebende Sapir Heller versucht Brechts belehrendem Zeigefinger durch Witz und comichafte Überzeichnung die Spitze zu nehmen. Noch bevor sich der Vorhang hebt, legt der Wasserverkäufer Wang mit Stand-up-Comedy los (als Gast: Samantha Ritzinger). Außer der Hauptfigur treten alle als Waren auf: der Barbier als Brokkoli, die Hausbesitzerin als Käseecke, der arbeitslose Flieger als PEZ-Brausespender, die achtköpfige Familie als Knabberbox (Kostüme: Viktor Reim). Die Götter sind hier weiblich und sitzen an der Kasse.
Für eine Botschaft, die so wohlfeil daherkommt wie in diesem Stück, ist der Discounter kein schlechter Ort. „Ich kann nicht gut sein, denn das System ist schlecht“: Das dürfte jedem Kleinkriminellen als Rechtfertigungsversuch gelegen kommen.
Die Regie ist um leichtfüßigen Humor bemüht, sucht augenzwinkernd den Kontakt zum Publikum. Aber nichts kann diesen ausgelutschten Klassiker des Deutschunterrichts lange schultern. Das Gerede über Geld, die vielen Variationen der immer gleichen moralischen Ausflucht wirken ermüdend.
Käseecke, Müsli und Weintrauben
Das Ensemble singt die Lieder von Paul Dessau in einer Neufassung von Juri Kannheiser, erhebt manche Figur gekonnt zur Satire. Jan Pröhl (Hausbesitzerin) kommt in seiner Käseecke so windelweich daher, als habe er zu lange in der Sonne gelegen. Samantha Ritzinger (Schreiner) ist als Müslipackung unverdaulich grob – Ines Krug mimt in ihrem Weintrauben-Kostüm eine reichlich übersäuerte Witwe.
Die Göttinnen können sich nicht einigen, was mit der unzulänglichen Welt geschehen soll: Han Nguyen und Lene Dax hadern nach Kräften, machen sich im Zweifel aber lieber nicht die Finger schmutzig.
Warum Sapir Heller Brechts Schluss ändert, obwohl sie ihn im Programmheft sehr lobt, bleibt ihr Geheimnis. Wir streben leicht ermattet der Kasse zu, wohl wissend, dass die Schlussrechnung noch auf die Menschheit wartet.